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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der wahrhafte Friede.

Fällen ein gar zu bedenkliches. Gleichwohl ist der rätselhafte Nimbus vor¬
handen und, wo er ihm objektiv, amtsgemäß ("in Waffen") entgegenkommt,
auf dem Marsche, bei der Übung und nun gar im blutigen Ernst, da kann sich
doch auch das männliche "Zivil" seinem Zauber nicht entziehen. Nein, die
höhere, die eigentliche Erklärung ist vielmehr diese. Die militärischen Abzeichen,
namentlich das hauptsächliche, die ständig getragene Waffe, sind die lebendigste
äußere Veranschaulichung der höhern Bestimmung des Meuschen. Diese Ab¬
zeichen sagen: Ich bin für etwas andres da, nicht für mich selbst, zur Wehr und
nicht zum bloßen Dulden, zur tapfern That und nicht zur feigen Ruh, zum
Kämpfen und nicht zum Genießen.


Denn ich bin ein Mensch gewesen
Und dus heißt ein Kämpfer sein --

so klopft der Dichter ans Thor des Paradieses.

Bei wilden Völkern und solchen, die sich dem Naturzustande nahe erhalten
haben, tragen alle Männer Waffen. Es war keine bedeutungslose Mode und
sicher nicht die geschmackloseste, daß im dem kampffrvhen sechzehnten und in
dem kriegerfüllten siebzehnten Jahrhundert die Herren der Gesellschaft Degen
trugen. Bis tief ins achtzehnte Jahrhundert hinein hat sich, allerdings in
spielerische Form verzopft, der "Staatsdegen" erhalten, bis die im Kopfe friedens-
truukene und nur im Herzen streitlüsterne Demokratie damit aufräumte. Noch
bellte bewahren ihn einige altehrwürdige höhere Schulen und Universitäten bei
Abiturientenfeierlichkeiten und Doktorpromotionen, und sicherlich ist es ein sinniger
Brauch, wenn die Wissenschaft ihren ins Leben hincmstretenden Jüngern den
Degen an die Seite giebt. Aus dieser typischen Verehrung des Waffenschmucks
und der Waffe in der bürgerlichen Gesellschaft spricht deutlich die Anerkennung
des Krieges dnrch den Frieden.

Umgekehrt erkennt der Krieg den Frieden äußerlich am liebsten gar nicht
an, und bezeichnend sind auch hier wieder die Schnurren, die zu allen Zeiten
das Verhältnis des ausschließlichen Kriegerstandes zu den übrigen Ständen be¬
gleiten. Aber innerlich ehrt er ihn umso tiefer. Namentlich vor hoher Kunst
und Wissenschaft hat die eigentliche Soldatennatur einen großen Respekt, so sehr
sie das äußerliche Federfuchser haßt. Von Alexander, der Pindars Haus in
Thebens Zerstörung erhielt, bis auf Napoleon, dessen Selbstgefühl sich vor dem
"Menschen" Goethe beugt, sind die Züge zahllos, welche man von der naiven
und mitunter etwas barschen Pietät großer Heerführer gegen das höchste fried¬
liche Verdienst zu berichten weiß. Omars Barbarei gegen die Alexandrinische
Bibliothek ist schon aus diesem Grunde anzuzweifeln. Kein Stand dürfte das
Ahnungsvolle in der höchsten menschlichen Geistesthätigkeit durchschnittlich schärfer
erfassen. Er zeigt hierbei seltsame Vorlieben, die aber stets von einem eigen¬
thümlichen sichern Zug auf das, "worauf es ankommt," geleitet sind. Die Be-


Der wahrhafte Friede.

Fällen ein gar zu bedenkliches. Gleichwohl ist der rätselhafte Nimbus vor¬
handen und, wo er ihm objektiv, amtsgemäß („in Waffen") entgegenkommt,
auf dem Marsche, bei der Übung und nun gar im blutigen Ernst, da kann sich
doch auch das männliche „Zivil" seinem Zauber nicht entziehen. Nein, die
höhere, die eigentliche Erklärung ist vielmehr diese. Die militärischen Abzeichen,
namentlich das hauptsächliche, die ständig getragene Waffe, sind die lebendigste
äußere Veranschaulichung der höhern Bestimmung des Meuschen. Diese Ab¬
zeichen sagen: Ich bin für etwas andres da, nicht für mich selbst, zur Wehr und
nicht zum bloßen Dulden, zur tapfern That und nicht zur feigen Ruh, zum
Kämpfen und nicht zum Genießen.


Denn ich bin ein Mensch gewesen
Und dus heißt ein Kämpfer sein —

so klopft der Dichter ans Thor des Paradieses.

Bei wilden Völkern und solchen, die sich dem Naturzustande nahe erhalten
haben, tragen alle Männer Waffen. Es war keine bedeutungslose Mode und
sicher nicht die geschmackloseste, daß im dem kampffrvhen sechzehnten und in
dem kriegerfüllten siebzehnten Jahrhundert die Herren der Gesellschaft Degen
trugen. Bis tief ins achtzehnte Jahrhundert hinein hat sich, allerdings in
spielerische Form verzopft, der „Staatsdegen" erhalten, bis die im Kopfe friedens-
truukene und nur im Herzen streitlüsterne Demokratie damit aufräumte. Noch
bellte bewahren ihn einige altehrwürdige höhere Schulen und Universitäten bei
Abiturientenfeierlichkeiten und Doktorpromotionen, und sicherlich ist es ein sinniger
Brauch, wenn die Wissenschaft ihren ins Leben hincmstretenden Jüngern den
Degen an die Seite giebt. Aus dieser typischen Verehrung des Waffenschmucks
und der Waffe in der bürgerlichen Gesellschaft spricht deutlich die Anerkennung
des Krieges dnrch den Frieden.

