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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der^wahrhafto Friede.

Wir dürfen hoffen, daß diese Formel noch lange nicht gefunden werde.
Denn mit einer exakten, allseitig genügenden Formulirung ist eben auch ein
Prinzip erschöpft. Aber ahnen und fühlen können wir ihren gewaltigen Inhalt,
wie ihn die besten Vorfahren geahnt und gefühlt haben von Fichte bis Armin.
Und es ist offenbar gar kein Zufall, daß gerade immer unser Thema schnur¬
stracks darauf zurückführt, der deutsche Krieg und der deutsche Friede. Die
Germanen sind aus einem wanderlustigen Kriegsvolk ein zum größten Teil ge-
werbfleißiges, gelehrtes und so vielleicht allzu seßhaftes Volk geworden. Aber
nach wie vor, wie zu den Zeiten Karls des Großen und des große" Friedrich
und nicht minder zu den Zeiten der Prätoriancr und der Schweizergarden,
bleibt das letztentscheidcndc im deutschen Wesen die deutschen Waffen und --
man könnte es bis in die feinsten geistigen Verhältnisse in Kunst und Wissen¬
schaft verfolgen -- der deutsche Krieg und der deutsche Friede.

Einem hellenischen Philosophen (Heraklit) entsprang bekanntlich diejenige
Anschauung von Welt und Leben, welche darin nichts als unendlichen Streit
nrfeindlicher Elemente, einen ewigen Krieg findet. Und der französische Natio¬
nalismus des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts bescherte uns die noch bis in
unsre Tage so lebhaft, ja oft in Bezug auf ihren Gegenstand ganz wunderlich lebhaft
erörterte Idee vom ewigen Frieden. Es ist jedenfalls sehr sonderbar, daß jene
sich gerade unter dem sonnigen Himmel des friedlichen Ioniens, diese unter der
händelsüchtigsten, unruhigsten aller Nationen entwickeln mußte; und es wäre
unerklärlich, wenn man nicht wüßte, wie gerade solche Grundideen den Ursprung
ihren Extremen zu entnehmen lieben. Allein sie haben objektiv, wissenschaftlich
gar keinen, praktisch höchstens als Normen einigen Wert, als Zusammenfassung
und gegenseitiges Korrektiv der in der Welt vorhandnen gegensätzlichen Grund¬
richtungen. An sich sind sie relativ, wie ihre entsprechenden Verwandten auf
physischem Gebiete: Ruhe und Bewegung. In ihren extremen Äußerungen auf
geistigem Gebiete entspringen beide Bedürfnissen, Reizungen und nicht ruhiger,
umfassender Beobachtung; sie sind daher pathologisch und keineswegs, wie dies
nach wie vor geschieht (und geschehen wird), theoretisch zu beurteilen. Die An¬
schauung vom ewigen Krieg entsteht aus der in übergroßer Passivität und
krankhafter Empfindlichkeit wurzelnden Sucht, alles in Gegensätzen zu sehen und
in Mißklängen zu hören, die Idee vom ewigen Frieden aus der das Nichtvor-
handene mit überschwänglichen Farben ausmalenden Erschöpfung und Über¬
reizung, welche die Folge übergroßer Aktivität zu sein Pflegt. Beides ist nur
die pessimistische, beziehungsweise optimistische Verkleidung einer im Grunde
gleichen abnormen Stimmung. So ist es ganz natürlich, daß die eine in
Ephesus auftauchen konnte, die andre in Paris (wie es -- in diesem Sinne --
ganz natürlich ist, daß die Inder Pessimisten sind und die Juden Optimisten).
Jene hat die glücklichen Jonier ebensowenig in ihrem heitern Lebensgenuß und
der Gepflogenheit, etwaige Händel dnrch fremde Söldner ausfechten zu lassen,


Der^wahrhafto Friede.

Wir dürfen hoffen, daß diese Formel noch lange nicht gefunden werde.
Denn mit einer exakten, allseitig genügenden Formulirung ist eben auch ein
Prinzip erschöpft. Aber ahnen und fühlen können wir ihren gewaltigen Inhalt,
wie ihn die besten Vorfahren geahnt und gefühlt haben von Fichte bis Armin.
Und es ist offenbar gar kein Zufall, daß gerade immer unser Thema schnur¬
stracks darauf zurückführt, der deutsche Krieg und der deutsche Friede. Die
Germanen sind aus einem wanderlustigen Kriegsvolk ein zum größten Teil ge-
werbfleißiges, gelehrtes und so vielleicht allzu seßhaftes Volk geworden. Aber
nach wie vor, wie zu den Zeiten Karls des Großen und des große» Friedrich
und nicht minder zu den Zeiten der Prätoriancr und der Schweizergarden,
bleibt das letztentscheidcndc im deutschen Wesen die deutschen Waffen und —
man könnte es bis in die feinsten geistigen Verhältnisse in Kunst und Wissen¬
schaft verfolgen — der deutsche Krieg und der deutsche Friede.

