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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum,

Tochter, Anna Maria, glücklich vermehrt worden. Der Oheim seiner Gattin,
Johann Jost Lindheimer, hatte es durchgesetzt, daß er und seine beiden Neffen,
Textors Schwäger, unter dem Namen von Lindheim in den Ncichsadcl erhoben
wurden; er selbst hatte nur eine nach Vraunschweig verheiratete Tochter. Seine
Gattin verlor er bald darauf, im November 1735. Trotz der vornehmen Ver¬
wandtschaft lebte Textor mit feiner Familie äußerst schlicht und einfach, nichts
lag ihm ferner als eitler Stolz und dadurch veranlaßte Verschwendung; mit
gewöhnlichen Bürgern und Handwerkern verkehrte er ebenso freundlich wie
mit den Vornehmen. Seine einzige Frende und Erholung fand der rastlos
thätige Mann in dem stillen Familienkreise und in der Bearbeitung seines
Gartens, den er selbst mit Hilfe eines Gärtners aufs sorgfältigste pflegte; be¬
sonders wachsam sorgte er für die Obstbäume, stellte freilich auch mit seinem
Gartennachbar, dem Prediger Schleiffer, der von 1725 bis 1742 in Frankfurt
stand, manche wunderliche Pfropfungsversuche an. Sein unterdessen Major ge¬
wordener Bruder heiratete am 22. November 1747 die nach kurzer Ehe ver¬
witwete Katharina Elisabeth von Barckhausen, geborne von Klettenberg, deren
Gatte Kapitäuleutnant gewesen war. Für das Jahr 1738 ward Textor zum
ältern Bürgermeister gewählt. Nach zwei weitern Töchtern, von denen aber nur
die zweite, am 18. August 1738 auf den Namen Anna Maria getaufte das erste
Jahr überlebte, wurde er endlich am 30. September 1739 durch einen Sohn be¬
glückt, dem er nicht wie den beiden früh verstorbenen seinen Namen Wolf¬
gang gab, sondern er nannte ihn, wahrscheinlich nach von Lindheim, Johann
Jost. Diese Vornamen hatte auch der 1737 geborene Sohn seines Schwagers
von Lom erhalten. Am Anfange des Jahres 1740 verlor er seine wohl mit
der Mutter bei ihm lebende ledige Schwester Anna Maria und ein Jahr später
auch diese. 1741 versah er ein halbes Jahr lang stellvertretend das Amt des
ältern Bürgermeisters. In Wetzlar hatte sich damals die jüngste Schwester
seiner Gattin, Susanna Maria Cornelia, mit dem Prokurator und Advokaten
des Kammergerichts Hofrat Dr. Dich vermählt. Der Sage nach soll diese
einige Jahre im Hause Textors erzogen worden sein. Wir haben somit alle
vier Schwestern von Goethes Großmutter kennen gelernt. Demnach muß die
Angabe des Kommandanten eines württembergischen Regiments namens Hoff-
mcinn, der im April 1813 bei Karl von Stein zu Kochberg im Quartier lag
und später bei Bautzen fiel, seine und Goethes Mutter seien Geschwisterkinder
gewesen, wenigstens ungenau sein.

Eine der glänzendsten Kaiserkrönnngen erlebte Frankfurt, als Kurfürst Karl
Albrecht von Baiern, der Österreich mit Hilfe Frankreichs und Spaniens nieder¬
geworfen hatte, zum Kaiser erwählt worden war; denn beide Mächte und der
Bruder des neuen Kaisers, welcher Kurfürst vou Köln war, verschwendeten große
Summen, um die am 12. Februar 1742 stattfindende Krönung mit höchstem
Prunke auszustatten. Als Schöffe nahm Textor am Empfange und an allen


Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum,

Tochter, Anna Maria, glücklich vermehrt worden. Der Oheim seiner Gattin,
Johann Jost Lindheimer, hatte es durchgesetzt, daß er und seine beiden Neffen,
Textors Schwäger, unter dem Namen von Lindheim in den Ncichsadcl erhoben
wurden; er selbst hatte nur eine nach Vraunschweig verheiratete Tochter. Seine
Gattin verlor er bald darauf, im November 1735. Trotz der vornehmen Ver¬
wandtschaft lebte Textor mit feiner Familie äußerst schlicht und einfach, nichts
lag ihm ferner als eitler Stolz und dadurch veranlaßte Verschwendung; mit
gewöhnlichen Bürgern und Handwerkern verkehrte er ebenso freundlich wie
mit den Vornehmen. Seine einzige Frende und Erholung fand der rastlos
thätige Mann in dem stillen Familienkreise und in der Bearbeitung seines
Gartens, den er selbst mit Hilfe eines Gärtners aufs sorgfältigste pflegte; be¬
sonders wachsam sorgte er für die Obstbäume, stellte freilich auch mit seinem
Gartennachbar, dem Prediger Schleiffer, der von 1725 bis 1742 in Frankfurt
stand, manche wunderliche Pfropfungsversuche an. Sein unterdessen Major ge¬
wordener Bruder heiratete am 22. November 1747 die nach kurzer Ehe ver¬
witwete Katharina Elisabeth von Barckhausen, geborne von Klettenberg, deren
Gatte Kapitäuleutnant gewesen war. Für das Jahr 1738 ward Textor zum
ältern Bürgermeister gewählt. Nach zwei weitern Töchtern, von denen aber nur
die zweite, am 18. August 1738 auf den Namen Anna Maria getaufte das erste
Jahr überlebte, wurde er endlich am 30. September 1739 durch einen Sohn be¬
glückt, dem er nicht wie den beiden früh verstorbenen seinen Namen Wolf¬
gang gab, sondern er nannte ihn, wahrscheinlich nach von Lindheim, Johann
Jost. Diese Vornamen hatte auch der 1737 geborene Sohn seines Schwagers
von Lom erhalten. Am Anfange des Jahres 1740 verlor er seine wohl mit
der Mutter bei ihm lebende ledige Schwester Anna Maria und ein Jahr später
auch diese. 1741 versah er ein halbes Jahr lang stellvertretend das Amt des
ältern Bürgermeisters. In Wetzlar hatte sich damals die jüngste Schwester
seiner Gattin, Susanna Maria Cornelia, mit dem Prokurator und Advokaten
des Kammergerichts Hofrat Dr. Dich vermählt. Der Sage nach soll diese
einige Jahre im Hause Textors erzogen worden sein. Wir haben somit alle
vier Schwestern von Goethes Großmutter kennen gelernt. Demnach muß die
Angabe des Kommandanten eines württembergischen Regiments namens Hoff-
mcinn, der im April 1813 bei Karl von Stein zu Kochberg im Quartier lag
und später bei Bautzen fiel, seine und Goethes Mutter seien Geschwisterkinder
gewesen, wenigstens ungenau sein.

