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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ulrich von Hütten.

düngen, und "Die Anschauenden," worin er in formvollendeter klassischer Ironie
seinem Nationalgefühl und seinen Anschauungen über den Ursprung der schlimmen
Zustände der Zeit den schärfsten Ausdruck verlieh. Er hatte nunmehr den
Boden betreten, auf dem seine Begabung sich am glänzendsten zeigen konnte,
auf dem er aber siegen oder sterben mußte. Das wußte er auch. Aber er
sagte sich: "Ich will lebend dem Vaterlande die Freiheit erkämpfen, wo nicht,
so will ich sterben als freier Mann." Seine Schaffensfreudigkeit schien
ohne Grenzen und seine Leistungsfähigkeit unerschöpflich. Beide zogen ihre
Kraft aus der Eigenschaft seines Wesens, die er selber schön bezeichnet mit
den Worten: "Was kann Hütten erfreuen, das er allein genießen und nicht
fogleich allen Guten mitteilen möchte? oder was mag zur Förderung des ge¬
meinen Nutzens in Deutschland dienlich sein, das er im Verborgenen lassen
dürfte?" Er giebt Schriften heraus, die schon ein paar Jahrhunderte alt sind
und die ihm seinen Kampf nur als ein Glied einer sich fortschlingenden Kette
zeigen. Er begleitet sie mit Vorreden, in denen er alle freien Deutschen auf¬
fordert, unerschrocken auszuharren, "denn durchgebrochen muß endlich werden,
ja durchgebrochen! besonders mit solchen Kräften, so gutem Gewissen, so günstigen
Umständen und bei einer so gerechten Sache!"

Für diese Sache zu wirken, reiste er im Sommer 1520 nach Brüssel, um
Ferdinand, den Bruder des künftigen deutschen Kaisers, persönlich die Lage der
Dinge in Deutschland aus einander zu setzen. Der König von Frankreich war
dem Könige von Spanien unterlegen bei der Bewerbung um den erledigten
Kaiserthron trotz der rührigsten Umtriebe der Kurie, die erst im letzten Augen¬
blick angesichts der offenbaren Aussichtslosigkeit den König von Frankreich hatte
fallen lassen und ihren Widerstand gegen die Erhebung des Königs von Spanien
auf den deutschen Thron ausgegeben hatte. Gab diese Thatsache den Patrioten
nicht eine weitere Berechtigung zu der Hoffnung, daß der junge Kaiser schon
in seinem eignen Interesse sich einer resormfreundlichen Politik zuwenden würde?
Allein Hütten und seine Gesinnungsgenossen, die mehr als er selber an diese
Reise große Hoffnungen gesetzt hatten, sollten sich bitter getäuscht sehen. Und
bei seiner Rückkehr nach Mainz mußte Hütten inne werden, daß seines Bleibens
dort nicht mehr sein könne, da von Rom an den Erzbischof die Weisung ge¬
kommen war, an Hütten wegen seiner Schriften gegen das Papsttum ein
Exempel aufzustellen. So mußte er denn im September 1520 eine Zuflucht
suchen auf Sickingens Schloß, der Ebernburg bei Kreuznach, der nun einige
Jahre hindurch in der deutschen Geschichte eine Bedeutung zukommt, die diese
Stätte für immer geweiht hat. Hatten Reuchlin und dann Luther von dem
ihnen von Sickingen angebotenen Schutz keinen Gebrauch gemacht, so sollte das
gleiche Anerbieten nunmehr doch einen auserwählten Kreis von Männern dort
zusammenführen: außer Hütten den einstigen Feldprediger Sickingens Aquila,
den Weinsberger Öcolampadius, den spätern Reformator von Basel, und Martin


Ulrich von Hütten.

düngen, und „Die Anschauenden," worin er in formvollendeter klassischer Ironie
seinem Nationalgefühl und seinen Anschauungen über den Ursprung der schlimmen
Zustände der Zeit den schärfsten Ausdruck verlieh. Er hatte nunmehr den
Boden betreten, auf dem seine Begabung sich am glänzendsten zeigen konnte,
auf dem er aber siegen oder sterben mußte. Das wußte er auch. Aber er
sagte sich: „Ich will lebend dem Vaterlande die Freiheit erkämpfen, wo nicht,
so will ich sterben als freier Mann." Seine Schaffensfreudigkeit schien
ohne Grenzen und seine Leistungsfähigkeit unerschöpflich. Beide zogen ihre
Kraft aus der Eigenschaft seines Wesens, die er selber schön bezeichnet mit
den Worten: „Was kann Hütten erfreuen, das er allein genießen und nicht
fogleich allen Guten mitteilen möchte? oder was mag zur Förderung des ge¬
meinen Nutzens in Deutschland dienlich sein, das er im Verborgenen lassen
dürfte?" Er giebt Schriften heraus, die schon ein paar Jahrhunderte alt sind
und die ihm seinen Kampf nur als ein Glied einer sich fortschlingenden Kette
zeigen. Er begleitet sie mit Vorreden, in denen er alle freien Deutschen auf¬
fordert, unerschrocken auszuharren, „denn durchgebrochen muß endlich werden,
ja durchgebrochen! besonders mit solchen Kräften, so gutem Gewissen, so günstigen
Umständen und bei einer so gerechten Sache!"

