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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das juristische Studium.

zunächst ruhen zu lassen und an ihre Stelle lieber Vorlesungen über Staats¬
recht, Verwaltungsrecht, Nationalökonomie, vielleicht auch Strafrecht zu setzen.
Das mag ganz gut und schön sein, nur löst man nicht damit die eigentlichen
Schwierigkeiten. Man flieht die Gefahr wohl zunächst, umso schlimmer wird
sie aber nachher sein. Oder meint man, daß der Jurist, nachdem er im ersten
Semester diese interessanten Vorlesungen gehört hat, hinterher etwa mehr
Neigung für ein Studium des römischen Rechtes haben werde? Im Gegenteil!
Gerade durch den Gegensatz zwischen dem Heute und dem Einst wird der Student
sich erst von dem römischen Rechte recht abgestoßen fühlen. Will man doch
einmal beim römischen Rechte und bei den Pandekten bleiben -- und das letztere
Studium wird selbst nach Einführung eines allgemeinen bürgerlichen Gesetz¬
buches, wenn auch vielleicht etwas eingeschränkt, aber doch beibehalten werden
müssen --, so muß man in der Lehrmethode Änderungen eintreten lassen, und
da wäre denn mein Vorschlag folgender.

Was zunächst die Institutionen des römischen Rechts betrifft, so sollte man
da weit mehr, als es bisher geschehen ist, die geschichtliche Seite hervorheben.
Die Geschichte wird stets mehr fesseln als die rein dogmatische, namentlich den
jungen Anfänger nur zu leicht ermüdende Darstellung. Allerdings würden dann
die Institutionen mehr oder minder in der Rechtsgeschichte aufgehen müssen.
Man würde also die Vorlesung vielleicht um eine bis zwei Stunden ausdehnen
müssen, dann aber auch eben durch jene innige Verschmelzung der Stoffe weit
anziehender machen. Sehen wir das Recht eines Volkes sich langsam vor
unsern geistigen Augen entwickeln, sehen wir, wie Stein auf Stein zu diesem
Bau zusammengefügt wird, so wird eine solche Darstellung sicherlich fesseln.

Bei den Pandekten wird sich kaum überall Gewicht auf eine geschichtliche
Darstellung legen lassen. Hier bedarf es aber auch gar nicht der Geschichte.
Wo man einen Stoff vor sich hat, der noch heute von der größten Wichtigkeit
ist, noch heute seine Geltung für einzelne Teile des Landes hat, da wird der
Hörer schon an und für sich Interesse für die Sache an den Tag legen. Dieses
Interesse darf nur nicht durch eine zu trockene Darstellung erstickt werden. Reine
Dogmatik darf man auch hier nicht geben. "Greift nur hinein ins volle
Menschenleben" -- diesen Rat kann man hier nicht genug beherzigen. Das
juristische Studium ist ein praktisches Studium. Darum gebe man dem Stu¬
denten schon früh Gelegenheit, sich mit praktischen Fällen -- natürlich nur,
soweit sie sich zu der betreffenden Vorlesung eignen würden -- vertraut zu
machen. Vor allen Dingen heißt es durch Beispiele die Sache erläutern. Diese
Beispiele müssen dem täglichen Leben entnommen werden, dürfen aber anderseits
anch wieder nicht banal werden. Wenn Tag für Tag die unglückselige Katze
des Nachbars oder der Hund meines Gegenüber herhalten muß, um mit deren
Hilfe alle möglichen und unmöglichen Beispiele zu geben, da können freilich alle
Beispiele nichts nützen. Aber mache man den Versuch und knüpfe an eben aus-


Das juristische Studium.

zunächst ruhen zu lassen und an ihre Stelle lieber Vorlesungen über Staats¬
recht, Verwaltungsrecht, Nationalökonomie, vielleicht auch Strafrecht zu setzen.
Das mag ganz gut und schön sein, nur löst man nicht damit die eigentlichen
Schwierigkeiten. Man flieht die Gefahr wohl zunächst, umso schlimmer wird
sie aber nachher sein. Oder meint man, daß der Jurist, nachdem er im ersten
Semester diese interessanten Vorlesungen gehört hat, hinterher etwa mehr
Neigung für ein Studium des römischen Rechtes haben werde? Im Gegenteil!
Gerade durch den Gegensatz zwischen dem Heute und dem Einst wird der Student
sich erst von dem römischen Rechte recht abgestoßen fühlen. Will man doch
einmal beim römischen Rechte und bei den Pandekten bleiben — und das letztere
Studium wird selbst nach Einführung eines allgemeinen bürgerlichen Gesetz¬
buches, wenn auch vielleicht etwas eingeschränkt, aber doch beibehalten werden
müssen —, so muß man in der Lehrmethode Änderungen eintreten lassen, und
da wäre denn mein Vorschlag folgender.

Was zunächst die Institutionen des römischen Rechts betrifft, so sollte man
da weit mehr, als es bisher geschehen ist, die geschichtliche Seite hervorheben.
Die Geschichte wird stets mehr fesseln als die rein dogmatische, namentlich den
jungen Anfänger nur zu leicht ermüdende Darstellung. Allerdings würden dann
die Institutionen mehr oder minder in der Rechtsgeschichte aufgehen müssen.
Man würde also die Vorlesung vielleicht um eine bis zwei Stunden ausdehnen
müssen, dann aber auch eben durch jene innige Verschmelzung der Stoffe weit
anziehender machen. Sehen wir das Recht eines Volkes sich langsam vor
unsern geistigen Augen entwickeln, sehen wir, wie Stein auf Stein zu diesem
Bau zusammengefügt wird, so wird eine solche Darstellung sicherlich fesseln.