Umgekehrt erkennt der Krieg den Frieden äußerlich am liebsten gar nicht
an, und bezeichnend sind auch hier wieder die Schnurren, die zu allen Zeiten
das Verhältnis des ausschließlichen Kriegerstandes zu den übrigen Ständen be¬
gleiten. Aber innerlich ehrt er ihn umso tiefer. Namentlich vor hoher Kunst
und Wissenschaft hat die eigentliche Soldatennatur einen großen Respekt, so sehr
sie das äußerliche Federfuchser haßt. Von Alexander, der Pindars Haus in
Thebens Zerstörung erhielt, bis auf Napoleon, dessen Selbstgefühl sich vor dem
„Menschen" Goethe beugt, sind die Züge zahllos, welche man von der naiven
und mitunter etwas barschen Pietät großer Heerführer gegen das höchste fried¬
liche Verdienst zu berichten weiß. Omars Barbarei gegen die Alexandrinische
Bibliothek ist schon aus diesem Grunde anzuzweifeln. Kein Stand dürfte das
Ahnungsvolle in der höchsten menschlichen Geistesthätigkeit durchschnittlich schärfer
erfassen. Er zeigt hierbei seltsame Vorlieben, die aber stets von einem eigen¬
thümlichen sichern Zug auf das, „worauf es ankommt," geleitet sind. Die Be-


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[0510] Der wahrhafte Friede. Fällen ein gar zu bedenkliches. Gleichwohl ist der rätselhafte Nimbus vor¬ handen und, wo er ihm objektiv, amtsgemäß („in Waffen") entgegenkommt, auf dem Marsche, bei der Übung und nun gar im blutigen Ernst, da kann sich doch auch das männliche „Zivil" seinem Zauber nicht entziehen. Nein, die höhere, die eigentliche Erklärung ist vielmehr diese. Die militärischen Abzeichen, namentlich das hauptsächliche, die ständig getragene Waffe, sind die lebendigste äußere Veranschaulichung der höhern Bestimmung des Meuschen. Diese Ab¬ zeichen sagen: Ich bin für etwas andres da, nicht für mich selbst, zur Wehr und nicht zum bloßen Dulden, zur tapfern That und nicht zur feigen Ruh, zum Kämpfen und nicht zum Genießen. Denn ich bin ein Mensch gewesen Und dus heißt ein Kämpfer sein — so klopft der Dichter ans Thor des Paradieses. Bei wilden Völkern und solchen, die sich dem Naturzustande nahe erhalten haben, tragen alle Männer Waffen. Es war keine bedeutungslose Mode und sicher nicht die geschmackloseste, daß im dem kampffrvhen sechzehnten und in dem kriegerfüllten siebzehnten Jahrhundert die Herren der Gesellschaft Degen trugen. Bis tief ins achtzehnte Jahrhundert hinein hat sich, allerdings in spielerische Form verzopft, der „Staatsdegen" erhalten, bis die im Kopfe friedens- truukene und nur im Herzen streitlüsterne Demokratie damit aufräumte. Noch bellte bewahren ihn einige altehrwürdige höhere Schulen und Universitäten bei Abiturientenfeierlichkeiten und Doktorpromotionen, und sicherlich ist es ein sinniger Brauch, wenn die Wissenschaft ihren ins Leben hincmstretenden Jüngern den Degen an die Seite giebt. Aus dieser typischen Verehrung des Waffenschmucks und der Waffe in der bürgerlichen Gesellschaft spricht deutlich die Anerkennung des Krieges dnrch den Frieden. Umgekehrt erkennt der Krieg den Frieden äußerlich am liebsten gar nicht an, und bezeichnend sind auch hier wieder die Schnurren, die zu allen Zeiten das Verhältnis des ausschließlichen Kriegerstandes zu den übrigen Ständen be¬ gleiten. Aber innerlich ehrt er ihn umso tiefer. Namentlich vor hoher Kunst und Wissenschaft hat die eigentliche Soldatennatur einen großen Respekt, so sehr sie das äußerliche Federfuchser haßt. Von Alexander, der Pindars Haus in Thebens Zerstörung erhielt, bis auf Napoleon, dessen Selbstgefühl sich vor dem „Menschen" Goethe beugt, sind die Züge zahllos, welche man von der naiven und mitunter etwas barschen Pietät großer Heerführer gegen das höchste fried¬ liche Verdienst zu berichten weiß. Omars Barbarei gegen die Alexandrinische Bibliothek ist schon aus diesem Grunde anzuzweifeln. Kein Stand dürfte das Ahnungsvolle in der höchsten menschlichen Geistesthätigkeit durchschnittlich schärfer erfassen. Er zeigt hierbei seltsame Vorlieben, die aber stets von einem eigen¬ thümlichen sichern Zug auf das, „worauf es ankommt," geleitet sind. Die Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/510>, abgerufen am 27.06.2024.