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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Denkwürdigkeiten dos Herzogs Lrnst,

versuchte Prinz Albert ihm das richtigere Verständnis beizubringen. In einem
Briefe vom 19. März 1830 schreibt er u, a. dem Oheim: "Du wünschest Preußen
so viel als möglich kvntentirt und salutirt -- ich nicht; denn ich will nur, daß
Preußen so viel als seine Schuldigkeit gegen Deutschland thue und diesem die
föderativ-konstitutionelle Entwicklung sichere, die Deutschland notthut, und die
Preußen allein ihm sichern kann, weil Österreich ^zu dem König Leopold hin¬
neigte^ undeutsch und antideutsch ist und bleiben wird und die kleinen Könige
durch ihren Souveränitätsschwindel verleitet werden, eher die Monarchie selbst
in Dentschland zu Grunde zu richten und der roten Republik die Thür zu
öffnen, als ehrlich zu streben, eine lebensfähige Föderativverfassung für Deutsch¬
land zu schaffen."

Das dritte Kapitel des letzten Buches enthält auch mancherlei Neues über
den Erfurter Reichstag und deu Fürstenkongreß, deu der Herzog zum Zweck einer
Verständigung angeregt hatte. Wir können aber nur eine Szene nacherzählen.
Der Verfasser berichtet: "Es hatte sich gleichsam von selbst ereignet, daß meine
Wohnung zum Sitzungslokal >für die Vorberatuug des Verfassungswerkes^
bestimmt wurde, und von vielen Seiten war der Wunsch ausgesprochen worden,
daß ich den Vorsitz übernehmen und die Debatten leiten sollte. Gleich am
8. Mai versammelten sich auf meine Einladung abends die Großherzoge von
Oldenburg, Mecklenburg, Baden, die Herzöge von Braunschweig, Altenburg und
Dessau auf meinem Zimmer, und anfänglich war auch mein Minister von Seebach
anwesend, um die Fragen zu formuliren, über welche die Fürsten sich zunächst
einigen sollten. Als die Beratung bereits begonnen hatte, ließ sich der Kurfürst
von Hessen melden. Da man jedoch wußte, daß seine Intentionen ganz andre
seien als die der Versammelten, so war man im ersten Augenblicke der Meinung,
ich möge mich entschuldigen lassen. Der Großherzog von Oldenburg meinte
indessen: "Es ist doch besser, er kommt, und man bitte ihn, an der Verhandlung
teilzunehmen; so wird man doch hören, was er eigentlich will." Indem man
sich dafür entschied, . .. war es meine Aufgabe, den Kurfürsten vom Zwecke
der Beratung in Kenntnis zu setzen und zu bitten, er möge sich daran be¬
teiligen. Er erklärte sich dazu bereit, doch zeigte es sich bald, daß er nur
erschienen war, um jede Vereinbarung zu hindern. Dieser feindseligen Absicht
gab er auch sofort den deutlichsten Ausdruck, und die Debatte gestaltete sich
infolge dessen sehr erregt. Als er mit seinen schwachen Argumenten sich alsbald
in die Enge getrieben sah, wiederholte er beständig, er müsse seinen Minister
rufen. "Sie haben -- so wendete er sich ganz wütend gegen mich -- Ihren
Minister hier, lassen Sie mich meinen Hassenvflng herbeiholen." Dies brachte
bei den andern Fürsten eine steigende Bitterkeit hervor, und der Herzog von
Braunschweig wurde so erregt, daß er dem Kurfürsten wegen seines ganzen
Regiments die schwersten Vorwürfe ins Gesicht warf: "Sie sind schon einmal
daran gewesen, aus dem Lande hinausgejagt zu werden, Sie wünschen dieses


Die Denkwürdigkeiten dos Herzogs Lrnst,

versuchte Prinz Albert ihm das richtigere Verständnis beizubringen. In einem
Briefe vom 19. März 1830 schreibt er u, a. dem Oheim: „Du wünschest Preußen
so viel als möglich kvntentirt und salutirt — ich nicht; denn ich will nur, daß
Preußen so viel als seine Schuldigkeit gegen Deutschland thue und diesem die
föderativ-konstitutionelle Entwicklung sichere, die Deutschland notthut, und die
Preußen allein ihm sichern kann, weil Österreich ^zu dem König Leopold hin¬
neigte^ undeutsch und antideutsch ist und bleiben wird und die kleinen Könige
durch ihren Souveränitätsschwindel verleitet werden, eher die Monarchie selbst
in Dentschland zu Grunde zu richten und der roten Republik die Thür zu
öffnen, als ehrlich zu streben, eine lebensfähige Föderativverfassung für Deutsch¬
land zu schaffen."

