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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Das neue Gesetz über die Schutzgebiete.

rede Windthorst alles zu verhindern bemüht ist, was im Interesse des Reiches
liegt. Es wurden verschiedne vergebliche, ungeschickte und geschickte Versuche ge¬
macht, die Kongoakte einzuführen oder den Entwurf zu Falle zu bringen. Ein
großer Teil des Zentrums war dein Entwürfe wie der Kolonialpolitik günstig,
insbesondre der süddeutsche Teil -- wie ja auch der bairische Thronerbe leb¬
haft dafür interessirt ist. Glücklicherweise ist die Macht des Herrn Windthorst
im Reichstage gebrochen, und sein Genosse Herr Nintelen konnte mit seinen un¬
klaren Anträgen und Reden die Beratung zwar verlängern, aber in ihrem Er¬
gebnis nicht vereiteln.

Das gegenwärtige Gesetz bringt unter Beibehaltung der Grundlage des
frühern eine Menge Erleichterungen für die Verwaltung. Diese Grundlage ist
im wesentlichen eine zweifache, nämlich die kaiserliche Souveränität einerseits und
die Geltung des Rechts nach Maßgabe des Konsulargesetzes anderseits. Von
diesen beiden Pfeilern ist der erstgenannte auch der wichtigere, indem er ein für
allemal die kaiserliche Gewalt als die ausschließliche und höchste für die Schutz¬
gebiete feststellt. Ihr entspricht es, wenn nunmehr dem Kaiser außerhalb der
durch das Strafgesetzbuch behandelten Materien ein Strafordnungsrecht bis zu
einem Jahre eingeräumt ist; ein gleiches bis zu drei Monaten steht dem Reichs¬
kanzler, den mit der Ausübung der Gerichtsbarkeit betrauten Beamten und unter
Delegation des erstern auch den mit Schutzbriefen versehenen Kolonialgesell¬
schaften zu. Auf dem Gebiete der Rechtspflege ist in allen Punkten den
Wünschen der Verwaltung Rechnung getragen. Für geringfügigere Strafsachen
ist der Zwang einer Zuziehung von Beisitzern weggefallen, Schwurgerichte können
ohne die bisherigen erschwerenden Kautelen im Schutzgebiete abgehalten, auch
Berufungs- und Beschwerdegerichte dort eingesetzt werden. Die gesetzlichen Fristen
können entsprechend verlängert, das Abwesenheitsverfahren im Hinblick auf die
großen und unbequemen Entfernungen erweitert, für die Zwangsvollstreckung
und Zustellungen einfachere Formen angeordnet und das Kostenwesen zweckmäßig
geregelt werden. In allen diesen Richtungen kann das allerhöchste Verordnungs¬
recht den praktischen Bedürfnissen entsprechende Einrichtungen treffen. Auch statt
der Enthauptung kann eine andre Todesstrafe eingeführt werden (Erschießen,
Erbangen), ohne jedoch eine Verschärfung zu enthalten.

Die weitern Bestimmungen des Gesetzes betreffen sodann das Verhältnis
der Schutzgebiete zum Reiche. Noch ist darüber keine endgiltige Entscheidung
getroffen, aber allmählich bahnen einzelne Vorschriften eine organische Verbin¬
dung an. Sicher ist, daß die Schutzgebiete nicht Reichsinland sind, da sie diese
Eigenschaft nur durch ausdrückliche gesetzliche Bestimmung erhalten können.
Sicher ist aber auch, daß die Schutzgebiete dem Reiche nicht so fremd wie das
Ausland gegenüberstehen. Es ist also unmöglich, daß das Reich in den Schutz¬
gebieten Konsulate errichtet, denn solche können nur in fremden, einem andern
Herrscher unterstellten Ländern in Thätigkeit treten. Wirtschaftlich sind aber


Das neue Gesetz über die Schutzgebiete.

rede Windthorst alles zu verhindern bemüht ist, was im Interesse des Reiches
liegt. Es wurden verschiedne vergebliche, ungeschickte und geschickte Versuche ge¬
macht, die Kongoakte einzuführen oder den Entwurf zu Falle zu bringen. Ein
großer Teil des Zentrums war dein Entwürfe wie der Kolonialpolitik günstig,
insbesondre der süddeutsche Teil — wie ja auch der bairische Thronerbe leb¬
haft dafür interessirt ist. Glücklicherweise ist die Macht des Herrn Windthorst
im Reichstage gebrochen, und sein Genosse Herr Nintelen konnte mit seinen un¬
klaren Anträgen und Reden die Beratung zwar verlängern, aber in ihrem Er¬
gebnis nicht vereiteln.

Das gegenwärtige Gesetz bringt unter Beibehaltung der Grundlage des
frühern eine Menge Erleichterungen für die Verwaltung. Diese Grundlage ist
im wesentlichen eine zweifache, nämlich die kaiserliche Souveränität einerseits und
die Geltung des Rechts nach Maßgabe des Konsulargesetzes anderseits. Von
diesen beiden Pfeilern ist der erstgenannte auch der wichtigere, indem er ein für
allemal die kaiserliche Gewalt als die ausschließliche und höchste für die Schutz¬
gebiete feststellt. Ihr entspricht es, wenn nunmehr dem Kaiser außerhalb der
durch das Strafgesetzbuch behandelten Materien ein Strafordnungsrecht bis zu
einem Jahre eingeräumt ist; ein gleiches bis zu drei Monaten steht dem Reichs¬
kanzler, den mit der Ausübung der Gerichtsbarkeit betrauten Beamten und unter
Delegation des erstern auch den mit Schutzbriefen versehenen Kolonialgesell¬
schaften zu. Auf dem Gebiete der Rechtspflege ist in allen Punkten den
Wünschen der Verwaltung Rechnung getragen. Für geringfügigere Strafsachen
ist der Zwang einer Zuziehung von Beisitzern weggefallen, Schwurgerichte können
ohne die bisherigen erschwerenden Kautelen im Schutzgebiete abgehalten, auch
Berufungs- und Beschwerdegerichte dort eingesetzt werden. Die gesetzlichen Fristen
können entsprechend verlängert, das Abwesenheitsverfahren im Hinblick auf die
großen und unbequemen Entfernungen erweitert, für die Zwangsvollstreckung
und Zustellungen einfachere Formen angeordnet und das Kostenwesen zweckmäßig
geregelt werden. In allen diesen Richtungen kann das allerhöchste Verordnungs¬
recht den praktischen Bedürfnissen entsprechende Einrichtungen treffen. Auch statt
der Enthauptung kann eine andre Todesstrafe eingeführt werden (Erschießen,
Erbangen), ohne jedoch eine Verschärfung zu enthalten.

Die weitern Bestimmungen des Gesetzes betreffen sodann das Verhältnis
der Schutzgebiete zum Reiche. Noch ist darüber keine endgiltige Entscheidung
getroffen, aber allmählich bahnen einzelne Vorschriften eine organische Verbin¬
dung an. Sicher ist, daß die Schutzgebiete nicht Reichsinland sind, da sie diese
Eigenschaft nur durch ausdrückliche gesetzliche Bestimmung erhalten können.
Sicher ist aber auch, daß die Schutzgebiete dem Reiche nicht so fremd wie das
Ausland gegenüberstehen. Es ist also unmöglich, daß das Reich in den Schutz¬
gebieten Konsulate errichtet, denn solche können nur in fremden, einem andern
Herrscher unterstellten Ländern in Thätigkeit treten. Wirtschaftlich sind aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/584>, abgerufen am 27.06.2024.