Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.Der Totentanz der Minister in Paris zwischen de" feststehenden Einrichtungen und einem strebsamen und populären Vorläufig indes sind wir noch nicht so weit. Wir haben es zunächst mit Der Totentanz der Minister in Paris zwischen de» feststehenden Einrichtungen und einem strebsamen und populären Vorläufig indes sind wir noch nicht so weit. Wir haben es zunächst mit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0148" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202925"/> <fw type="header" place="top"> Der Totentanz der Minister in Paris</fw><lb/> <p xml:id="ID_495" prev="#ID_494"> zwischen de» feststehenden Einrichtungen und einem strebsamen und populären<lb/> Manne, was in Fraukreich auch schon dagewesen ist. Das Direktorium war<lb/> achtbar, aber mittelmäßig, und es gab da eine regelrechte Verfassung mit ihren<lb/> Alten und ihren Fünfhundert, welchen allen die Franzosen Treue geschworen<lb/> hatten. Die obskuren Beamten und Vertreter, die ein noch obskureres System<lb/> handhabten. verschwanden im Nu, als ein Soldat mit einem ruhmbedeckten<lb/> Namen sie mit ihrem Kartenhause vom Tische blies. „Gebt uns einen Mann<lb/> statt einer Doktrin, eines Systems, gebt uns etwas Persönliches, einen Charakter!"<lb/> klang es aus den Äußerungen der Unzufriedenheit heraus, welche allenthalben<lb/> laut wurden, und sie bekamen, was sie wollten, in Napoleon Bonaparte. 1848<lb/> wurde das Volk wieder mit republikanischen Einrichtungen beschenkt, und wieder<lb/> ertrug es sie nur kurze Zeit, wieder verlangte es einen Mann, wieder erhielt<lb/> es ihn in Gestalt eines Napoleon. Jetzt scheint es fast, als ob der abermals<lb/> sich äußernde Wunsch zuletzt in der Person Boulangers erfüllt werden sollte,<lb/> der sich in seiner Ansprache an die Wähler des Departements Nord gegen die<lb/> Republik, wie sie ist, auflehnt, an die man nicht glauben, für die man sich nicht<lb/> erwärmen könne. Das scheint zu beweisen, und beweist in gewissem Sinne,<lb/> daß Frankreich monarchische Instinkte hat. Anderseits aber ist es offenbar zu<lb/> dauernder Anhänglichkeit an einen persönlichen Herrscher ebenso unfähig wie zu<lb/> abstrakter Liebe zu irgend einem System. Selbst wenn Boulanger bedeutender<lb/> wäre, als er ist, würde er sich als Diktator rasch abnutzen und seine Popu¬<lb/> larität verlieren, noch ehe er zum Beginn mit seinen verheißenen Großthaten<lb/> gegen die Deutschen gelangte. Schon seine Wahl von Ministern und andern<lb/> Beamten würde ihm Scharen von Feinden in den Übergangnen erwecken, und<lb/> jeder weitere Regierungsakt würde diese vermehren. Er ist jetzt nur deshalb<lb/> der Mann der Zukunft, weil er das große Unbekannte ist. Nach höchstens<lb/> sechs Monaten wäre es mit ihm vorüber. Gambetta, der ihn an Talent und<lb/> Energie weit überragte, büßte in viel kürzerer Zeit sein Ansehen ein, als er<lb/> verantwortlich geworden war, und versank in die Schattenwelt der Verbrauchten.</p><lb/> <p xml:id="ID_496" next="#ID_497"> Vorläufig indes sind wir noch nicht so weit. Wir haben es zunächst mit<lb/> dem neuen Kabinet zu thun, zu dem wir deshalb jetzt zurückkehren. Wer will<lb/> Herrn Floquet und seinen Amtsgenossen das Horoskop stellen? Wir glauben,<lb/> daß kein politischer Astrolog der Aufgabe gewachsen sei. War im Augenblicke<lb/> seiner Geburt Jupiter oder Saturn oder vielleicht Mars im Aufsteigen? Wird<lb/> es in einigen Wochen schon den Weg alles Fleisches gehen oder das Durch¬<lb/> schnittsalter der französischen Ministerien seit 1871, von denen es das vierund¬<lb/> zwanzigste ist, d. h. neun Monate erreichen? Wird es durch ein Kammervotum,<lb/> einen Straßenaufstand oder durch einen Krieg fallen? Sein Führer, Floquet,<lb/> ist, wie gesagt, als solcher ein neuer Mann, die namhaftesten seiner Kollegen,<lb/> Goblet und Freycinet. haben schon als Minister Schiffbruch gelitten. Floquet<lb/> galt bisher als radikal, aber das Kabinet konnte von vornherein nicht als radikal</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0148]
Der Totentanz der Minister in Paris
zwischen de» feststehenden Einrichtungen und einem strebsamen und populären
Manne, was in Fraukreich auch schon dagewesen ist. Das Direktorium war
achtbar, aber mittelmäßig, und es gab da eine regelrechte Verfassung mit ihren
Alten und ihren Fünfhundert, welchen allen die Franzosen Treue geschworen
hatten. Die obskuren Beamten und Vertreter, die ein noch obskureres System
handhabten. verschwanden im Nu, als ein Soldat mit einem ruhmbedeckten
Namen sie mit ihrem Kartenhause vom Tische blies. „Gebt uns einen Mann
statt einer Doktrin, eines Systems, gebt uns etwas Persönliches, einen Charakter!"
