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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ulrich von Hütten.

Zunächst lebte er in Pavia seinen Studien, dann, durch die Kriegswirren Ver¬
trieben, in Bologna; zuletzt suchte er, durch die Not gezwungen, sein Brot in
den Reihen des kaiserlichen Heeres.

Die Eindrücke, welche die Zustände in Italien in ihm zurückließen, ver¬
raten uns seine damals niedergesehriebenen Epigramme, die eben so viele scharf
geschliffene Pfeile sind. Zwar bieten sie nach einer Seite hin nichts neues,
indem sie nur in vollendeter Form die alten, schon dreihundert Jahre vorher in
Freidanks "Bescheidenheit" angestimmten, seit einem Jahrhundert aber immer
dringender sich erhebenden Klagen über die Mißbräuche des herrschenden Systems
in der Kirche wieder erschallen lassen. Dennoch tritt mit diesen Epigrammen
in Huttens Entwicklung ein neues Element auf, das dem Humanismus seinem
Wesen nach fern liegen mußte, das nationale.

Nach Deutschland zurückgekehrt, bot sich ihm Aussicht, in den Dienst des
jungen Kurfürsten und Erzbischofs von Mainz, des Hohenzollern Albrecht, zu
kommen, als ein gemeinsames Unglück der Huttenschen Familie eine Aussöhnung
mit seinem Vater herbeiführen half. Hans von Hütten, der Sohn seines
Oheims Ludwig, der ihm während seiner entbehrungsreichen Wanderjahre hin
und wieder Unterstützung hatte zukommen lassen, war das Opfer einer un¬
seligen Leidenschaft des heißblütigen Herzogs Ulrich von Württemberg geworden.
Die tiefe Verstimmung des Adels gegen die aufblühende Fürstenmacht vereinigte
sich nun in Hütten mit dem heftig aufwallenden Zorn als Glied der schwer
beleidigten Familie und fand einen mächtigen Ausdruck in den "Reden" gegen
den Herzog, in denen Huttens innerste Natur zum erstenmale durchbrach und
über die Schranken der schulmäßigen humanistischen Rhetorik hinausstrebte.

Das wichtigste für Hütten war im Augenblick aber die erreichte Aus¬
söhnung mit seiner Familie. Sein Vater hielt ihn immer noch für einen
Thunichtgut, der es zu nichts gebracht habe, und Hütten selbst scheint ihm
einigermaßen Recht gegeben zu haben, indem er sich entschloß, mit des Vaters
und des Erzbischofs von Mainz Unterstützung nunmehr alles Ernstes das
Studium der Rechtswissenschaft zu betreiben, um sich für die Stellung als
Rat eines Fürsten zu befähigen.

So finden wir ihn noch vor Erledigung des Streites seiner Familie mit
dem Herzog wieder in Italien und zwar in Rom. Wer aber glauben wollte,
daß Hütten, der Humanist, nun in den klassischen Erinnerungen der ewigen
Stadt geschwelgt habe, der würde irren. Was er sieht, ist nur die tiefe Ver¬
derbnis, die in ganz Rom und vor allem am Hofe des Medizeers Leo X.
herrscht, und was ihn erfüllt, ist der bittere Gedanke, daß Deutschland sich von
diesen Welschen knechten lasse, denen Maximilian I. förmlich zum Spott ge¬
worden war. Des deutschen Ritters Empörung sollte sich denn auch bald Lust
machen. Bei einem Ausfluge, den er in Gesellschaft eines Freundes von Rom
aus nach Viterbo machte, mußten sie anhören, wie fünf Franzosen ihren Spott


Ulrich von Hütten.

Zunächst lebte er in Pavia seinen Studien, dann, durch die Kriegswirren Ver¬
trieben, in Bologna; zuletzt suchte er, durch die Not gezwungen, sein Brot in
den Reihen des kaiserlichen Heeres.

Die Eindrücke, welche die Zustände in Italien in ihm zurückließen, ver¬
raten uns seine damals niedergesehriebenen Epigramme, die eben so viele scharf
geschliffene Pfeile sind. Zwar bieten sie nach einer Seite hin nichts neues,
indem sie nur in vollendeter Form die alten, schon dreihundert Jahre vorher in
Freidanks „Bescheidenheit" angestimmten, seit einem Jahrhundert aber immer
dringender sich erhebenden Klagen über die Mißbräuche des herrschenden Systems
in der Kirche wieder erschallen lassen. Dennoch tritt mit diesen Epigrammen
in Huttens Entwicklung ein neues Element auf, das dem Humanismus seinem
Wesen nach fern liegen mußte, das nationale.

Nach Deutschland zurückgekehrt, bot sich ihm Aussicht, in den Dienst des
jungen Kurfürsten und Erzbischofs von Mainz, des Hohenzollern Albrecht, zu
kommen, als ein gemeinsames Unglück der Huttenschen Familie eine Aussöhnung
mit seinem Vater herbeiführen half. Hans von Hütten, der Sohn seines
Oheims Ludwig, der ihm während seiner entbehrungsreichen Wanderjahre hin
und wieder Unterstützung hatte zukommen lassen, war das Opfer einer un¬
seligen Leidenschaft des heißblütigen Herzogs Ulrich von Württemberg geworden.
Die tiefe Verstimmung des Adels gegen die aufblühende Fürstenmacht vereinigte
sich nun in Hütten mit dem heftig aufwallenden Zorn als Glied der schwer
beleidigten Familie und fand einen mächtigen Ausdruck in den „Reden" gegen
den Herzog, in denen Huttens innerste Natur zum erstenmale durchbrach und
über die Schranken der schulmäßigen humanistischen Rhetorik hinausstrebte.