Eine der glänzendsten Kaiserkrönnngen erlebte Frankfurt, als Kurfürst Karl
Albrecht von Baiern, der Österreich mit Hilfe Frankreichs und Spaniens nieder¬
geworfen hatte, zum Kaiser erwählt worden war; denn beide Mächte und der
Bruder des neuen Kaisers, welcher Kurfürst vou Köln war, verschwendeten große
Summen, um die am 12. Februar 1742 stattfindende Krönung mit höchstem
Prunke auszustatten. Als Schöffe nahm Textor am Empfange und an allen


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[0271] Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum, Tochter, Anna Maria, glücklich vermehrt worden. Der Oheim seiner Gattin, Johann Jost Lindheimer, hatte es durchgesetzt, daß er und seine beiden Neffen, Textors Schwäger, unter dem Namen von Lindheim in den Ncichsadcl erhoben wurden; er selbst hatte nur eine nach Vraunschweig verheiratete Tochter. Seine Gattin verlor er bald darauf, im November 1735. Trotz der vornehmen Ver¬ wandtschaft lebte Textor mit feiner Familie äußerst schlicht und einfach, nichts lag ihm ferner als eitler Stolz und dadurch veranlaßte Verschwendung; mit gewöhnlichen Bürgern und Handwerkern verkehrte er ebenso freundlich wie mit den Vornehmen. Seine einzige Frende und Erholung fand der rastlos thätige Mann in dem stillen Familienkreise und in der Bearbeitung seines Gartens, den er selbst mit Hilfe eines Gärtners aufs sorgfältigste pflegte; be¬ sonders wachsam sorgte er für die Obstbäume, stellte freilich auch mit seinem Gartennachbar, dem Prediger Schleiffer, der von 1725 bis 1742 in Frankfurt stand, manche wunderliche Pfropfungsversuche an. Sein unterdessen Major ge¬ wordener Bruder heiratete am 22. November 1747 die nach kurzer Ehe ver¬ witwete Katharina Elisabeth von Barckhausen, geborne von Klettenberg, deren Gatte Kapitäuleutnant gewesen war. Für das Jahr 1738 ward Textor zum ältern Bürgermeister gewählt. Nach zwei weitern Töchtern, von denen aber nur die zweite, am 18. August 1738 auf den Namen Anna Maria getaufte das erste Jahr überlebte, wurde er endlich am 30. September 1739 durch einen Sohn be¬ glückt, dem er nicht wie den beiden früh verstorbenen seinen Namen Wolf¬ gang gab, sondern er nannte ihn, wahrscheinlich nach von Lindheim, Johann Jost. Diese Vornamen hatte auch der 1737 geborene Sohn seines Schwagers von Lom erhalten. Am Anfange des Jahres 1740 verlor er seine wohl mit der Mutter bei ihm lebende ledige Schwester Anna Maria und ein Jahr später auch diese. 1741 versah er ein halbes Jahr lang stellvertretend das Amt des ältern Bürgermeisters. In Wetzlar hatte sich damals die jüngste Schwester seiner Gattin, Susanna Maria Cornelia, mit dem Prokurator und Advokaten des Kammergerichts Hofrat Dr. Dich vermählt. Der Sage nach soll diese einige Jahre im Hause Textors erzogen worden sein. Wir haben somit alle vier Schwestern von Goethes Großmutter kennen gelernt. Demnach muß die Angabe des Kommandanten eines württembergischen Regiments namens Hoff- mcinn, der im April 1813 bei Karl von Stein zu Kochberg im Quartier lag und später bei Bautzen fiel, seine und Goethes Mutter seien Geschwisterkinder gewesen, wenigstens ungenau sein. Eine der glänzendsten Kaiserkrönnngen erlebte Frankfurt, als Kurfürst Karl Albrecht von Baiern, der Österreich mit Hilfe Frankreichs und Spaniens nieder¬ geworfen hatte, zum Kaiser erwählt worden war; denn beide Mächte und der Bruder des neuen Kaisers, welcher Kurfürst vou Köln war, verschwendeten große Summen, um die am 12. Februar 1742 stattfindende Krönung mit höchstem Prunke auszustatten. Als Schöffe nahm Textor am Empfange und an allen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/271>, abgerufen am 28.07.2024.