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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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wird, stehen seit längerer Zeit verschiedene Verfcchrnngsweisen in Gebrauch,
mittels deren ans einem sonst zur Weinbereitung mehr oder weniger ungeeigneten
Trnubensafte durch Zusatz von Sprit, Zucker, Wasser u. s, w, genießbare Weine
hergestellt werden. In den Materialien werden solche Verfahrungsweisen inner¬
halb gewisser Grenzen als zulässig angesehen. Vor dem Erlasse des Gesetzes
vom 14. Mai 1879 führten auch die so hergestellten Getränke den Namen
"Wein." So lange also nicht die Herstellung, der Verkauf und das Feilhalten
des Weines auf dem im Z 5 des Gesetzes vorgesehenen Wege geregelt ist, erscheint
es unzulässig, den Begriff "Wein" auf diejenigen Produkte der alkoholischen
Gnhrung zu beschränken, bei denen ausschließlich Traubensaft benutzt wird, und
darnach den Zusatz jedes andern Stoffes als Verfälschung des Weines (der
Gattung nach) anzusehen. . . . Bei den Kunstprodukten, zu welchen innerhalb
gewisser Grenzen auch der Wein zu rechnen ist, entscheidet über die Beant¬
wortung der Frage, wann ihre Beschaffenheit so alterirt sei, daß eine Ver¬
fälschung vorliege, die gesetzliche oder die herkömmliche Regel, die letztere jedoch
nur insoweit, als ihr nicht verwerfliche Geschäftsgebräuche, d. h. solche Gebräuche
zu Grunde liegen, welche nicht dem Zwecke, den Erfordernissen der Gesundheits¬
pflege, sowie den Bedürfnissen der Konsumenten entsprechende Nahrungs- und
Genußmittel zu verschaffen, sondern einem vom Standpunkte des Gesetzes aus
"icht berechtigten Zwecke dienen." Allerdings handelt es sich in diesem Prozesse
nicht um Weine, die im deutschen Reiche verändert, sondern um französische,
die bereits verändert eingeführt worden sind.

Andre Gerichte entschieden wieder anders, und so bildete sich eine Rechts-
unsicherheit, die umso größer war, als die Chemiker -- die berufenen Sach¬
verständigen -- sich in ihren Urteilen ebenfalls widersprachen, und es zudem
in vielen Fällen gar nicht möglich war, mit Bestimmtheit festzustellen, ob ein
Wein verfälscht war oder nicht. Dies und der Ansturm vieler Interessenten,
sowohl Weinbauern als Weinhändler, welche erklärten, ohne Veränderung der
Weine, insbesondre ohne Gallisiren sei nicht auszukommen, ließ die Frage nicht
von der Tagesordnung verschwinden. Reichsregierung und Regierungen der
Einzelstaaten, Reichstag, Handelskammern, Vereinigungen von Winzern, alle
beschäftigten sich damit. Eine Einigung ist bis jetzt noch nicht erzielt worden.
Dabei wird trotz der strengen Auffassung mancher Gerichtshöfe ruhig weiter
gallisirt. Wird doch auf Grund zuverlässiger Berichte behauptet, daß beispiels¬
weise die große Mehrheit der 1887er Ernte gallisirt worden sei.

Nach verschiednen Versuchen, Klarheit zu schaffe", die indessen kein greif¬
bares Ergebnis hatten -- wir erinnern nur an die amtliche Veröffentlichung
der Ergebnisse der Arbeiten einer Sachverständigenkominission im Reichsanzeiger
Ur. 231 vom 2. Oktober 1882 und an die Reichstagsverhandlungen von 1881
und 1887 --, hat nun, wie erwähnt, der Bundesrat einen neuen Gesetzentwurf
an den Reichstag gelangen lassen, der folgenden Wortlaut hat: "Z 1. Die nach-


Gn'nzlwtcn I- 1888. 83

wird, stehen seit längerer Zeit verschiedene Verfcchrnngsweisen in Gebrauch,
mittels deren ans einem sonst zur Weinbereitung mehr oder weniger ungeeigneten
Trnubensafte durch Zusatz von Sprit, Zucker, Wasser u. s, w, genießbare Weine
hergestellt werden. In den Materialien werden solche Verfahrungsweisen inner¬
halb gewisser Grenzen als zulässig angesehen. Vor dem Erlasse des Gesetzes
vom 14. Mai 1879 führten auch die so hergestellten Getränke den Namen
»Wein.« So lange also nicht die Herstellung, der Verkauf und das Feilhalten
des Weines auf dem im Z 5 des Gesetzes vorgesehenen Wege geregelt ist, erscheint
es unzulässig, den Begriff »Wein« auf diejenigen Produkte der alkoholischen
Gnhrung zu beschränken, bei denen ausschließlich Traubensaft benutzt wird, und
darnach den Zusatz jedes andern Stoffes als Verfälschung des Weines (der
Gattung nach) anzusehen. . . . Bei den Kunstprodukten, zu welchen innerhalb
gewisser Grenzen auch der Wein zu rechnen ist, entscheidet über die Beant¬
wortung der Frage, wann ihre Beschaffenheit so alterirt sei, daß eine Ver¬
fälschung vorliege, die gesetzliche oder die herkömmliche Regel, die letztere jedoch
nur insoweit, als ihr nicht verwerfliche Geschäftsgebräuche, d. h. solche Gebräuche
zu Grunde liegen, welche nicht dem Zwecke, den Erfordernissen der Gesundheits¬
pflege, sowie den Bedürfnissen der Konsumenten entsprechende Nahrungs- und
Genußmittel zu verschaffen, sondern einem vom Standpunkte des Gesetzes aus
»icht berechtigten Zwecke dienen." Allerdings handelt es sich in diesem Prozesse
nicht um Weine, die im deutschen Reiche verändert, sondern um französische,
die bereits verändert eingeführt worden sind.

Andre Gerichte entschieden wieder anders, und so bildete sich eine Rechts-
unsicherheit, die umso größer war, als die Chemiker — die berufenen Sach¬
verständigen — sich in ihren Urteilen ebenfalls widersprachen, und es zudem
in vielen Fällen gar nicht möglich war, mit Bestimmtheit festzustellen, ob ein
Wein verfälscht war oder nicht. Dies und der Ansturm vieler Interessenten,
sowohl Weinbauern als Weinhändler, welche erklärten, ohne Veränderung der
Weine, insbesondre ohne Gallisiren sei nicht auszukommen, ließ die Frage nicht
von der Tagesordnung verschwinden. Reichsregierung und Regierungen der
Einzelstaaten, Reichstag, Handelskammern, Vereinigungen von Winzern, alle
beschäftigten sich damit. Eine Einigung ist bis jetzt noch nicht erzielt worden.
Dabei wird trotz der strengen Auffassung mancher Gerichtshöfe ruhig weiter
gallisirt. Wird doch auf Grund zuverlässiger Berichte behauptet, daß beispiels¬
weise die große Mehrheit der 1887er Ernte gallisirt worden sei.

Nach verschiednen Versuchen, Klarheit zu schaffe», die indessen kein greif¬
bares Ergebnis hatten — wir erinnern nur an die amtliche Veröffentlichung
der Ergebnisse der Arbeiten einer Sachverständigenkominission im Reichsanzeiger
Ur. 231 vom 2. Oktober 1882 und an die Reichstagsverhandlungen von 1881
und 1887 —, hat nun, wie erwähnt, der Bundesrat einen neuen Gesetzentwurf
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/665>, abgerufen am 28.09.2024.