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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen aus Irland.

ssi-MA
^MMn der letzten Zeit haben revolutionäre Bewegungen in Irland
von neuem gezeigt, daß die Aufgabe, dem unglücklichen Lande
dauernden innern Frieden und gesunde soziale Verhältnisse zu
geben, noch nicht erheblich gefördert ist. Immer wieder erhebt
die Landliga ihr Haupt, immer wieder kommt es zu blutigen
Begegnungen zwischen ihren Anhängern und dem Polizeiheer, und immer wieder
lähmt die Schreckensherrschaft einer empörten Volksmenge jede gedeihliche Ent¬
wicklung des der Ruhe so sehr bedürftigen Landes. In solch einer Zeit
werden die Erfahrungen, die der Verfasser dieser Zeilen während eines beinahe
sechsjährigen Aufenthaltes in Irland gesammelt hat, vielleicht für manchen von
Interesse sein und zu einer genauern Kenntnis und richtigern Beurteilung des
Landes führen. Überdies wird der Deutsche im allgemeinen irische Zustände un¬
befangener schildern können als der Engländer, der die Schuld seines Vater¬
landes an dem Elende Irlands rundweg ableugnet, aber auch unbefangener,
als der Amerikaner oder Franzose, der den Grund des Übels hauptsächlich im
Anschluß an die englische Monarchie sucht.

Im Sommer 1874 hatte ich in England Verwandte besucht und nahm
von Jork aus die mir angebotene Erzieherstelle in dem Hause eines im Nord¬
westen Irlands wohnenden Großgrundbesitzers englischer Nationalität an. Schon
die Überfahrt von England nach der grünen Insel war denkwürdig. Hätte
Falb damals schon die Leute mit seinen kritischen Tagen geschreckt, so hätte ich
jedenfalls die Nacht vom 21. auf den 22. September nicht zur Überfahrt ge¬
wählt; freilich waren für mich, der ich mit Reisegeld nicht gerade überreich
ausgestattet war, neben den "Flutfccktorcn" anch noch "Ebbefaktoren" ma߬
gebend. Als ich gegen elf Uhr nachts in Holyhead an Bord des nach Greenore
bestimmten Dampfers ging, heulte der Sturm in einer solchen Weise, daß
selbst der wetterfesten Schiffsmannschaft etwas unbehaglich zu Mute zu sein
schien. Gegen zwölf Uhr nachts setzte sich das Schiff in Bewegung, und nun
begann eine Fahrt, wie ich sie nie wieder erlebt habe, obgleich ich viele See¬
reisen gemacht und tagelang in dem berüchtigten Meerbusen von Biscaya unter
den Unbilden der Witterung und einem bedenklichen Seegange zu leiden gehabt
habe. Ich habe einmal sagen hören, während der ersten Stunde fürchte der




Erinnerungen aus Irland.

ssi-MA
^MMn der letzten Zeit haben revolutionäre Bewegungen in Irland
von neuem gezeigt, daß die Aufgabe, dem unglücklichen Lande
dauernden innern Frieden und gesunde soziale Verhältnisse zu
geben, noch nicht erheblich gefördert ist. Immer wieder erhebt
die Landliga ihr Haupt, immer wieder kommt es zu blutigen
Begegnungen zwischen ihren Anhängern und dem Polizeiheer, und immer wieder
lähmt die Schreckensherrschaft einer empörten Volksmenge jede gedeihliche Ent¬
wicklung des der Ruhe so sehr bedürftigen Landes. In solch einer Zeit
werden die Erfahrungen, die der Verfasser dieser Zeilen während eines beinahe
sechsjährigen Aufenthaltes in Irland gesammelt hat, vielleicht für manchen von
Interesse sein und zu einer genauern Kenntnis und richtigern Beurteilung des
Landes führen. Überdies wird der Deutsche im allgemeinen irische Zustände un¬
befangener schildern können als der Engländer, der die Schuld seines Vater¬
landes an dem Elende Irlands rundweg ableugnet, aber auch unbefangener,
als der Amerikaner oder Franzose, der den Grund des Übels hauptsächlich im
Anschluß an die englische Monarchie sucht.