klang es aus den Äußerungen der Unzufriedenheit heraus, welche allenthalben
laut wurden, und sie bekamen, was sie wollten, in Napoleon Bonaparte. 1848
wurde das Volk wieder mit republikanischen Einrichtungen beschenkt, und wieder
ertrug es sie nur kurze Zeit, wieder verlangte es einen Mann, wieder erhielt
es ihn in Gestalt eines Napoleon. Jetzt scheint es fast, als ob der abermals
sich äußernde Wunsch zuletzt in der Person Boulangers erfüllt werden sollte,
der sich in seiner Ansprache an die Wähler des Departements Nord gegen die
Republik, wie sie ist, auflehnt, an die man nicht glauben, für die man sich nicht
erwärmen könne. Das scheint zu beweisen, und beweist in gewissem Sinne,
daß Frankreich monarchische Instinkte hat. Anderseits aber ist es offenbar zu
dauernder Anhänglichkeit an einen persönlichen Herrscher ebenso unfähig wie zu
abstrakter Liebe zu irgend einem System. Selbst wenn Boulanger bedeutender
wäre, als er ist, würde er sich als Diktator rasch abnutzen und seine Popu¬
larität verlieren, noch ehe er zum Beginn mit seinen verheißenen Großthaten
gegen die Deutschen gelangte. Schon seine Wahl von Ministern und andern
Beamten würde ihm Scharen von Feinden in den Übergangnen erwecken, und
jeder weitere Regierungsakt würde diese vermehren. Er ist jetzt nur deshalb
der Mann der Zukunft, weil er das große Unbekannte ist. Nach höchstens
sechs Monaten wäre es mit ihm vorüber. Gambetta, der ihn an Talent und
Energie weit überragte, büßte in viel kürzerer Zeit sein Ansehen ein, als er
verantwortlich geworden war, und versank in die Schattenwelt der Verbrauchten.
Vorläufig indes sind wir noch nicht so weit. Wir haben es zunächst mit
dem neuen Kabinet zu thun, zu dem wir deshalb jetzt zurückkehren. Wer will
Herrn Floquet und seinen Amtsgenossen das Horoskop stellen? Wir glauben,
daß kein politischer Astrolog der Aufgabe gewachsen sei. War im Augenblicke
seiner Geburt Jupiter oder Saturn oder vielleicht Mars im Aufsteigen? Wird
es in einigen Wochen schon den Weg alles Fleisches gehen oder das Durch¬
schnittsalter der französischen Ministerien seit 1871, von denen es das vierund¬
zwanzigste ist, d. h. neun Monate erreichen? Wird es durch ein Kammervotum,
einen Straßenaufstand oder durch einen Krieg fallen? Sein Führer, Floquet,
ist, wie gesagt, als solcher ein neuer Mann, die namhaftesten seiner Kollegen,
Goblet und Freycinet. haben schon als Minister Schiffbruch gelitten. Floquet
galt bisher als radikal, aber das Kabinet konnte von vornherein nicht als radikal
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