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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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nein, nein, immer nein, nichts eilf nein! Hätten wir nur auf uns geachtet,
so lange es noch Zeit war -- jetzt aber ist es zu spät, wir sind unglücklich!

Sie schwieg, gleichsam erwachend. Ihre Stimme war ruhig gewesen, suchend,
als spräche sie mit sich selber-, jetzt aber wurde sie abweisend, kalt und hart.

Ich kann Ihnen nicht helfen, Herr Vigna, Sie sind mir nichts von alledem,
was Sie mir zu sein wünschen; wenn Sie das unglücklich macht, so müssen
Sie unglücklich sein, wenn Sie leiden, so leiden Sie nur, es muß auch Wesen
geben, welche leiden! Hat man einen Menschen zu seinem Gott gemacht, zum
Herrn seines Schicksals, so muß mau sich auch dem Milieu seiner Gottheit
beugen; klug ist es aber niemals, sich Götter zu machen nud seine Seele in
die Gewalt eines andern zu gebe", denn es giebt Götter, die nicht von ihrem
Piedestal herabsteigen wollen. Seien Sie vernünftig, Herr Bigum! Ihre
Gottheit ist so gering, ist der Anbetung nicht wert, wenden Sie sich ab von
ihr, und werden Sie glücklich mit einer von den Töchtern der Erde!

Mit einem matten Lächeln ging sie durch das Gartenzimmer ins Hans.
Vigna sah ihr vernichtet nach. Eine Viertelstunde lang ging er noch vor der
Treppe auf und nieder, alle die Worte, die sie gesprochen hatte, klangen noch
in der Luft; sie war eben erst gegangen, es war ihm, als zögere da noch ein
Schatten von ihr, als könne sein Flehen sie noch erreichen, als sei noch nicht
alles hoffnungslos vorbei. Aber dann kam das Hausmädchen, sammelte
die Kupferstiche und trug den Stuhl ius Haus und die Mappen, die Binscn-
decke -- alles.

Und dann konnte auch er gehen.

Oben in dem geöffneten Fenster der Bodenkammer saß Ricks und starrte
ihm nach. Er hatte die ganze Unterhaltung von Anfang bis zu Ende mit
angehört, und es lag ein entsetzter Ausdruck auf seinem Antlitz, ein nervöses
Zucken ging durch seine" Körper. Er hatte zum erstenmale Furcht empfunden
vor dem Leben, zum erstenmale wirklich begriffen, daß, wenn das Leben einen
Menschen zum Leiden verurteilt hat, dies Urteil weder eine Drohung noch
eine Phantasie ist; dann wird man zur Folterbank geschleppt und gemartert, und
es kommt keine märchenhafte Befreiung im letzten Augenblick, kein plötzliches Er¬
wachen wie aus einem bösen Traume.

Das war es, was ihm in ahnungsvoller Angst klar geworden war. --
Es wurde kein guter Herbst für Edcle, und der Winter vernichtete ihre
Kräfte so völlig, daß der Frühling, als er endlich kam, nicht einmal mehr einen
armseligen, erfrornen Lebenskeim vorfand, gegen den er gut sein konnte und
liebreich und warm; er fand nur noch ein Hinwelken, dem keine Milde,
keine Wärme Einhalt thun konnte, alles, was er vermochte, war Linderung
zu bringen. Er konnte seine Lichtfluten über die Erbleichende ausgießen und
duftig lind der entweichenden Lebenskraft das Geleite geben, gleichwie die pur¬
purne Abendröte noch zögernd weilt, wenn der Tag bereits erstorben ist.


nein, nein, immer nein, nichts eilf nein! Hätten wir nur auf uns geachtet,
so lange es noch Zeit war — jetzt aber ist es zu spät, wir sind unglücklich!

Sie schwieg, gleichsam erwachend. Ihre Stimme war ruhig gewesen, suchend,
als spräche sie mit sich selber-, jetzt aber wurde sie abweisend, kalt und hart.

Ich kann Ihnen nicht helfen, Herr Vigna, Sie sind mir nichts von alledem,
was Sie mir zu sein wünschen; wenn Sie das unglücklich macht, so müssen
Sie unglücklich sein, wenn Sie leiden, so leiden Sie nur, es muß auch Wesen
geben, welche leiden! Hat man einen Menschen zu seinem Gott gemacht, zum
Herrn seines Schicksals, so muß mau sich auch dem Milieu seiner Gottheit
beugen; klug ist es aber niemals, sich Götter zu machen nud seine Seele in
die Gewalt eines andern zu gebe«, denn es giebt Götter, die nicht von ihrem
Piedestal herabsteigen wollen. Seien Sie vernünftig, Herr Bigum! Ihre
Gottheit ist so gering, ist der Anbetung nicht wert, wenden Sie sich ab von
ihr, und werden Sie glücklich mit einer von den Töchtern der Erde!

Mit einem matten Lächeln ging sie durch das Gartenzimmer ins Hans.
Vigna sah ihr vernichtet nach. Eine Viertelstunde lang ging er noch vor der
Treppe auf und nieder, alle die Worte, die sie gesprochen hatte, klangen noch
in der Luft; sie war eben erst gegangen, es war ihm, als zögere da noch ein
Schatten von ihr, als könne sein Flehen sie noch erreichen, als sei noch nicht
alles hoffnungslos vorbei. Aber dann kam das Hausmädchen, sammelte
die Kupferstiche und trug den Stuhl ius Haus und die Mappen, die Binscn-
decke — alles.

Und dann konnte auch er gehen.

Oben in dem geöffneten Fenster der Bodenkammer saß Ricks und starrte
ihm nach. Er hatte die ganze Unterhaltung von Anfang bis zu Ende mit
angehört, und es lag ein entsetzter Ausdruck auf seinem Antlitz, ein nervöses
Zucken ging durch seine» Körper. Er hatte zum erstenmale Furcht empfunden
vor dem Leben, zum erstenmale wirklich begriffen, daß, wenn das Leben einen
Menschen zum Leiden verurteilt hat, dies Urteil weder eine Drohung noch
eine Phantasie ist; dann wird man zur Folterbank geschleppt und gemartert, und
es kommt keine märchenhafte Befreiung im letzten Augenblick, kein plötzliches Er¬
wachen wie aus einem bösen Traume.

Das war es, was ihm in ahnungsvoller Angst klar geworden war. —
Es wurde kein guter Herbst für Edcle, und der Winter vernichtete ihre
Kräfte so völlig, daß der Frühling, als er endlich kam, nicht einmal mehr einen
armseligen, erfrornen Lebenskeim vorfand, gegen den er gut sein konnte und
liebreich und warm; er fand nur noch ein Hinwelken, dem keine Milde,
keine Wärme Einhalt thun konnte, alles, was er vermochte, war Linderung
zu bringen. Er konnte seine Lichtfluten über die Erbleichende ausgießen und
duftig lind der entweichenden Lebenskraft das Geleite geben, gleichwie die pur¬
purne Abendröte noch zögernd weilt, wenn der Tag bereits erstorben ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/246>, abgerufen am 01.09.2024.