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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Gottsched und die deutsche Sprache.

Daß die Sprache später über Gottsched und seine Festsetzungen hinweg¬
geschritten ist, kann Gottscheds wirkliche Verdienste um sie nicht beeinträchtigen.
Solcher Fortschritt ist im Wesen der Sprache begründet, die Sprache eines Volkes
ist der Spiegel seiner fortschreitenden Entwicklung. Klopstock schuf eine neue
Dichtersprache, Lessing verlieh der Sprache ungeahnte Klarheit und Schärfe in
der ungebundenen Rede, Herder sprach in seinen "Fragmenten zur deutschen
Litteratur" über Geist und Wesen der deutschen Sprache so gründlich und viel¬
seitig, wie es bisher noch niemand gethan hatte. Damit war man weit über
Gottsched hinaus gekommen, der von solcher Weiterentwicklung kaum etwas aHute.
Es zeugt von seiner irrigen Auffassung des Wesens der Sprache, wenn er
einmal den Wunsch ausspricht: "Es wäre zu wünschen, daß unsre Sprache bei
der jetzigen Art, sie zu reden und zu schreiben, erhalten werden könnte, weil sie
allem Ansehen nach denjenigen Grad der Vollkommenheit erreicht zu habe"
scheint, darin sie zu allen Vorfällen und Absichten einer ausgearbeiteten und
artigen Sprache geschickt und bequem ist."

Und wenn an Gottscheds Sprachfeststellungen zu tadeln ist, daß in ihnen
die Frage nach dem rechten Verhältnis der Mundarten zur Schriftsprache noch
nicht die richtige Beantwortung gefunden habe, so ist zu bedenken, daß diese
Antwort noch sehr lange nicht gefunden wurde, daß Vodmer, Herder u. a. zwar
manches richtigere gesagt haben als Gottsched, daß aber im Grunde erst den
Sprachforschern unsers Jahrhunderts die rechte Einsicht in das Verhältnis der
Mundarten zur Schriftsprache aufgegangen ist. Wie wenig verbreitet aber diese
Einsicht ist und wie wenig es bis jetzt gelungen ist, aus dem neuerschlossenen
Quell der Mundarten die deutsche Umgangs- und Schriftsprache zu bereichern,
das lehrt recht eindringlich die Begründung der jetzt vom deutschen Sprach¬
verein gestellten Preisaufgabe: "Wie können Reinheit und Reichtum der deutschen
Schriftsprache durch die Mundarten gefördert werden?" Es dürfte schwer sein,
eine Frage zu finden, deren Beantwortung für unsre Muttersprache von größerer
oder auch nur von gleicher Bedeutung wäre.

Außer den Mundarten hat Gottsched noch eine andre Sprachquelle ver¬
nachlässigt, er hat nicht die Notwendigkeit erkannt, altes Sprachgut wieder
lebendig zu machen und da zu benutzen, wo das neue treffender Bezeichnungen
ermangelt. Gottsched hielt kaum für nötig, weiter als bis zu Opitz zurückzu¬
gehen. Die Sprache der Schriftsteller und Dichter des sechzehnten Jahrhunderts,
selbst die Luthers nannte er rauh und hart, die Wort- und Satzfügungen jener
Zeit ungelenk und undeutlich. Er rühmt Luthers Verdienste um die Sprache,
preist seine Bibelübersetzung und seinen Sendbrief vom Dolmetscher, aber in
Bezug auf Wortschatz und Satzbau erachtet er die Sprache seiner Zeit für so
hoch über Luther stehend, daß er ein Zurückgreifen auf Luther für einen ge¬
waltigen Rückschritt gehalten hätte. Und daß schon das Mittelalter eine Blüte¬
zeit unsrer Sprache und Dichtung gehabt hat, ahnte er kaum. Hierin waren


Gottsched und die deutsche Sprache.

Daß die Sprache später über Gottsched und seine Festsetzungen hinweg¬
geschritten ist, kann Gottscheds wirkliche Verdienste um sie nicht beeinträchtigen.
Solcher Fortschritt ist im Wesen der Sprache begründet, die Sprache eines Volkes
ist der Spiegel seiner fortschreitenden Entwicklung. Klopstock schuf eine neue
Dichtersprache, Lessing verlieh der Sprache ungeahnte Klarheit und Schärfe in
der ungebundenen Rede, Herder sprach in seinen „Fragmenten zur deutschen
Litteratur" über Geist und Wesen der deutschen Sprache so gründlich und viel¬
seitig, wie es bisher noch niemand gethan hatte. Damit war man weit über
Gottsched hinaus gekommen, der von solcher Weiterentwicklung kaum etwas aHute.
Es zeugt von seiner irrigen Auffassung des Wesens der Sprache, wenn er
einmal den Wunsch ausspricht: „Es wäre zu wünschen, daß unsre Sprache bei
der jetzigen Art, sie zu reden und zu schreiben, erhalten werden könnte, weil sie
allem Ansehen nach denjenigen Grad der Vollkommenheit erreicht zu habe»
scheint, darin sie zu allen Vorfällen und Absichten einer ausgearbeiteten und
artigen Sprache geschickt und bequem ist."