Bei den Pandekten wird sich kaum überall Gewicht auf eine geschichtliche
Darstellung legen lassen. Hier bedarf es aber auch gar nicht der Geschichte.
Wo man einen Stoff vor sich hat, der noch heute von der größten Wichtigkeit
ist, noch heute seine Geltung für einzelne Teile des Landes hat, da wird der
Hörer schon an und für sich Interesse für die Sache an den Tag legen. Dieses
Interesse darf nur nicht durch eine zu trockene Darstellung erstickt werden. Reine
Dogmatik darf man auch hier nicht geben. „Greift nur hinein ins volle
Menschenleben" — diesen Rat kann man hier nicht genug beherzigen. Das
juristische Studium ist ein praktisches Studium. Darum gebe man dem Stu¬
denten schon früh Gelegenheit, sich mit praktischen Fällen — natürlich nur,
soweit sie sich zu der betreffenden Vorlesung eignen würden — vertraut zu
machen. Vor allen Dingen heißt es durch Beispiele die Sache erläutern. Diese
Beispiele müssen dem täglichen Leben entnommen werden, dürfen aber anderseits
anch wieder nicht banal werden. Wenn Tag für Tag die unglückselige Katze
des Nachbars oder der Hund meines Gegenüber herhalten muß, um mit deren
Hilfe alle möglichen und unmöglichen Beispiele zu geben, da können freilich alle
Beispiele nichts nützen. Aber mache man den Versuch und knüpfe an eben aus-


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[0222] Das juristische Studium. zunächst ruhen zu lassen und an ihre Stelle lieber Vorlesungen über Staats¬ recht, Verwaltungsrecht, Nationalökonomie, vielleicht auch Strafrecht zu setzen. Das mag ganz gut und schön sein, nur löst man nicht damit die eigentlichen Schwierigkeiten. Man flieht die Gefahr wohl zunächst, umso schlimmer wird sie aber nachher sein. Oder meint man, daß der Jurist, nachdem er im ersten Semester diese interessanten Vorlesungen gehört hat, hinterher etwa mehr Neigung für ein Studium des römischen Rechtes haben werde? Im Gegenteil! Gerade durch den Gegensatz zwischen dem Heute und dem Einst wird der Student sich erst von dem römischen Rechte recht abgestoßen fühlen. Will man doch einmal beim römischen Rechte und bei den Pandekten bleiben — und das letztere Studium wird selbst nach Einführung eines allgemeinen bürgerlichen Gesetz¬ buches, wenn auch vielleicht etwas eingeschränkt, aber doch beibehalten werden müssen —, so muß man in der Lehrmethode Änderungen eintreten lassen, und da wäre denn mein Vorschlag folgender. Was zunächst die Institutionen des römischen Rechts betrifft, so sollte man da weit mehr, als es bisher geschehen ist, die geschichtliche Seite hervorheben. Die Geschichte wird stets mehr fesseln als die rein dogmatische, namentlich den jungen Anfänger nur zu leicht ermüdende Darstellung. Allerdings würden dann die Institutionen mehr oder minder in der Rechtsgeschichte aufgehen müssen. Man würde also die Vorlesung vielleicht um eine bis zwei Stunden ausdehnen müssen, dann aber auch eben durch jene innige Verschmelzung der Stoffe weit anziehender machen. Sehen wir das Recht eines Volkes sich langsam vor unsern geistigen Augen entwickeln, sehen wir, wie Stein auf Stein zu diesem Bau zusammengefügt wird, so wird eine solche Darstellung sicherlich fesseln. Bei den Pandekten wird sich kaum überall Gewicht auf eine geschichtliche Darstellung legen lassen. Hier bedarf es aber auch gar nicht der Geschichte. Wo man einen Stoff vor sich hat, der noch heute von der größten Wichtigkeit ist, noch heute seine Geltung für einzelne Teile des Landes hat, da wird der Hörer schon an und für sich Interesse für die Sache an den Tag legen. Dieses Interesse darf nur nicht durch eine zu trockene Darstellung erstickt werden. Reine Dogmatik darf man auch hier nicht geben. „Greift nur hinein ins volle Menschenleben" — diesen Rat kann man hier nicht genug beherzigen. Das juristische Studium ist ein praktisches Studium. Darum gebe man dem Stu¬ denten schon früh Gelegenheit, sich mit praktischen Fällen — natürlich nur, soweit sie sich zu der betreffenden Vorlesung eignen würden — vertraut zu machen. Vor allen Dingen heißt es durch Beispiele die Sache erläutern. Diese Beispiele müssen dem täglichen Leben entnommen werden, dürfen aber anderseits anch wieder nicht banal werden. Wenn Tag für Tag die unglückselige Katze des Nachbars oder der Hund meines Gegenüber herhalten muß, um mit deren Hilfe alle möglichen und unmöglichen Beispiele zu geben, da können freilich alle Beispiele nichts nützen. Aber mache man den Versuch und knüpfe an eben aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/222>, abgerufen am 01.09.2024.