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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Die Ranzlerkrisis und die Freisinnigen.

"müssen. Auch die erste feierliche Erklärung, wie sie in dem Handschreiben des
Kaisers an den Reichskanzler enthalten war, mußte doch auch den Verblendeten
zeigen, daß kein Pnrteiregiment in Aussicht stand und daß die äußere wie die
innere Politik die bisherigen Bahnen einschlagen soll. Nichts ist bisher ge¬
schehen, was einer Partei im Reiche auch nur ein Titelchen Recht einräumte,
das neue Regiment als im Partcisinne geübt zu bezeichnen. Sind doch die
bisherigen Leiter im Reiche wie in Preußen unverändert dieselben geblieben;
ja man kann sogar annehmen, daß die ungeschickten und geschmacklosen Angriffe
der fortschrittlichen Zeitungen auf einzelne Glieder des Ministeriums den neuen
Regenten geradezu verhindern -- wenn er es überhaupt wollte -->, eine Änderung
vorzunehmen, die wie Nachgeben gegen einen Druck erscheinen müßte. Aber die
Ungeduld steigerte sich; die huldvolle" Bezeugungen kaiserlicher Gnade, deren sich
der Reichskanzler zu erfreuen hatte, ließen erkennen, daß Fürst Bismarck auch
bei Kaiser Friedrich dieselbe Gunst genießt, deren er sich bei Kaiser Wilhelm zu
erfreuen hatte. Es mußte also ein andrer Anlaß herbeigeholt werden, um einen
Gegensatz zwischen Kaiser und Kanzler zu schaffen und so zu schärfen, daß der
Kanzler beseitigt würde. Das "Fort mit Bismarck!" welches früher nicht
verwirklicht werden konnte, sollte endlich zu einem Ziele führen, mochte auch die
Leiche des alten Kaisers im Mausoleum zu Charlottenburg kaum kalt ge¬
worden sein.

Der Anlaß, alle Hebel einzusetzen, um den Kanzler aus seinem Amte zu
treiben, hat sich nach den Zeitungsnachrichten geboten. Es handelt sich um
den Plan, eine Tochter des preußischen Königshauses mit dem vertriebenen
Fürsten von Bulgarien, dem Prinzen Alexander von Ballenberg, zu vermählen.
Wie die Zeitungen mitteilen, sollte sich dieses Projekt in der Weise verwirklichen,
daß der Prinz durch einen hohen Orden ausgezeichnet und an die Spitze eines
preußischen Armeekorps gestellt werden sollte. Der Reichskanzler hat gegen
diesen Plan und diese Absicht Einspruch erhoben, diesen Einspruch in einer langen
Denkschrift begründet, und im Falle die kaiserliche Entschließung zu Gunsten des
Prinzen Alexander ausfallen sollte, um seine Entlassung gebeten.

Ein Mitglied eines regierenden Hauses, insbesondre der mit dem deutschen
Kaisertum unauflöslich verbundenen preußischen Königsfamilie, hat nicht die
Stellung einer einfachen Privatperson. Die Zugehörigkeit zu dem erlauchten
Königshause hebt das Mitglied zu einer besondern Stellung empor; seine Hand¬
lungen und Unterlassungen, bedingt durch die Genehmigung des königlichen
Oberhauptes, haben auch unbeabsichtigt einen unwiderruflichen und unzerstör¬
baren politischen Charakter. Die Heirat einer preußischen Prinzessin ist kein
bloßer Familienakt; bei ihr muß der Leiter der Politik mitreden und seine durch
die politische Verantwortlichkeit für die Handlungen des Monarchen gegebene
Meinung äußern. Der Reichskanzler hat als Minister hierzu nicht bloß das
Recht, sondern vor allein die Pflicht; und er sagt, vom Standpunkte der Politik


Grcnzbote" II. 1888. 19
Die Ranzlerkrisis und die Freisinnigen.

»müssen. Auch die erste feierliche Erklärung, wie sie in dem Handschreiben des
Kaisers an den Reichskanzler enthalten war, mußte doch auch den Verblendeten
zeigen, daß kein Pnrteiregiment in Aussicht stand und daß die äußere wie die
innere Politik die bisherigen Bahnen einschlagen soll. Nichts ist bisher ge¬
schehen, was einer Partei im Reiche auch nur ein Titelchen Recht einräumte,
das neue Regiment als im Partcisinne geübt zu bezeichnen. Sind doch die
bisherigen Leiter im Reiche wie in Preußen unverändert dieselben geblieben;
ja man kann sogar annehmen, daß die ungeschickten und geschmacklosen Angriffe
der fortschrittlichen Zeitungen auf einzelne Glieder des Ministeriums den neuen
Regenten geradezu verhindern — wenn er es überhaupt wollte —>, eine Änderung
vorzunehmen, die wie Nachgeben gegen einen Druck erscheinen müßte. Aber die
Ungeduld steigerte sich; die huldvolle» Bezeugungen kaiserlicher Gnade, deren sich
der Reichskanzler zu erfreuen hatte, ließen erkennen, daß Fürst Bismarck auch
bei Kaiser Friedrich dieselbe Gunst genießt, deren er sich bei Kaiser Wilhelm zu
erfreuen hatte. Es mußte also ein andrer Anlaß herbeigeholt werden, um einen
Gegensatz zwischen Kaiser und Kanzler zu schaffen und so zu schärfen, daß der
Kanzler beseitigt würde. Das „Fort mit Bismarck!" welches früher nicht
verwirklicht werden konnte, sollte endlich zu einem Ziele führen, mochte auch die
Leiche des alten Kaisers im Mausoleum zu Charlottenburg kaum kalt ge¬
worden sein.