Und wenn an Gottscheds Sprachfeststellungen zu tadeln ist, daß in ihnen
die Frage nach dem rechten Verhältnis der Mundarten zur Schriftsprache noch
nicht die richtige Beantwortung gefunden habe, so ist zu bedenken, daß diese
Antwort noch sehr lange nicht gefunden wurde, daß Vodmer, Herder u. a. zwar
manches richtigere gesagt haben als Gottsched, daß aber im Grunde erst den
Sprachforschern unsers Jahrhunderts die rechte Einsicht in das Verhältnis der
Mundarten zur Schriftsprache aufgegangen ist. Wie wenig verbreitet aber diese
Einsicht ist und wie wenig es bis jetzt gelungen ist, aus dem neuerschlossenen
Quell der Mundarten die deutsche Umgangs- und Schriftsprache zu bereichern,
das lehrt recht eindringlich die Begründung der jetzt vom deutschen Sprach¬
verein gestellten Preisaufgabe: „Wie können Reinheit und Reichtum der deutschen
Schriftsprache durch die Mundarten gefördert werden?" Es dürfte schwer sein,
eine Frage zu finden, deren Beantwortung für unsre Muttersprache von größerer
oder auch nur von gleicher Bedeutung wäre.

Außer den Mundarten hat Gottsched noch eine andre Sprachquelle ver¬
nachlässigt, er hat nicht die Notwendigkeit erkannt, altes Sprachgut wieder
lebendig zu machen und da zu benutzen, wo das neue treffender Bezeichnungen
ermangelt. Gottsched hielt kaum für nötig, weiter als bis zu Opitz zurückzu¬
gehen. Die Sprache der Schriftsteller und Dichter des sechzehnten Jahrhunderts,
selbst die Luthers nannte er rauh und hart, die Wort- und Satzfügungen jener
Zeit ungelenk und undeutlich. Er rühmt Luthers Verdienste um die Sprache,
preist seine Bibelübersetzung und seinen Sendbrief vom Dolmetscher, aber in
Bezug auf Wortschatz und Satzbau erachtet er die Sprache seiner Zeit für so
hoch über Luther stehend, daß er ein Zurückgreifen auf Luther für einen ge¬
waltigen Rückschritt gehalten hätte. Und daß schon das Mittelalter eine Blüte¬
zeit unsrer Sprache und Dichtung gehabt hat, ahnte er kaum. Hierin waren


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[0408] Gottsched und die deutsche Sprache. Daß die Sprache später über Gottsched und seine Festsetzungen hinweg¬ geschritten ist, kann Gottscheds wirkliche Verdienste um sie nicht beeinträchtigen. Solcher Fortschritt ist im Wesen der Sprache begründet, die Sprache eines Volkes ist der Spiegel seiner fortschreitenden Entwicklung. Klopstock schuf eine neue Dichtersprache, Lessing verlieh der Sprache ungeahnte Klarheit und Schärfe in der ungebundenen Rede, Herder sprach in seinen „Fragmenten zur deutschen Litteratur" über Geist und Wesen der deutschen Sprache so gründlich und viel¬ seitig, wie es bisher noch niemand gethan hatte. Damit war man weit über Gottsched hinaus gekommen, der von solcher Weiterentwicklung kaum etwas aHute. Es zeugt von seiner irrigen Auffassung des Wesens der Sprache, wenn er einmal den Wunsch ausspricht: „Es wäre zu wünschen, daß unsre Sprache bei der jetzigen Art, sie zu reden und zu schreiben, erhalten werden könnte, weil sie allem Ansehen nach denjenigen Grad der Vollkommenheit erreicht zu habe» scheint, darin sie zu allen Vorfällen und Absichten einer ausgearbeiteten und artigen Sprache geschickt und bequem ist." Und wenn an Gottscheds Sprachfeststellungen zu tadeln ist, daß in ihnen die Frage nach dem rechten Verhältnis der Mundarten zur Schriftsprache noch nicht die richtige Beantwortung gefunden habe, so ist zu bedenken, daß diese Antwort noch sehr lange nicht gefunden wurde, daß Vodmer, Herder u. a. zwar manches richtigere gesagt haben als Gottsched, daß aber im Grunde erst den Sprachforschern unsers Jahrhunderts die rechte Einsicht in das Verhältnis der Mundarten zur Schriftsprache aufgegangen ist. Wie wenig verbreitet aber diese Einsicht ist und wie wenig es bis jetzt gelungen ist, aus dem neuerschlossenen Quell der Mundarten die deutsche Umgangs- und Schriftsprache zu bereichern, das lehrt recht eindringlich die Begründung der jetzt vom deutschen Sprach¬ verein gestellten Preisaufgabe: „Wie können Reinheit und Reichtum der deutschen Schriftsprache durch die Mundarten gefördert werden?" Es dürfte schwer sein, eine Frage zu finden, deren Beantwortung für unsre Muttersprache von größerer oder auch nur von gleicher Bedeutung wäre. Außer den Mundarten hat Gottsched noch eine andre Sprachquelle ver¬ nachlässigt, er hat nicht die Notwendigkeit erkannt, altes Sprachgut wieder lebendig zu machen und da zu benutzen, wo das neue treffender Bezeichnungen ermangelt. Gottsched hielt kaum für nötig, weiter als bis zu Opitz zurückzu¬ gehen. Die Sprache der Schriftsteller und Dichter des sechzehnten Jahrhunderts, selbst die Luthers nannte er rauh und hart, die Wort- und Satzfügungen jener Zeit ungelenk und undeutlich. Er rühmt Luthers Verdienste um die Sprache, preist seine Bibelübersetzung und seinen Sendbrief vom Dolmetscher, aber in Bezug auf Wortschatz und Satzbau erachtet er die Sprache seiner Zeit für so hoch über Luther stehend, daß er ein Zurückgreifen auf Luther für einen ge¬ waltigen Rückschritt gehalten hätte. Und daß schon das Mittelalter eine Blüte¬ zeit unsrer Sprache und Dichtung gehabt hat, ahnte er kaum. Hierin waren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/408>, abgerufen am 28.09.2024.