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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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vie Anfänge der Heeresreform in Preußen ^307 und ^803.

So oft auch schon diese preußische Heeresreform, wie überhaupt die damals
sich allmählich vollziehende Wiedergeburt des preußischen Staates, dargestellt
worden ist, immer bietet sie einem Forscher, der es versteht, die großen Gesichts¬
punkte festzuhalten und aus dem beinahe unermeßlichen Qucllenmateriale neue
interessante Einzelheiten auszuwählen, eine äußerst dankbare Aufgabe. Den
Beweis hierfür liefert die Darstellung jener Verhältnisse in dem kürzlich erschie¬
nenen zweiten Bande der damit zu Ende geführten Biographie Scharnhorsts
von Max Lehmann (Leipzig. S. Hirzel, 1887). Die großen Vorzüge, welche
dem ersten Bande dieses Werkes seinerzeit (Grenzboten 1886, Ur. 27) nach¬
gerühmt worden sind, finden sich auch in dem zweiten in vollem Maße; ja
irre ich nicht, so hat der Verfasser mit diesem Bande, obgleich darin weit größere
Schwierigkeiten zu überwinden waren, den ersten noch übertroffen und damit
aufs glänzendste dargelegt, wie sehr gerade er dazu befähigt ist, als Lehrer an
der preußischen Kriegsakademie zu wirken. Sein Buch gehört entschieden zu den
hervorragendsten Erscheinungen der letzten Jahre auf dem Gebiete der Geschichte
und verdient in den weitesten Kreisen gelesen und immer wieder gelesen zu
werden. Möchten die folgenden Zeilen, welche die preußische Heeresreform in
ihren Anfängen auf Grund des Lehmannschen Werkes in Kürze zur Darstellung
bringen sollen, etwas dazu beitragen, daß es die verdiente Beachtung finde.

Bald nach dem Tilsiter Frieden wurde Scharnhorst von König Friedrich
Wilhelm III. zum Generalmajor ernannt und an die Spitze einer Kommission
gestellt, welche Vorschläge über eine Heeresreorganisation machen sollte. Aber
konnte von einer solchen die Rede sein, so lange jene Kommission in ihrer
Mehrheit aus Anhängern des althergebrachten Zustandes zusammengesetzt war, aus
Männern bestand, denen die Notwendigkeit einer Reform gar nicht einleuchtete,
denen Scharnhorst, der mit ihnen zusammenwirken sollte, jeden höhern Ge¬
danken absprach?

Es waren dies der Generalmajor von Massenbach, sowie die beiden Oberst¬
leutnants von Lottum und von Bronikowsky. Ersterer hatte vor den beiden
andern wenigstens das voraus, daß er den Zustand der Armee aus eigner
Anschauung kannte; auch galt er, weil er Danzig wacker verteidigt hatte, nicht
mit Unrecht für einen tapfern und erprobten Soldaten. Lottum dagegen hatte,
da er infolge einer Verwundung frühzeitig die Front mit dem Büreaudienste
vertauscht hatte, nur sehr wenig Kenntnis von den wirklichen Bedürfnissen des
Heeres und hielt die hergebrachten Zustände, in die er sich eingelebt hatte, für
durchaus vortrefflich. Weh Geistes Kind er gewesen ist, erkennt man am besten
daraus, daß er die Städteordnung und die Einführung des Landsturms bekämpft
hat. Zum Schaden für das Reformwerk gab der König wegen seiner sanften
und ruhigen Formen viel auf ihn. Noch unbedeutender als Lottum und ebenso
wie dieser von der Vortrefflichkeit der hergebrachten Heeresorganisation durch¬
drungen war Bronikowsky, der anspruchsvolle Flügeladjutant des Königs, ein


vie Anfänge der Heeresreform in Preußen ^307 und ^803.

So oft auch schon diese preußische Heeresreform, wie überhaupt die damals
sich allmählich vollziehende Wiedergeburt des preußischen Staates, dargestellt
worden ist, immer bietet sie einem Forscher, der es versteht, die großen Gesichts¬
punkte festzuhalten und aus dem beinahe unermeßlichen Qucllenmateriale neue
interessante Einzelheiten auszuwählen, eine äußerst dankbare Aufgabe. Den
Beweis hierfür liefert die Darstellung jener Verhältnisse in dem kürzlich erschie¬
nenen zweiten Bande der damit zu Ende geführten Biographie Scharnhorsts
von Max Lehmann (Leipzig. S. Hirzel, 1887). Die großen Vorzüge, welche
dem ersten Bande dieses Werkes seinerzeit (Grenzboten 1886, Ur. 27) nach¬
gerühmt worden sind, finden sich auch in dem zweiten in vollem Maße; ja
irre ich nicht, so hat der Verfasser mit diesem Bande, obgleich darin weit größere
Schwierigkeiten zu überwinden waren, den ersten noch übertroffen und damit
aufs glänzendste dargelegt, wie sehr gerade er dazu befähigt ist, als Lehrer an
der preußischen Kriegsakademie zu wirken. Sein Buch gehört entschieden zu den
hervorragendsten Erscheinungen der letzten Jahre auf dem Gebiete der Geschichte
und verdient in den weitesten Kreisen gelesen und immer wieder gelesen zu
werden. Möchten die folgenden Zeilen, welche die preußische Heeresreform in
ihren Anfängen auf Grund des Lehmannschen Werkes in Kürze zur Darstellung
bringen sollen, etwas dazu beitragen, daß es die verdiente Beachtung finde.

Bald nach dem Tilsiter Frieden wurde Scharnhorst von König Friedrich
Wilhelm III. zum Generalmajor ernannt und an die Spitze einer Kommission
gestellt, welche Vorschläge über eine Heeresreorganisation machen sollte. Aber
konnte von einer solchen die Rede sein, so lange jene Kommission in ihrer
Mehrheit aus Anhängern des althergebrachten Zustandes zusammengesetzt war, aus
Männern bestand, denen die Notwendigkeit einer Reform gar nicht einleuchtete,
denen Scharnhorst, der mit ihnen zusammenwirken sollte, jeden höhern Ge¬
danken absprach?

Es waren dies der Generalmajor von Massenbach, sowie die beiden Oberst¬
leutnants von Lottum und von Bronikowsky. Ersterer hatte vor den beiden
andern wenigstens das voraus, daß er den Zustand der Armee aus eigner
Anschauung kannte; auch galt er, weil er Danzig wacker verteidigt hatte, nicht
mit Unrecht für einen tapfern und erprobten Soldaten. Lottum dagegen hatte,
da er infolge einer Verwundung frühzeitig die Front mit dem Büreaudienste
vertauscht hatte, nur sehr wenig Kenntnis von den wirklichen Bedürfnissen des
Heeres und hielt die hergebrachten Zustände, in die er sich eingelebt hatte, für
durchaus vortrefflich. Weh Geistes Kind er gewesen ist, erkennt man am besten
daraus, daß er die Städteordnung und die Einführung des Landsturms bekämpft
hat. Zum Schaden für das Reformwerk gab der König wegen seiner sanften
und ruhigen Formen viel auf ihn. Noch unbedeutender als Lottum und ebenso
wie dieser von der Vortrefflichkeit der hergebrachten Heeresorganisation durch¬
drungen war Bronikowsky, der anspruchsvolle Flügeladjutant des Königs, ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/110>, abgerufen am 01.09.2024.