Das dritte Kapitel des letzten Buches enthält auch mancherlei Neues über
den Erfurter Reichstag und deu Fürstenkongreß, deu der Herzog zum Zweck einer
Verständigung angeregt hatte. Wir können aber nur eine Szene nacherzählen.
Der Verfasser berichtet: „Es hatte sich gleichsam von selbst ereignet, daß meine
Wohnung zum Sitzungslokal >für die Vorberatuug des Verfassungswerkes^
bestimmt wurde, und von vielen Seiten war der Wunsch ausgesprochen worden,
daß ich den Vorsitz übernehmen und die Debatten leiten sollte. Gleich am
8. Mai versammelten sich auf meine Einladung abends die Großherzoge von
Oldenburg, Mecklenburg, Baden, die Herzöge von Braunschweig, Altenburg und
Dessau auf meinem Zimmer, und anfänglich war auch mein Minister von Seebach
anwesend, um die Fragen zu formuliren, über welche die Fürsten sich zunächst
einigen sollten. Als die Beratung bereits begonnen hatte, ließ sich der Kurfürst
von Hessen melden. Da man jedoch wußte, daß seine Intentionen ganz andre
seien als die der Versammelten, so war man im ersten Augenblicke der Meinung,
ich möge mich entschuldigen lassen. Der Großherzog von Oldenburg meinte
indessen: »Es ist doch besser, er kommt, und man bitte ihn, an der Verhandlung
teilzunehmen; so wird man doch hören, was er eigentlich will.« Indem man
sich dafür entschied, . .. war es meine Aufgabe, den Kurfürsten vom Zwecke
der Beratung in Kenntnis zu setzen und zu bitten, er möge sich daran be¬
teiligen. Er erklärte sich dazu bereit, doch zeigte es sich bald, daß er nur
erschienen war, um jede Vereinbarung zu hindern. Dieser feindseligen Absicht
gab er auch sofort den deutlichsten Ausdruck, und die Debatte gestaltete sich
infolge dessen sehr erregt. Als er mit seinen schwachen Argumenten sich alsbald
in die Enge getrieben sah, wiederholte er beständig, er müsse seinen Minister
rufen. »Sie haben — so wendete er sich ganz wütend gegen mich — Ihren
Minister hier, lassen Sie mich meinen Hassenvflng herbeiholen.« Dies brachte
bei den andern Fürsten eine steigende Bitterkeit hervor, und der Herzog von
Braunschweig wurde so erregt, daß er dem Kurfürsten wegen seines ganzen
Regiments die schwersten Vorwürfe ins Gesicht warf: »Sie sind schon einmal
daran gewesen, aus dem Lande hinausgejagt zu werden, Sie wünschen dieses


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[0444] Die Denkwürdigkeiten dos Herzogs Lrnst, versuchte Prinz Albert ihm das richtigere Verständnis beizubringen. In einem Briefe vom 19. März 1830 schreibt er u, a. dem Oheim: „Du wünschest Preußen so viel als möglich kvntentirt und salutirt — ich nicht; denn ich will nur, daß Preußen so viel als seine Schuldigkeit gegen Deutschland thue und diesem die föderativ-konstitutionelle Entwicklung sichere, die Deutschland notthut, und die Preußen allein ihm sichern kann, weil Österreich ^zu dem König Leopold hin¬ neigte^ undeutsch und antideutsch ist und bleiben wird und die kleinen Könige durch ihren Souveränitätsschwindel verleitet werden, eher die Monarchie selbst in Dentschland zu Grunde zu richten und der roten Republik die Thür zu öffnen, als ehrlich zu streben, eine lebensfähige Föderativverfassung für Deutsch¬ land zu schaffen." Das dritte Kapitel des letzten Buches enthält auch mancherlei Neues über den Erfurter Reichstag und deu Fürstenkongreß, deu der Herzog zum Zweck einer Verständigung angeregt hatte. Wir können aber nur eine Szene nacherzählen. Der Verfasser berichtet: „Es hatte sich gleichsam von selbst ereignet, daß meine Wohnung zum Sitzungslokal >für die Vorberatuug des Verfassungswerkes^ bestimmt wurde, und von vielen Seiten war der Wunsch ausgesprochen worden, daß ich den Vorsitz übernehmen und die Debatten leiten sollte. Gleich am 8. Mai versammelten sich auf meine Einladung abends die Großherzoge von Oldenburg, Mecklenburg, Baden, die Herzöge von Braunschweig, Altenburg und Dessau auf meinem Zimmer, und anfänglich war auch mein Minister von Seebach anwesend, um die Fragen zu formuliren, über welche die Fürsten sich zunächst einigen sollten. Als die Beratung bereits begonnen hatte, ließ sich der Kurfürst von Hessen melden. Da man jedoch wußte, daß seine Intentionen ganz andre seien als die der Versammelten, so war man im ersten Augenblicke der Meinung, ich möge mich entschuldigen lassen. Der Großherzog von Oldenburg meinte indessen: »Es ist doch besser, er kommt, und man bitte ihn, an der Verhandlung teilzunehmen; so wird man doch hören, was er eigentlich will.« Indem man sich dafür entschied, . .. war es meine Aufgabe, den Kurfürsten vom Zwecke der Beratung in Kenntnis zu setzen und zu bitten, er möge sich daran be¬ teiligen. Er erklärte sich dazu bereit, doch zeigte es sich bald, daß er nur erschienen war, um jede Vereinbarung zu hindern. Dieser feindseligen Absicht gab er auch sofort den deutlichsten Ausdruck, und die Debatte gestaltete sich infolge dessen sehr erregt. Als er mit seinen schwachen Argumenten sich alsbald in die Enge getrieben sah, wiederholte er beständig, er müsse seinen Minister rufen. »Sie haben — so wendete er sich ganz wütend gegen mich — Ihren Minister hier, lassen Sie mich meinen Hassenvflng herbeiholen.« Dies brachte bei den andern Fürsten eine steigende Bitterkeit hervor, und der Herzog von Braunschweig wurde so erregt, daß er dem Kurfürsten wegen seines ganzen Regiments die schwersten Vorwürfe ins Gesicht warf: »Sie sind schon einmal daran gewesen, aus dem Lande hinausgejagt zu werden, Sie wünschen dieses

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/444>, abgerufen am 27.06.2024.