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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die UnpopularitLt der Jurisprudenz.

zu Nutze machte. Wer daher für Bildung des Volkes war, der war auch für
das römische Recht, seine Feinde waren nur die trägen Gegner der Bildung und
Gesittung, die Widersacher aller Verbesserung und Veredelung, sie bewirkten,
daß das römische Recht so langsam eindrang, daß jene Zeit des Faustrechtes,
der Wiedertäufer, der Bauernkriege und der Gesetzstürmer, wie sie Luther nannte,
hereinbrach. Auch diese Zeit vermag, auf der Bühne dargestellt, uns gewaltig
zu fesseln -- denken wir an Goethes Ritter mit der eisernen Hand --, allein
wer wird sie zurückwünschen? Es handelt sich also gegenüber dem römischen
Rechte nicht um eine Rechtsaufnahme, sondern um einen Nechtsaufschwung.

Die Hauptträger dieser Bewegung waren jedoch die deutschen Landes¬
herren, die dem römischen kaiserlichen Weltstaate deutsche Sonderstaaten entgegen¬
setzten. Sie vor allem mußten gegen die römische Macht ein Gegengewicht
schaffen.

Wissenschaft und Kunst, Wohlfahrtspolizei und Rechtspflege wurden aus
der Hand der Kirche genommen. Das, was die Kultur geschaffen hatte, wurde
nunmehr die Grundlage des besondern landesherrlichen Staatswesens. So
entstand auch unsre ^Jug. niatsr in Marburg, eine Hauptpflanzstätte der Zivili¬
sation, welche bisher ein Privileg der Kirche gewesen war und nunmehr auch
dem Staate zu Gute kommen sollte. Sehr bezeichnend ist, was uns von dem
Sohne des Landgrafen Wilhelm des Weisen, dem spätern Landgrafen Moritz
dem Gelehrten, der 1573 hier die Rechte studirte, berichtet wird. Dieser las
Wider ärztliches Verbot des Nachts Justintcms Institutionen und wiederholte
sie mit größtem Eifer, um sie jungen Edelleuten vorzutragen. Sein Zeitgenosse
Herzog Heinrich von Braunschweig zog, wie berichtet wird, die Pandekten allen
Reizungen der Welt vor und las den Kodex lieber als einen Roman. Solche
Dinge erscheinen heutzutage vielleicht als Geschmacksverirrungen, allein wenn
man sich in die Seele dieser Fürsten hineindenkt, so muß man begreifen, was
aus den römischen Nechtsbüchern ihnen wie eine holde Musik entgegentönte,
die Aussicht, dieselbe Ordnung und Sitte ihrem Lande zuzuwenden, welche
durch die altehrwürdigen Gesetze in Rom und Byzanz so lange gewahrt
worden war, und ein Abbild des römischen Glanzes auch in ihrer Hauptstadt
entstehen zu sehen, in deren Nähe damals noch die Burgen von den Gräueln
der Bauernkriege rauchten, in denen allein Rad und Galgen, glühende Zangen
und Marterwerkzeuge mit Mühe und Not Ordnung zu halten vermochten.

Hier wie nach dem dreißigjährigen Kriege und später in den Freiheits¬
kämpfen erwies sich die altgermanische Treue zum Kriegsherrn als der eigent¬
liche Fels in allen Brandungen der deutschen Geschichte. Was der Papst dem
Mittelalter war, das wurde der Landesherr der Neuzeit. Er setzte die Wieder¬
belebung der alten Kultur fort, befreit von allem Geisteszwange, und sobald die
neue deutsche Sprache, durch Luthers Bibelübersetzung dem Volke geschenkt, sich
genügend eingelebt hatte, so war es der deutsche Fürst, der dem fremden Ge-


Die UnpopularitLt der Jurisprudenz.

zu Nutze machte. Wer daher für Bildung des Volkes war, der war auch für
das römische Recht, seine Feinde waren nur die trägen Gegner der Bildung und
Gesittung, die Widersacher aller Verbesserung und Veredelung, sie bewirkten,
daß das römische Recht so langsam eindrang, daß jene Zeit des Faustrechtes,
der Wiedertäufer, der Bauernkriege und der Gesetzstürmer, wie sie Luther nannte,
hereinbrach. Auch diese Zeit vermag, auf der Bühne dargestellt, uns gewaltig
zu fesseln — denken wir an Goethes Ritter mit der eisernen Hand —, allein
wer wird sie zurückwünschen? Es handelt sich also gegenüber dem römischen
Rechte nicht um eine Rechtsaufnahme, sondern um einen Nechtsaufschwung.

Die Hauptträger dieser Bewegung waren jedoch die deutschen Landes¬
herren, die dem römischen kaiserlichen Weltstaate deutsche Sonderstaaten entgegen¬
setzten. Sie vor allem mußten gegen die römische Macht ein Gegengewicht
schaffen.

