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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

des Lebens. Welch schmerzliche Geringschätzung erweckte das nicht in dem
Knaben, wie wachsam und beobachtend machte es ihn! Er wußte ja nicht, daß
das, was Herr Bigum bei den Menschen mit verächtlichen Namen bezeichnete,
ganz anders genannt wurde, wenn es sich um ihn selber handelte, und daß seine
olympische Ruhe dem gegenüber, was die Menschen in Erregung versetzte, das
verächtliche Lächeln eines Titanen war, voll von Erinnerungen an das Sehnen
der Titanen, an die Leidenschaften der Titanen.




Fünftes Rapitel.

Ungefähr ein Jahr nach Edelens Tode verlor eine von Lyhnes Kusinen
ihren Mann, den Thonwaarenfabrikanten Refstrnp. Das Geschäft war nie¬
mals glänzend gewesen, die lange Krankheit des Mannes hatte es noch
mehr in Verfall gebracht, und die Witwe stand bei seinem Tode am Rande der
Armut. Sieben Kinder waren mehr, als sie versorgen konnte. Die beiden
jüngsten, sowie der älteste Sohn, der schon in der Fabrik thätig war, blieben
bei ihr, die übrigen nahm die Familie zu sich. Zu Lyhnes kam der Zweit¬
älteste Sohn. Er hieß Erik, war vierzehn Jahre alt und hatte eine Freistelle
in der Lateinschule der Stadt gehabt; jetzt sollte er von Herrn Bigum zusammen
mit Ricks und Frithjof Petersen, des Pfarrers Frithjof, unterrichtet werden.

Er hatte sich nicht aus freien Stücken zum Studiren entschlossen, denn er
wollte Bildhauer werden. Der Vater hatte gesagt, das sei Unsinn, Lhyne jedoch
hatte nichts dagegen einzuwenden, weil er Talent bei dem Knaben vermutete.
Doch wünschte er, daß dieser erst seine Abgangsprüfung bestehe, dann habe er
stets einen festen Stützpunkt, außerdem sei ja klassische Bildung für einen Bild¬
hauer notwendig oder doch wünschenswert.

Dabei blieb es denn vorläufig, und Erik mußte sich mit der nicht unbe¬
deutenden Sammlung von guten Kupferstichen und hübschen Bronzen trösten,
die sich auf Lönborggaard befand. Das war schon immer etwas großes für
jemand, der bis dahin nichts gesehen hatte als den alten Plunder, den ein
mehr sonderbarer als kunstverständiger Drechsler der Bibliothek seiner Vaterstadt
geschenkt hatte, und es währte nicht lange, so war Erik mit Bleifeder und
Modellirstift thätig. Nichts sagte ihm so sehr zu wie Guido Nein, der ja auch
in jenen Tagen einen größern Namen hatte als Raphael und die hervor¬
ragendsten Meister; und es giebt wohl kaum etwas, das junge Augen besser
für die Schönheiten eines Kunstwerkes öffnet, als die feste Überzeugung, daß
ihre Bewunderung ermächtigt ist bis zu den höchsten Höhen hinauf; Andrea del
Sarto, Parmegianino und Luini, die später, als sein Talent und er einander
gefunden hatten, soviel für ihn werden sollten, die ließen ihn jetzt gleichgiltig,
während das Gesunde bei Tintoretto, das Bittere bei Salvatore Rosa und


Ricks Lyhne.

des Lebens. Welch schmerzliche Geringschätzung erweckte das nicht in dem
Knaben, wie wachsam und beobachtend machte es ihn! Er wußte ja nicht, daß
das, was Herr Bigum bei den Menschen mit verächtlichen Namen bezeichnete,
ganz anders genannt wurde, wenn es sich um ihn selber handelte, und daß seine
olympische Ruhe dem gegenüber, was die Menschen in Erregung versetzte, das
verächtliche Lächeln eines Titanen war, voll von Erinnerungen an das Sehnen
der Titanen, an die Leidenschaften der Titanen.




Fünftes Rapitel.

Ungefähr ein Jahr nach Edelens Tode verlor eine von Lyhnes Kusinen
ihren Mann, den Thonwaarenfabrikanten Refstrnp. Das Geschäft war nie¬
mals glänzend gewesen, die lange Krankheit des Mannes hatte es noch
mehr in Verfall gebracht, und die Witwe stand bei seinem Tode am Rande der
Armut. Sieben Kinder waren mehr, als sie versorgen konnte. Die beiden
jüngsten, sowie der älteste Sohn, der schon in der Fabrik thätig war, blieben
bei ihr, die übrigen nahm die Familie zu sich. Zu Lyhnes kam der Zweit¬
älteste Sohn. Er hieß Erik, war vierzehn Jahre alt und hatte eine Freistelle
in der Lateinschule der Stadt gehabt; jetzt sollte er von Herrn Bigum zusammen
mit Ricks und Frithjof Petersen, des Pfarrers Frithjof, unterrichtet werden.