Im Sommer 1874 hatte ich in England Verwandte besucht und nahm
von Jork aus die mir angebotene Erzieherstelle in dem Hause eines im Nord¬
westen Irlands wohnenden Großgrundbesitzers englischer Nationalität an. Schon
die Überfahrt von England nach der grünen Insel war denkwürdig. Hätte
Falb damals schon die Leute mit seinen kritischen Tagen geschreckt, so hätte ich
jedenfalls die Nacht vom 21. auf den 22. September nicht zur Überfahrt ge¬
wählt; freilich waren für mich, der ich mit Reisegeld nicht gerade überreich
ausgestattet war, neben den „Flutfccktorcn" anch noch „Ebbefaktoren" ma߬
gebend. Als ich gegen elf Uhr nachts in Holyhead an Bord des nach Greenore
bestimmten Dampfers ging, heulte der Sturm in einer solchen Weise, daß
selbst der wetterfesten Schiffsmannschaft etwas unbehaglich zu Mute zu sein
schien. Gegen zwölf Uhr nachts setzte sich das Schiff in Bewegung, und nun
begann eine Fahrt, wie ich sie nie wieder erlebt habe, obgleich ich viele See¬
reisen gemacht und tagelang in dem berüchtigten Meerbusen von Biscaya unter
den Unbilden der Witterung und einem bedenklichen Seegange zu leiden gehabt
habe. Ich habe einmal sagen hören, während der ersten Stunde fürchte der


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[0286] [Abbildung] Erinnerungen aus Irland. ssi-MA ^MMn der letzten Zeit haben revolutionäre Bewegungen in Irland von neuem gezeigt, daß die Aufgabe, dem unglücklichen Lande dauernden innern Frieden und gesunde soziale Verhältnisse zu geben, noch nicht erheblich gefördert ist. Immer wieder erhebt die Landliga ihr Haupt, immer wieder kommt es zu blutigen Begegnungen zwischen ihren Anhängern und dem Polizeiheer, und immer wieder lähmt die Schreckensherrschaft einer empörten Volksmenge jede gedeihliche Ent¬ wicklung des der Ruhe so sehr bedürftigen Landes. In solch einer Zeit werden die Erfahrungen, die der Verfasser dieser Zeilen während eines beinahe sechsjährigen Aufenthaltes in Irland gesammelt hat, vielleicht für manchen von Interesse sein und zu einer genauern Kenntnis und richtigern Beurteilung des Landes führen. Überdies wird der Deutsche im allgemeinen irische Zustände un¬ befangener schildern können als der Engländer, der die Schuld seines Vater¬ landes an dem Elende Irlands rundweg ableugnet, aber auch unbefangener, als der Amerikaner oder Franzose, der den Grund des Übels hauptsächlich im Anschluß an die englische Monarchie sucht. Im Sommer 1874 hatte ich in England Verwandte besucht und nahm von Jork aus die mir angebotene Erzieherstelle in dem Hause eines im Nord¬ westen Irlands wohnenden Großgrundbesitzers englischer Nationalität an. Schon die Überfahrt von England nach der grünen Insel war denkwürdig. Hätte Falb damals schon die Leute mit seinen kritischen Tagen geschreckt, so hätte ich jedenfalls die Nacht vom 21. auf den 22. September nicht zur Überfahrt ge¬ wählt; freilich waren für mich, der ich mit Reisegeld nicht gerade überreich ausgestattet war, neben den „Flutfccktorcn" anch noch „Ebbefaktoren" ma߬ gebend. Als ich gegen elf Uhr nachts in Holyhead an Bord des nach Greenore bestimmten Dampfers ging, heulte der Sturm in einer solchen Weise, daß selbst der wetterfesten Schiffsmannschaft etwas unbehaglich zu Mute zu sein schien. Gegen zwölf Uhr nachts setzte sich das Schiff in Bewegung, und nun begann eine Fahrt, wie ich sie nie wieder erlebt habe, obgleich ich viele See¬ reisen gemacht und tagelang in dem berüchtigten Meerbusen von Biscaya unter den Unbilden der Witterung und einem bedenklichen Seegange zu leiden gehabt habe. Ich habe einmal sagen hören, während der ersten Stunde fürchte der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/286>, abgerufen am 28.07.2024.