Wissenschaft und Kunst, Wohlfahrtspolizei und Rechtspflege wurden aus
der Hand der Kirche genommen. Das, was die Kultur geschaffen hatte, wurde
nunmehr die Grundlage des besondern landesherrlichen Staatswesens. So
entstand auch unsre ^Jug. niatsr in Marburg, eine Hauptpflanzstätte der Zivili¬
sation, welche bisher ein Privileg der Kirche gewesen war und nunmehr auch
dem Staate zu Gute kommen sollte. Sehr bezeichnend ist, was uns von dem
Sohne des Landgrafen Wilhelm des Weisen, dem spätern Landgrafen Moritz
dem Gelehrten, der 1573 hier die Rechte studirte, berichtet wird. Dieser las
Wider ärztliches Verbot des Nachts Justintcms Institutionen und wiederholte
sie mit größtem Eifer, um sie jungen Edelleuten vorzutragen. Sein Zeitgenosse
Herzog Heinrich von Braunschweig zog, wie berichtet wird, die Pandekten allen
Reizungen der Welt vor und las den Kodex lieber als einen Roman. Solche
Dinge erscheinen heutzutage vielleicht als Geschmacksverirrungen, allein wenn
man sich in die Seele dieser Fürsten hineindenkt, so muß man begreifen, was
aus den römischen Nechtsbüchern ihnen wie eine holde Musik entgegentönte,
die Aussicht, dieselbe Ordnung und Sitte ihrem Lande zuzuwenden, welche
durch die altehrwürdigen Gesetze in Rom und Byzanz so lange gewahrt
worden war, und ein Abbild des römischen Glanzes auch in ihrer Hauptstadt
entstehen zu sehen, in deren Nähe damals noch die Burgen von den Gräueln
der Bauernkriege rauchten, in denen allein Rad und Galgen, glühende Zangen
und Marterwerkzeuge mit Mühe und Not Ordnung zu halten vermochten.

Hier wie nach dem dreißigjährigen Kriege und später in den Freiheits¬
kämpfen erwies sich die altgermanische Treue zum Kriegsherrn als der eigent¬
liche Fels in allen Brandungen der deutschen Geschichte. Was der Papst dem
Mittelalter war, das wurde der Landesherr der Neuzeit. Er setzte die Wieder¬
belebung der alten Kultur fort, befreit von allem Geisteszwange, und sobald die
neue deutsche Sprache, durch Luthers Bibelübersetzung dem Volke geschenkt, sich
genügend eingelebt hatte, so war es der deutsche Fürst, der dem fremden Ge-


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[0323] Die UnpopularitLt der Jurisprudenz. zu Nutze machte. Wer daher für Bildung des Volkes war, der war auch für das römische Recht, seine Feinde waren nur die trägen Gegner der Bildung und Gesittung, die Widersacher aller Verbesserung und Veredelung, sie bewirkten, daß das römische Recht so langsam eindrang, daß jene Zeit des Faustrechtes, der Wiedertäufer, der Bauernkriege und der Gesetzstürmer, wie sie Luther nannte, hereinbrach. Auch diese Zeit vermag, auf der Bühne dargestellt, uns gewaltig zu fesseln — denken wir an Goethes Ritter mit der eisernen Hand —, allein wer wird sie zurückwünschen? Es handelt sich also gegenüber dem römischen Rechte nicht um eine Rechtsaufnahme, sondern um einen Nechtsaufschwung. Die Hauptträger dieser Bewegung waren jedoch die deutschen Landes¬ herren, die dem römischen kaiserlichen Weltstaate deutsche Sonderstaaten entgegen¬ setzten. Sie vor allem mußten gegen die römische Macht ein Gegengewicht schaffen. Wissenschaft und Kunst, Wohlfahrtspolizei und Rechtspflege wurden aus der Hand der Kirche genommen. Das, was die Kultur geschaffen hatte, wurde nunmehr die Grundlage des besondern landesherrlichen Staatswesens. So entstand auch unsre ^Jug. niatsr in Marburg, eine Hauptpflanzstätte der Zivili¬ sation, welche bisher ein Privileg der Kirche gewesen war und nunmehr auch dem Staate zu Gute kommen sollte. Sehr bezeichnend ist, was uns von dem Sohne des Landgrafen Wilhelm des Weisen, dem spätern Landgrafen Moritz dem Gelehrten, der 1573 hier die Rechte studirte, berichtet wird. Dieser las Wider ärztliches Verbot des Nachts Justintcms Institutionen und wiederholte sie mit größtem Eifer, um sie jungen Edelleuten vorzutragen. Sein Zeitgenosse Herzog Heinrich von Braunschweig zog, wie berichtet wird, die Pandekten allen Reizungen der Welt vor und las den Kodex lieber als einen Roman. Solche Dinge erscheinen heutzutage vielleicht als Geschmacksverirrungen, allein wenn man sich in die Seele dieser Fürsten hineindenkt, so muß man begreifen, was aus den römischen Nechtsbüchern ihnen wie eine holde Musik entgegentönte, die Aussicht, dieselbe Ordnung und Sitte ihrem Lande zuzuwenden, welche durch die altehrwürdigen Gesetze in Rom und Byzanz so lange gewahrt worden war, und ein Abbild des römischen Glanzes auch in ihrer Hauptstadt entstehen zu sehen, in deren Nähe damals noch die Burgen von den Gräueln der Bauernkriege rauchten, in denen allein Rad und Galgen, glühende Zangen und Marterwerkzeuge mit Mühe und Not Ordnung zu halten vermochten. Hier wie nach dem dreißigjährigen Kriege und später in den Freiheits¬ kämpfen erwies sich die altgermanische Treue zum Kriegsherrn als der eigent¬ liche Fels in allen Brandungen der deutschen Geschichte. Was der Papst dem Mittelalter war, das wurde der Landesherr der Neuzeit. Er setzte die Wieder¬ belebung der alten Kultur fort, befreit von allem Geisteszwange, und sobald die neue deutsche Sprache, durch Luthers Bibelübersetzung dem Volke geschenkt, sich genügend eingelebt hatte, so war es der deutsche Fürst, der dem fremden Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/323>, abgerufen am 01.09.2024.