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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhno,

WiedererlcnncnS, das den Unglücklichen erröten machte und ihn merken ließ,
daß er die hundertuudclfte Fliege sei, die sich in demselben unbarmherzigen
Spinngewebe gefangen hatte.

Auch hatte ihre Schönheit weder das Weiche, noch die Glut, die so be¬
thörend ans junge Herzen wirken, wogegen sie ans altere Herzen, sowie ans
kühlere Köpfe einen eignen Zauber ausübte. Sie war groß. Ihr dichtes,
schweres Haar war blond und hatte jenen matten, rötlichen Schimmer, der
über reifem Weizen liegt, es wuchs ihr tief in den Nacken hinein in zwei
schmaler werdenden Reihen, die etwas Heller waren als das übrige Haar
und sich stark lockten. Auf der hohen, scharf geformten Stirn zeichnete" sich
die ziemlich hellen Brauen unbestimmt und ohne Linien ab. Die hellgrauen,
großen, klaren Augen wurden durch keine Brauen gehoben, erhielten auch kein
wechselndes Spiel von Schatten durch die leichten, dünnen Augenlider. Sie
hatten etwas Unbestimmtes, Unschlüssiges in ihrem Ausdruck, sahen die Menschen
voll und offen an, hatten nichts von jenem reichen Spiel mit Seitenblicken,
jenem flüchtigen Aufblitzen, sie schienen unnatürlich wach, unbezwinglich, uner¬
gründlich. Das ganze Mienenspiel lag im Untergewicht, in den Nasenflügeln,
in Mund und Kinn. Die Augen schaute" nur zu. Vor allem war der Mund
ausdrucksvoll mit seinen tiefen Winkeln, seinen scharfgezeichnetcn Umrissen und
den lieblich gebogenen Linien der Lippen. Nur in der Haltung der Unterlippe
lag etwas hartes, das beim Lächeln oft fast verschwand, oft aber auch einem
Ausdruck von Brutalität nahe kam.

Die fast gewaltsam geschwungene Linie des Rückens und die im Verhältnis
zu den strengen Formen der Schultern und Arme große Fülle des Busens
gaben ihr etwas herausforderndes, etwas berauschend tropisches, das durch ihren
blendend weißen Teint und die krankhafte, stark blutrote Farbe der Lippen noch
mehr hervorgehoben wurde, sodaß der Gesamteindruck ihrer Erscheinung ein
sinnbcrückender und dabei besorgniserregender war.

Es lag über ihrer ganzen hohen, hüftloscn Gestalt etwas gesteigert Stil¬
volles, das sie, namentlich in ihren Balltoiletten, mit einer kecken Kunst her¬
vorzuheben wußte, die vou ihrem Kuustverstaud -- der hier SelbstvcrstäuduiS
war -- ein beredtes Zeugnis gab. Und konnte mau auch uicht leugnen, daß
sie damit dicht an schlechten Geschmack streifte, so fand mau doch darin nur
einen neuen Reiz.

Nichts konnte tadelloser sein als ihr Auftreten. In dem, was sie sagte,
wie in dem, was sie sich sagen ließ, hielt sie sich stets in den Grenzen der
strengsten Züchtigkeit. Ihre Gefallsucht bestand darin, daß sie sich nicht im
geringsten gefallsüchtig zeigte, daß sie für den Eindruck, den sie hervorrief,
zwischen ihren Anbetern unheilbar blind war, und daß sie durchaus keinen
Unterschied machte. Aber gerade deswegen träumten sie alle berauschende
Träume von dem Antlitz, das sich hinter der Maske befinden müsse, glaubten


Ricks Lyhno,

WiedererlcnncnS, das den Unglücklichen erröten machte und ihn merken ließ,
daß er die hundertuudclfte Fliege sei, die sich in demselben unbarmherzigen
Spinngewebe gefangen hatte.

Auch hatte ihre Schönheit weder das Weiche, noch die Glut, die so be¬
thörend ans junge Herzen wirken, wogegen sie ans altere Herzen, sowie ans
kühlere Köpfe einen eignen Zauber ausübte. Sie war groß. Ihr dichtes,
schweres Haar war blond und hatte jenen matten, rötlichen Schimmer, der
über reifem Weizen liegt, es wuchs ihr tief in den Nacken hinein in zwei
schmaler werdenden Reihen, die etwas Heller waren als das übrige Haar
und sich stark lockten. Auf der hohen, scharf geformten Stirn zeichnete« sich
die ziemlich hellen Brauen unbestimmt und ohne Linien ab. Die hellgrauen,
großen, klaren Augen wurden durch keine Brauen gehoben, erhielten auch kein
wechselndes Spiel von Schatten durch die leichten, dünnen Augenlider. Sie
hatten etwas Unbestimmtes, Unschlüssiges in ihrem Ausdruck, sahen die Menschen
voll und offen an, hatten nichts von jenem reichen Spiel mit Seitenblicken,
jenem flüchtigen Aufblitzen, sie schienen unnatürlich wach, unbezwinglich, uner¬
gründlich. Das ganze Mienenspiel lag im Untergewicht, in den Nasenflügeln,
in Mund und Kinn. Die Augen schaute» nur zu. Vor allem war der Mund
ausdrucksvoll mit seinen tiefen Winkeln, seinen scharfgezeichnetcn Umrissen und
den lieblich gebogenen Linien der Lippen. Nur in der Haltung der Unterlippe
lag etwas hartes, das beim Lächeln oft fast verschwand, oft aber auch einem
Ausdruck von Brutalität nahe kam.

Die fast gewaltsam geschwungene Linie des Rückens und die im Verhältnis
zu den strengen Formen der Schultern und Arme große Fülle des Busens
gaben ihr etwas herausforderndes, etwas berauschend tropisches, das durch ihren
blendend weißen Teint und die krankhafte, stark blutrote Farbe der Lippen noch
mehr hervorgehoben wurde, sodaß der Gesamteindruck ihrer Erscheinung ein
sinnbcrückender und dabei besorgniserregender war.

Es lag über ihrer ganzen hohen, hüftloscn Gestalt etwas gesteigert Stil¬
volles, das sie, namentlich in ihren Balltoiletten, mit einer kecken Kunst her¬
vorzuheben wußte, die vou ihrem Kuustverstaud — der hier SelbstvcrstäuduiS
war — ein beredtes Zeugnis gab. Und konnte mau auch uicht leugnen, daß
sie damit dicht an schlechten Geschmack streifte, so fand mau doch darin nur
einen neuen Reiz.

Nichts konnte tadelloser sein als ihr Auftreten. In dem, was sie sagte,
wie in dem, was sie sich sagen ließ, hielt sie sich stets in den Grenzen der
strengsten Züchtigkeit. Ihre Gefallsucht bestand darin, daß sie sich nicht im
geringsten gefallsüchtig zeigte, daß sie für den Eindruck, den sie hervorrief,
zwischen ihren Anbetern unheilbar blind war, und daß sie durchaus keinen
Unterschied machte. Aber gerade deswegen träumten sie alle berauschende
Träume von dem Antlitz, das sich hinter der Maske befinden müsse, glaubten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/158>, abgerufen am 01.09.2024.