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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der wahrhafte Friede.

Krieg, und was liegt in dem Begriffe eines solchen?" Einwirkung der Wissen¬
schaft auf das Leben ist hier wie überall seine Absicht, denn Bewältigung des
blinden Seins durch den freien Gedanken ist letzten Endes ihr Ziel. In dem
gegenwärtigen Entscheidungskriege sieht er, zur rechten Zeit auf den Schau¬
platz berufen, einen Höhepunkt dieses ewigen Kampfes, und mit der ganzen
Wucht seiner "Willensüberkraft" wirft er sich auf die fast unterliegende Seite
der guten Sache, der Sache Gottes und der Freiheit, die er in den "Reden an
die deutsche Nation" mit dem "Deutschtum" in eins gesetzt hatte. Es gilt zu
verteidigen und anzufeuern. Zu verteidigen -- denn die Sache des Gedankens,
"Kampf und Sieg der Wissenschaft," ist ja sonst eine friedliche. "Wer einen
einzigen lichten und thatbegründenden Gedanken in der Menschheit einheimisch
macht, thut dem Feinde größern Schaden, als ob er hunderttausend Feinde er¬
schlüge; denn er verhindert Millionen, daß sie auf eine gewisse Weise feindlich
werden können. Nur treten diese Siege, weil sie sich über alle Zeit erstrecken
und das Verkehrte vor seiner Entstehung vernichten, nicht sehr sichtbar und
merklich ein in irgend eine Zeit und für die gewöhnlichen Augen; jedoch
thut dies denen, die das Verdienst wahrhaft zu schätzen wissen, im Werte des¬
selben keinen Abbruch." Unter gewissen Umständen, wo es darauf ankommt,
das Gute überhaupt erst zu begründen und der zarten Pflanze nur erst zum
Wachstum zu verhelfen, ist es allerdings geraten, "zu dulden und zu tragen,
so lange als es gehen mag, um im Stillen zu entwickeln die Grundsätze, welche
nach Jahrhunderten weltgestaltende Kraft werden sollen." Er führt als "leuch¬
tendes Beispiel dieses Betragens" jene an, "die wir als Fortpflanzer der
höchsten auf uns herabgekommenen geistigen Bildung betrachten müssen," die
ersten Christen.

Allein gegenwärtig liegt das Verhältnis umgekehrt. Das schon vorhandne,
im Deutschtum in "volksmäßiger Urkraft" erhaltene, dnrch lange, herbe Leidens¬
schule befestigte und geläuterte Gute ist in Gefahr, vernichtet zu werden; in
seiner Eigenart und freien Selbstbestimmung überflutet, hinweggespült von den
fremden Mischvölkern, die die Idee der Freiheit nicht in ihrer Reinheit zu er¬
fassen vermögen. An ihrer Spitze "er," die große Geißel der Völker, der "wie
ein Geier über dem betäubten Europa schwebt, lauschend auf alle falschen Ma߬
regeln und alle Schwäche, um flngschnell herabzustürzen und sie sich zu Nutze
zu machen." Seine Erscheinung wird an seiner Geschichte klargelegt, zurück¬
gewiesen die Meinung derer, die in ihm träge und lüstern den Erlöser der Völker
sehen -- denn das erste, "das Recht" dieser Völker, wird ihrem, von ihm be¬
stimmten, vorgeblichen "Wohle" geopfert --, niedergeschmettert die Ansicht der
Feigen und Philister, der Gleichgiltigen und Schmeichler, die entweder zitternd
wie vor dem Unabwendbaren sich beugen oder über die Göttlichkeit seines
Genies und seiner Pläne außer sich geraten. Usus a^leg-t molsin. Er ist der
Geist, der die blinde Masse, die nach Entfesselung strebenden, zerstörenden Kräfte


Der wahrhafte Friede.

Krieg, und was liegt in dem Begriffe eines solchen?" Einwirkung der Wissen¬
schaft auf das Leben ist hier wie überall seine Absicht, denn Bewältigung des
blinden Seins durch den freien Gedanken ist letzten Endes ihr Ziel. In dem
gegenwärtigen Entscheidungskriege sieht er, zur rechten Zeit auf den Schau¬
platz berufen, einen Höhepunkt dieses ewigen Kampfes, und mit der ganzen
Wucht seiner „Willensüberkraft" wirft er sich auf die fast unterliegende Seite
der guten Sache, der Sache Gottes und der Freiheit, die er in den „Reden an
die deutsche Nation" mit dem „Deutschtum" in eins gesetzt hatte. Es gilt zu
verteidigen und anzufeuern. Zu verteidigen — denn die Sache des Gedankens,
„Kampf und Sieg der Wissenschaft," ist ja sonst eine friedliche. „Wer einen
einzigen lichten und thatbegründenden Gedanken in der Menschheit einheimisch
macht, thut dem Feinde größern Schaden, als ob er hunderttausend Feinde er¬
schlüge; denn er verhindert Millionen, daß sie auf eine gewisse Weise feindlich
werden können. Nur treten diese Siege, weil sie sich über alle Zeit erstrecken
und das Verkehrte vor seiner Entstehung vernichten, nicht sehr sichtbar und
merklich ein in irgend eine Zeit und für die gewöhnlichen Augen; jedoch
thut dies denen, die das Verdienst wahrhaft zu schätzen wissen, im Werte des¬
selben keinen Abbruch." Unter gewissen Umständen, wo es darauf ankommt,
das Gute überhaupt erst zu begründen und der zarten Pflanze nur erst zum
Wachstum zu verhelfen, ist es allerdings geraten, „zu dulden und zu tragen,
so lange als es gehen mag, um im Stillen zu entwickeln die Grundsätze, welche
nach Jahrhunderten weltgestaltende Kraft werden sollen." Er führt als „leuch¬
tendes Beispiel dieses Betragens" jene an, „die wir als Fortpflanzer der
höchsten auf uns herabgekommenen geistigen Bildung betrachten müssen," die
ersten Christen.

Allein gegenwärtig liegt das Verhältnis umgekehrt. Das schon vorhandne,
im Deutschtum in „volksmäßiger Urkraft" erhaltene, dnrch lange, herbe Leidens¬
schule befestigte und geläuterte Gute ist in Gefahr, vernichtet zu werden; in
seiner Eigenart und freien Selbstbestimmung überflutet, hinweggespült von den
fremden Mischvölkern, die die Idee der Freiheit nicht in ihrer Reinheit zu er¬
fassen vermögen. An ihrer Spitze „er," die große Geißel der Völker, der „wie
ein Geier über dem betäubten Europa schwebt, lauschend auf alle falschen Ma߬
regeln und alle Schwäche, um flngschnell herabzustürzen und sie sich zu Nutze
zu machen." Seine Erscheinung wird an seiner Geschichte klargelegt, zurück¬
gewiesen die Meinung derer, die in ihm träge und lüstern den Erlöser der Völker
sehen — denn das erste, „das Recht" dieser Völker, wird ihrem, von ihm be¬
stimmten, vorgeblichen „Wohle" geopfert —, niedergeschmettert die Ansicht der
Feigen und Philister, der Gleichgiltigen und Schmeichler, die entweder zitternd
wie vor dem Unabwendbaren sich beugen oder über die Göttlichkeit seines
Genies und seiner Pläne außer sich geraten. Usus a^leg-t molsin. Er ist der
Geist, der die blinde Masse, die nach Entfesselung strebenden, zerstörenden Kräfte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/502>, abgerufen am 27.06.2024.