Einem hellenischen Philosophen (Heraklit) entsprang bekanntlich diejenige
Anschauung von Welt und Leben, welche darin nichts als unendlichen Streit
nrfeindlicher Elemente, einen ewigen Krieg findet. Und der französische Natio¬
nalismus des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts bescherte uns die noch bis in
unsre Tage so lebhaft, ja oft in Bezug auf ihren Gegenstand ganz wunderlich lebhaft
erörterte Idee vom ewigen Frieden. Es ist jedenfalls sehr sonderbar, daß jene
sich gerade unter dem sonnigen Himmel des friedlichen Ioniens, diese unter der
händelsüchtigsten, unruhigsten aller Nationen entwickeln mußte; und es wäre
unerklärlich, wenn man nicht wüßte, wie gerade solche Grundideen den Ursprung
ihren Extremen zu entnehmen lieben. Allein sie haben objektiv, wissenschaftlich
gar keinen, praktisch höchstens als Normen einigen Wert, als Zusammenfassung
und gegenseitiges Korrektiv der in der Welt vorhandnen gegensätzlichen Grund¬
richtungen. An sich sind sie relativ, wie ihre entsprechenden Verwandten auf
physischem Gebiete: Ruhe und Bewegung. In ihren extremen Äußerungen auf
geistigem Gebiete entspringen beide Bedürfnissen, Reizungen und nicht ruhiger,
umfassender Beobachtung; sie sind daher pathologisch und keineswegs, wie dies
nach wie vor geschieht (und geschehen wird), theoretisch zu beurteilen. Die An¬
schauung vom ewigen Krieg entsteht aus der in übergroßer Passivität und
krankhafter Empfindlichkeit wurzelnden Sucht, alles in Gegensätzen zu sehen und
in Mißklängen zu hören, die Idee vom ewigen Frieden aus der das Nichtvor-
handene mit überschwänglichen Farben ausmalenden Erschöpfung und Über¬
reizung, welche die Folge übergroßer Aktivität zu sein Pflegt. Beides ist nur
die pessimistische, beziehungsweise optimistische Verkleidung einer im Grunde
gleichen abnormen Stimmung. So ist es ganz natürlich, daß die eine in
Ephesus auftauchen konnte, die andre in Paris (wie es — in diesem Sinne —
ganz natürlich ist, daß die Inder Pessimisten sind und die Juden Optimisten).
Jene hat die glücklichen Jonier ebensowenig in ihrem heitern Lebensgenuß und
der Gepflogenheit, etwaige Händel dnrch fremde Söldner ausfechten zu lassen,


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[0504] Der^wahrhafto Friede. Wir dürfen hoffen, daß diese Formel noch lange nicht gefunden werde. Denn mit einer exakten, allseitig genügenden Formulirung ist eben auch ein Prinzip erschöpft. Aber ahnen und fühlen können wir ihren gewaltigen Inhalt, wie ihn die besten Vorfahren geahnt und gefühlt haben von Fichte bis Armin. Und es ist offenbar gar kein Zufall, daß gerade immer unser Thema schnur¬ stracks darauf zurückführt, der deutsche Krieg und der deutsche Friede. Die Germanen sind aus einem wanderlustigen Kriegsvolk ein zum größten Teil ge- werbfleißiges, gelehrtes und so vielleicht allzu seßhaftes Volk geworden. Aber nach wie vor, wie zu den Zeiten Karls des Großen und des große» Friedrich und nicht minder zu den Zeiten der Prätoriancr und der Schweizergarden, bleibt das letztentscheidcndc im deutschen Wesen die deutschen Waffen und — man könnte es bis in die feinsten geistigen Verhältnisse in Kunst und Wissen¬ schaft verfolgen — der deutsche Krieg und der deutsche Friede. Einem hellenischen Philosophen (Heraklit) entsprang bekanntlich diejenige Anschauung von Welt und Leben, welche darin nichts als unendlichen Streit nrfeindlicher Elemente, einen ewigen Krieg findet. Und der französische Natio¬ nalismus des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts bescherte uns die noch bis in unsre Tage so lebhaft, ja oft in Bezug auf ihren Gegenstand ganz wunderlich lebhaft erörterte Idee vom ewigen Frieden. Es ist jedenfalls sehr sonderbar, daß jene sich gerade unter dem sonnigen Himmel des friedlichen Ioniens, diese unter der händelsüchtigsten, unruhigsten aller Nationen entwickeln mußte; und es wäre unerklärlich, wenn man nicht wüßte, wie gerade solche Grundideen den Ursprung ihren Extremen zu entnehmen lieben. Allein sie haben objektiv, wissenschaftlich gar keinen, praktisch höchstens als Normen einigen Wert, als Zusammenfassung und gegenseitiges Korrektiv der in der Welt vorhandnen gegensätzlichen Grund¬ richtungen. An sich sind sie relativ, wie ihre entsprechenden Verwandten auf physischem Gebiete: Ruhe und Bewegung. In ihren extremen Äußerungen auf geistigem Gebiete entspringen beide Bedürfnissen, Reizungen und nicht ruhiger, umfassender Beobachtung; sie sind daher pathologisch und keineswegs, wie dies nach wie vor geschieht (und geschehen wird), theoretisch zu beurteilen. Die An¬ schauung vom ewigen Krieg entsteht aus der in übergroßer Passivität und krankhafter Empfindlichkeit wurzelnden Sucht, alles in Gegensätzen zu sehen und in Mißklängen zu hören, die Idee vom ewigen Frieden aus der das Nichtvor- handene mit überschwänglichen Farben ausmalenden Erschöpfung und Über¬ reizung, welche die Folge übergroßer Aktivität zu sein Pflegt. Beides ist nur die pessimistische, beziehungsweise optimistische Verkleidung einer im Grunde gleichen abnormen Stimmung. So ist es ganz natürlich, daß die eine in Ephesus auftauchen konnte, die andre in Paris (wie es — in diesem Sinne — ganz natürlich ist, daß die Inder Pessimisten sind und die Juden Optimisten). Jene hat die glücklichen Jonier ebensowenig in ihrem heitern Lebensgenuß und der Gepflogenheit, etwaige Händel dnrch fremde Söldner ausfechten zu lassen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/504>, abgerufen am 28.09.2024.