Das wichtigste für Hütten war im Augenblick aber die erreichte Aus¬
söhnung mit seiner Familie. Sein Vater hielt ihn immer noch für einen
Thunichtgut, der es zu nichts gebracht habe, und Hütten selbst scheint ihm
einigermaßen Recht gegeben zu haben, indem er sich entschloß, mit des Vaters
und des Erzbischofs von Mainz Unterstützung nunmehr alles Ernstes das
Studium der Rechtswissenschaft zu betreiben, um sich für die Stellung als
Rat eines Fürsten zu befähigen.

So finden wir ihn noch vor Erledigung des Streites seiner Familie mit
dem Herzog wieder in Italien und zwar in Rom. Wer aber glauben wollte,
daß Hütten, der Humanist, nun in den klassischen Erinnerungen der ewigen
Stadt geschwelgt habe, der würde irren. Was er sieht, ist nur die tiefe Ver¬
derbnis, die in ganz Rom und vor allem am Hofe des Medizeers Leo X.
herrscht, und was ihn erfüllt, ist der bittere Gedanke, daß Deutschland sich von
diesen Welschen knechten lasse, denen Maximilian I. förmlich zum Spott ge¬
worden war. Des deutschen Ritters Empörung sollte sich denn auch bald Lust
machen. Bei einem Ausfluge, den er in Gesellschaft eines Freundes von Rom
aus nach Viterbo machte, mußten sie anhören, wie fünf Franzosen ihren Spott


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[0026] Ulrich von Hütten. Zunächst lebte er in Pavia seinen Studien, dann, durch die Kriegswirren Ver¬ trieben, in Bologna; zuletzt suchte er, durch die Not gezwungen, sein Brot in den Reihen des kaiserlichen Heeres. Die Eindrücke, welche die Zustände in Italien in ihm zurückließen, ver¬ raten uns seine damals niedergesehriebenen Epigramme, die eben so viele scharf geschliffene Pfeile sind. Zwar bieten sie nach einer Seite hin nichts neues, indem sie nur in vollendeter Form die alten, schon dreihundert Jahre vorher in Freidanks „Bescheidenheit" angestimmten, seit einem Jahrhundert aber immer dringender sich erhebenden Klagen über die Mißbräuche des herrschenden Systems in der Kirche wieder erschallen lassen. Dennoch tritt mit diesen Epigrammen in Huttens Entwicklung ein neues Element auf, das dem Humanismus seinem Wesen nach fern liegen mußte, das nationale. Nach Deutschland zurückgekehrt, bot sich ihm Aussicht, in den Dienst des jungen Kurfürsten und Erzbischofs von Mainz, des Hohenzollern Albrecht, zu kommen, als ein gemeinsames Unglück der Huttenschen Familie eine Aussöhnung mit seinem Vater herbeiführen half. Hans von Hütten, der Sohn seines Oheims Ludwig, der ihm während seiner entbehrungsreichen Wanderjahre hin und wieder Unterstützung hatte zukommen lassen, war das Opfer einer un¬ seligen Leidenschaft des heißblütigen Herzogs Ulrich von Württemberg geworden. Die tiefe Verstimmung des Adels gegen die aufblühende Fürstenmacht vereinigte sich nun in Hütten mit dem heftig aufwallenden Zorn als Glied der schwer beleidigten Familie und fand einen mächtigen Ausdruck in den „Reden" gegen den Herzog, in denen Huttens innerste Natur zum erstenmale durchbrach und über die Schranken der schulmäßigen humanistischen Rhetorik hinausstrebte. Das wichtigste für Hütten war im Augenblick aber die erreichte Aus¬ söhnung mit seiner Familie. Sein Vater hielt ihn immer noch für einen Thunichtgut, der es zu nichts gebracht habe, und Hütten selbst scheint ihm einigermaßen Recht gegeben zu haben, indem er sich entschloß, mit des Vaters und des Erzbischofs von Mainz Unterstützung nunmehr alles Ernstes das Studium der Rechtswissenschaft zu betreiben, um sich für die Stellung als Rat eines Fürsten zu befähigen. So finden wir ihn noch vor Erledigung des Streites seiner Familie mit dem Herzog wieder in Italien und zwar in Rom. Wer aber glauben wollte, daß Hütten, der Humanist, nun in den klassischen Erinnerungen der ewigen Stadt geschwelgt habe, der würde irren. Was er sieht, ist nur die tiefe Ver¬ derbnis, die in ganz Rom und vor allem am Hofe des Medizeers Leo X. herrscht, und was ihn erfüllt, ist der bittere Gedanke, daß Deutschland sich von diesen Welschen knechten lasse, denen Maximilian I. förmlich zum Spott ge¬ worden war. Des deutschen Ritters Empörung sollte sich denn auch bald Lust machen. Bei einem Ausfluge, den er in Gesellschaft eines Freundes von Rom aus nach Viterbo machte, mußten sie anhören, wie fünf Franzosen ihren Spott

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/26>, abgerufen am 01.09.2024.