Für diese Sache zu wirken, reiste er im Sommer 1520 nach Brüssel, um
Ferdinand, den Bruder des künftigen deutschen Kaisers, persönlich die Lage der
Dinge in Deutschland aus einander zu setzen. Der König von Frankreich war
dem Könige von Spanien unterlegen bei der Bewerbung um den erledigten
Kaiserthron trotz der rührigsten Umtriebe der Kurie, die erst im letzten Augen¬
blick angesichts der offenbaren Aussichtslosigkeit den König von Frankreich hatte
fallen lassen und ihren Widerstand gegen die Erhebung des Königs von Spanien
auf den deutschen Thron ausgegeben hatte. Gab diese Thatsache den Patrioten
nicht eine weitere Berechtigung zu der Hoffnung, daß der junge Kaiser schon
in seinem eignen Interesse sich einer resormfreundlichen Politik zuwenden würde?
Allein Hütten und seine Gesinnungsgenossen, die mehr als er selber an diese
Reise große Hoffnungen gesetzt hatten, sollten sich bitter getäuscht sehen. Und
bei seiner Rückkehr nach Mainz mußte Hütten inne werden, daß seines Bleibens
dort nicht mehr sein könne, da von Rom an den Erzbischof die Weisung ge¬
kommen war, an Hütten wegen seiner Schriften gegen das Papsttum ein
Exempel aufzustellen. So mußte er denn im September 1520 eine Zuflucht
suchen auf Sickingens Schloß, der Ebernburg bei Kreuznach, der nun einige
Jahre hindurch in der deutschen Geschichte eine Bedeutung zukommt, die diese
Stätte für immer geweiht hat. Hatten Reuchlin und dann Luther von dem
ihnen von Sickingen angebotenen Schutz keinen Gebrauch gemacht, so sollte das
gleiche Anerbieten nunmehr doch einen auserwählten Kreis von Männern dort
zusammenführen: außer Hütten den einstigen Feldprediger Sickingens Aquila,
den Weinsberger Öcolampadius, den spätern Reformator von Basel, und Martin


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[0032] Ulrich von Hütten. düngen, und „Die Anschauenden," worin er in formvollendeter klassischer Ironie seinem Nationalgefühl und seinen Anschauungen über den Ursprung der schlimmen Zustände der Zeit den schärfsten Ausdruck verlieh. Er hatte nunmehr den Boden betreten, auf dem seine Begabung sich am glänzendsten zeigen konnte, auf dem er aber siegen oder sterben mußte. Das wußte er auch. Aber er sagte sich: „Ich will lebend dem Vaterlande die Freiheit erkämpfen, wo nicht, so will ich sterben als freier Mann." Seine Schaffensfreudigkeit schien ohne Grenzen und seine Leistungsfähigkeit unerschöpflich. Beide zogen ihre Kraft aus der Eigenschaft seines Wesens, die er selber schön bezeichnet mit den Worten: „Was kann Hütten erfreuen, das er allein genießen und nicht fogleich allen Guten mitteilen möchte? oder was mag zur Förderung des ge¬ meinen Nutzens in Deutschland dienlich sein, das er im Verborgenen lassen dürfte?" Er giebt Schriften heraus, die schon ein paar Jahrhunderte alt sind und die ihm seinen Kampf nur als ein Glied einer sich fortschlingenden Kette zeigen. Er begleitet sie mit Vorreden, in denen er alle freien Deutschen auf¬ fordert, unerschrocken auszuharren, „denn durchgebrochen muß endlich werden, ja durchgebrochen! besonders mit solchen Kräften, so gutem Gewissen, so günstigen Umständen und bei einer so gerechten Sache!" Für diese Sache zu wirken, reiste er im Sommer 1520 nach Brüssel, um Ferdinand, den Bruder des künftigen deutschen Kaisers, persönlich die Lage der Dinge in Deutschland aus einander zu setzen. Der König von Frankreich war dem Könige von Spanien unterlegen bei der Bewerbung um den erledigten Kaiserthron trotz der rührigsten Umtriebe der Kurie, die erst im letzten Augen¬ blick angesichts der offenbaren Aussichtslosigkeit den König von Frankreich hatte fallen lassen und ihren Widerstand gegen die Erhebung des Königs von Spanien auf den deutschen Thron ausgegeben hatte. Gab diese Thatsache den Patrioten nicht eine weitere Berechtigung zu der Hoffnung, daß der junge Kaiser schon in seinem eignen Interesse sich einer resormfreundlichen Politik zuwenden würde? Allein Hütten und seine Gesinnungsgenossen, die mehr als er selber an diese Reise große Hoffnungen gesetzt hatten, sollten sich bitter getäuscht sehen. Und bei seiner Rückkehr nach Mainz mußte Hütten inne werden, daß seines Bleibens dort nicht mehr sein könne, da von Rom an den Erzbischof die Weisung ge¬ kommen war, an Hütten wegen seiner Schriften gegen das Papsttum ein Exempel aufzustellen. So mußte er denn im September 1520 eine Zuflucht suchen auf Sickingens Schloß, der Ebernburg bei Kreuznach, der nun einige Jahre hindurch in der deutschen Geschichte eine Bedeutung zukommt, die diese Stätte für immer geweiht hat. Hatten Reuchlin und dann Luther von dem ihnen von Sickingen angebotenen Schutz keinen Gebrauch gemacht, so sollte das gleiche Anerbieten nunmehr doch einen auserwählten Kreis von Männern dort zusammenführen: außer Hütten den einstigen Feldprediger Sickingens Aquila, den Weinsberger Öcolampadius, den spätern Reformator von Basel, und Martin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/32>, abgerufen am 01.09.2024.