Er hatte sich nicht aus freien Stücken zum Studiren entschlossen, denn er
wollte Bildhauer werden. Der Vater hatte gesagt, das sei Unsinn, Lhyne jedoch
hatte nichts dagegen einzuwenden, weil er Talent bei dem Knaben vermutete.
Doch wünschte er, daß dieser erst seine Abgangsprüfung bestehe, dann habe er
stets einen festen Stützpunkt, außerdem sei ja klassische Bildung für einen Bild¬
hauer notwendig oder doch wünschenswert.

Dabei blieb es denn vorläufig, und Erik mußte sich mit der nicht unbe¬
deutenden Sammlung von guten Kupferstichen und hübschen Bronzen trösten,
die sich auf Lönborggaard befand. Das war schon immer etwas großes für
jemand, der bis dahin nichts gesehen hatte als den alten Plunder, den ein
mehr sonderbarer als kunstverständiger Drechsler der Bibliothek seiner Vaterstadt
geschenkt hatte, und es währte nicht lange, so war Erik mit Bleifeder und
Modellirstift thätig. Nichts sagte ihm so sehr zu wie Guido Nein, der ja auch
in jenen Tagen einen größern Namen hatte als Raphael und die hervor¬
ragendsten Meister; und es giebt wohl kaum etwas, das junge Augen besser
für die Schönheiten eines Kunstwerkes öffnet, als die feste Überzeugung, daß
ihre Bewunderung ermächtigt ist bis zu den höchsten Höhen hinauf; Andrea del
Sarto, Parmegianino und Luini, die später, als sein Talent und er einander
gefunden hatten, soviel für ihn werden sollten, die ließen ihn jetzt gleichgiltig,
während das Gesunde bei Tintoretto, das Bittere bei Salvatore Rosa und


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[0298] Ricks Lyhne. des Lebens. Welch schmerzliche Geringschätzung erweckte das nicht in dem Knaben, wie wachsam und beobachtend machte es ihn! Er wußte ja nicht, daß das, was Herr Bigum bei den Menschen mit verächtlichen Namen bezeichnete, ganz anders genannt wurde, wenn es sich um ihn selber handelte, und daß seine olympische Ruhe dem gegenüber, was die Menschen in Erregung versetzte, das verächtliche Lächeln eines Titanen war, voll von Erinnerungen an das Sehnen der Titanen, an die Leidenschaften der Titanen. Fünftes Rapitel. Ungefähr ein Jahr nach Edelens Tode verlor eine von Lyhnes Kusinen ihren Mann, den Thonwaarenfabrikanten Refstrnp. Das Geschäft war nie¬ mals glänzend gewesen, die lange Krankheit des Mannes hatte es noch mehr in Verfall gebracht, und die Witwe stand bei seinem Tode am Rande der Armut. Sieben Kinder waren mehr, als sie versorgen konnte. Die beiden jüngsten, sowie der älteste Sohn, der schon in der Fabrik thätig war, blieben bei ihr, die übrigen nahm die Familie zu sich. Zu Lyhnes kam der Zweit¬ älteste Sohn. Er hieß Erik, war vierzehn Jahre alt und hatte eine Freistelle in der Lateinschule der Stadt gehabt; jetzt sollte er von Herrn Bigum zusammen mit Ricks und Frithjof Petersen, des Pfarrers Frithjof, unterrichtet werden. Er hatte sich nicht aus freien Stücken zum Studiren entschlossen, denn er wollte Bildhauer werden. Der Vater hatte gesagt, das sei Unsinn, Lhyne jedoch hatte nichts dagegen einzuwenden, weil er Talent bei dem Knaben vermutete. Doch wünschte er, daß dieser erst seine Abgangsprüfung bestehe, dann habe er stets einen festen Stützpunkt, außerdem sei ja klassische Bildung für einen Bild¬ hauer notwendig oder doch wünschenswert. Dabei blieb es denn vorläufig, und Erik mußte sich mit der nicht unbe¬ deutenden Sammlung von guten Kupferstichen und hübschen Bronzen trösten, die sich auf Lönborggaard befand. Das war schon immer etwas großes für jemand, der bis dahin nichts gesehen hatte als den alten Plunder, den ein mehr sonderbarer als kunstverständiger Drechsler der Bibliothek seiner Vaterstadt geschenkt hatte, und es währte nicht lange, so war Erik mit Bleifeder und Modellirstift thätig. Nichts sagte ihm so sehr zu wie Guido Nein, der ja auch in jenen Tagen einen größern Namen hatte als Raphael und die hervor¬ ragendsten Meister; und es giebt wohl kaum etwas, das junge Augen besser für die Schönheiten eines Kunstwerkes öffnet, als die feste Überzeugung, daß ihre Bewunderung ermächtigt ist bis zu den höchsten Höhen hinauf; Andrea del Sarto, Parmegianino und Luini, die später, als sein Talent und er einander gefunden hatten, soviel für ihn werden sollten, die ließen ihn jetzt gleichgiltig, während das Gesunde bei Tintoretto, das Bittere bei Salvatore Rosa und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/298>, abgerufen am 27.07.2024.