Der Anlaß, alle Hebel einzusetzen, um den Kanzler aus seinem Amte zu
treiben, hat sich nach den Zeitungsnachrichten geboten. Es handelt sich um
den Plan, eine Tochter des preußischen Königshauses mit dem vertriebenen
Fürsten von Bulgarien, dem Prinzen Alexander von Ballenberg, zu vermählen.
Wie die Zeitungen mitteilen, sollte sich dieses Projekt in der Weise verwirklichen,
daß der Prinz durch einen hohen Orden ausgezeichnet und an die Spitze eines
preußischen Armeekorps gestellt werden sollte. Der Reichskanzler hat gegen
diesen Plan und diese Absicht Einspruch erhoben, diesen Einspruch in einer langen
Denkschrift begründet, und im Falle die kaiserliche Entschließung zu Gunsten des
Prinzen Alexander ausfallen sollte, um seine Entlassung gebeten.

Ein Mitglied eines regierenden Hauses, insbesondre der mit dem deutschen
Kaisertum unauflöslich verbundenen preußischen Königsfamilie, hat nicht die
Stellung einer einfachen Privatperson. Die Zugehörigkeit zu dem erlauchten
Königshause hebt das Mitglied zu einer besondern Stellung empor; seine Hand¬
lungen und Unterlassungen, bedingt durch die Genehmigung des königlichen
Oberhauptes, haben auch unbeabsichtigt einen unwiderruflichen und unzerstör¬
baren politischen Charakter. Die Heirat einer preußischen Prinzessin ist kein
bloßer Familienakt; bei ihr muß der Leiter der Politik mitreden und seine durch
die politische Verantwortlichkeit für die Handlungen des Monarchen gegebene
Meinung äußern. Der Reichskanzler hat als Minister hierzu nicht bloß das
Recht, sondern vor allein die Pflicht; und er sagt, vom Standpunkte der Politik


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[0153] Die Ranzlerkrisis und die Freisinnigen. »müssen. Auch die erste feierliche Erklärung, wie sie in dem Handschreiben des Kaisers an den Reichskanzler enthalten war, mußte doch auch den Verblendeten zeigen, daß kein Pnrteiregiment in Aussicht stand und daß die äußere wie die innere Politik die bisherigen Bahnen einschlagen soll. Nichts ist bisher ge¬ schehen, was einer Partei im Reiche auch nur ein Titelchen Recht einräumte, das neue Regiment als im Partcisinne geübt zu bezeichnen. Sind doch die bisherigen Leiter im Reiche wie in Preußen unverändert dieselben geblieben; ja man kann sogar annehmen, daß die ungeschickten und geschmacklosen Angriffe der fortschrittlichen Zeitungen auf einzelne Glieder des Ministeriums den neuen Regenten geradezu verhindern — wenn er es überhaupt wollte —>, eine Änderung vorzunehmen, die wie Nachgeben gegen einen Druck erscheinen müßte. Aber die Ungeduld steigerte sich; die huldvolle» Bezeugungen kaiserlicher Gnade, deren sich der Reichskanzler zu erfreuen hatte, ließen erkennen, daß Fürst Bismarck auch bei Kaiser Friedrich dieselbe Gunst genießt, deren er sich bei Kaiser Wilhelm zu erfreuen hatte. Es mußte also ein andrer Anlaß herbeigeholt werden, um einen Gegensatz zwischen Kaiser und Kanzler zu schaffen und so zu schärfen, daß der Kanzler beseitigt würde. Das „Fort mit Bismarck!" welches früher nicht verwirklicht werden konnte, sollte endlich zu einem Ziele führen, mochte auch die Leiche des alten Kaisers im Mausoleum zu Charlottenburg kaum kalt ge¬ worden sein. Der Anlaß, alle Hebel einzusetzen, um den Kanzler aus seinem Amte zu treiben, hat sich nach den Zeitungsnachrichten geboten. Es handelt sich um den Plan, eine Tochter des preußischen Königshauses mit dem vertriebenen Fürsten von Bulgarien, dem Prinzen Alexander von Ballenberg, zu vermählen. Wie die Zeitungen mitteilen, sollte sich dieses Projekt in der Weise verwirklichen, daß der Prinz durch einen hohen Orden ausgezeichnet und an die Spitze eines preußischen Armeekorps gestellt werden sollte. Der Reichskanzler hat gegen diesen Plan und diese Absicht Einspruch erhoben, diesen Einspruch in einer langen Denkschrift begründet, und im Falle die kaiserliche Entschließung zu Gunsten des Prinzen Alexander ausfallen sollte, um seine Entlassung gebeten. Ein Mitglied eines regierenden Hauses, insbesondre der mit dem deutschen Kaisertum unauflöslich verbundenen preußischen Königsfamilie, hat nicht die Stellung einer einfachen Privatperson. Die Zugehörigkeit zu dem erlauchten Königshause hebt das Mitglied zu einer besondern Stellung empor; seine Hand¬ lungen und Unterlassungen, bedingt durch die Genehmigung des königlichen Oberhauptes, haben auch unbeabsichtigt einen unwiderruflichen und unzerstör¬ baren politischen Charakter. Die Heirat einer preußischen Prinzessin ist kein bloßer Familienakt; bei ihr muß der Leiter der Politik mitreden und seine durch die politische Verantwortlichkeit für die Handlungen des Monarchen gegebene Meinung äußern. Der Reichskanzler hat als Minister hierzu nicht bloß das Recht, sondern vor allein die Pflicht; und er sagt, vom Standpunkte der Politik Grcnzbote» II. 1888. 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/153>, abgerufen am 01.09.2024.