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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

So war es heute. Aus den Geschäftsräumen strömten die darin be¬
schäftigten heraus, um in der wonnigen Frühlingsluft die eingeschlossene, dumpfe
Lust zu vergessen, in der sie tags über gelebt hatten.

Mehrere junge Leute gingen zusammen die Hauptstraße hinunter. Sie lachten
und unterhielten sich, ohne auf einen jungen Menschen Rücksicht zu nehmen,
der als letzter das Haus verlassen hatte. Vergeblich versuchte er mehrere male
sich mit in das Gespräch zu mischen, man hörte oder beachtete seine Worte
nicht und ließ ihn zuletzt so deutlich merken, daß er überflüssig sei, daß er
endlich unmutig in eine Nebenstraße einbog.

Mit schnellen Schritten durcheilte er die Hüuserreiheu, bis die Gebäude
kleiner und ärmlicher wurden und von der Straßenlinie zurückwichen. Auf
seinem Gesichte lag noch der Ärger und Verdruß über die Behandlung, die
ihm zu Teil geworden war, als er einen der kleinen Vorgärten betrat; die
Gartenthür flog mit lautem Krachen ins Schloß.

Bei dem Geräusche erschien ein junges Mädchen in der Hausthür und
ging ihm entgegen. Sie war, wie er, nach europäischer Weise gekleidet. Ihr
lichtbraunes Haar war in Zöpfen um ihren zierlichen Kopf aufgesteckt, ihre
Füße nett beschuht, ihr Gewand einfach, aber reinlich und gut. Ihre großen,
dunkelblauen Augen hatten einen ernsten, traurigen Ausdruck, und um ihren
Mund lag ein wehmütiger Zug.

Es war Jeschka und Rüben, die hier einander begegneten.

Du kommst spät, Rüben, der Vater wartet schon, sagte sie, indem sie ihm
die Hand reichte.

Wie kann er warten, wenn er weiß, daß ich im Geschüft bin, daß ich
Geschäfte habe und nur für euch sorgen kann, wenn ich auf das Geschäft achte!
entgegnete er verdrießlich.

Der Vater weiß das ja alles, aber er freut sich der Zeit, wenn du zurück¬
kommst.

Komme ich doch eher zurück, als alle andern, weil niemand mit dem Rüben
gehen mag, von dem sie nicht wissen, ob er ein Jude ist oder nicht. Wenn ich
sage, ich bin ein Jude, so fragen sie, warum der Atti uicht in die Shnagoge
geht und meine Schwester sich nicht zu den Frauen der Gemeinde hält.

Er sah sie fragend an, doch sie achtete dessen nicht und sagte freundlich
und heiter, als hätte sie seine Worte gar uicht gehört: Wieviel besser geht es
uus doch hier, welch ein Unterschied gegen früher! Niemand verfolgt uns,
niemand quält uns, Ruhe und Frieden herrschen. Du kommst vorwärts im
Geschäft. Welch ein Unterschied in der kurzen Zeit! Wie dankbar müssen wir
Davids gedenken!

Ein Seufzer hob ihre Brust.

Warum? fragte Rüben hastig. Ich würde wohl auch ohne ihn gelernt
haben, was ich lernen mußte, und hängt es mir doch auch hier immer wieder


David Beronski.

So war es heute. Aus den Geschäftsräumen strömten die darin be¬
schäftigten heraus, um in der wonnigen Frühlingsluft die eingeschlossene, dumpfe
Lust zu vergessen, in der sie tags über gelebt hatten.

Mehrere junge Leute gingen zusammen die Hauptstraße hinunter. Sie lachten
und unterhielten sich, ohne auf einen jungen Menschen Rücksicht zu nehmen,
der als letzter das Haus verlassen hatte. Vergeblich versuchte er mehrere male
sich mit in das Gespräch zu mischen, man hörte oder beachtete seine Worte
nicht und ließ ihn zuletzt so deutlich merken, daß er überflüssig sei, daß er
endlich unmutig in eine Nebenstraße einbog.

Mit schnellen Schritten durcheilte er die Hüuserreiheu, bis die Gebäude
kleiner und ärmlicher wurden und von der Straßenlinie zurückwichen. Auf
seinem Gesichte lag noch der Ärger und Verdruß über die Behandlung, die
ihm zu Teil geworden war, als er einen der kleinen Vorgärten betrat; die
Gartenthür flog mit lautem Krachen ins Schloß.

Bei dem Geräusche erschien ein junges Mädchen in der Hausthür und
ging ihm entgegen. Sie war, wie er, nach europäischer Weise gekleidet. Ihr
lichtbraunes Haar war in Zöpfen um ihren zierlichen Kopf aufgesteckt, ihre
Füße nett beschuht, ihr Gewand einfach, aber reinlich und gut. Ihre großen,
dunkelblauen Augen hatten einen ernsten, traurigen Ausdruck, und um ihren
Mund lag ein wehmütiger Zug.

Es war Jeschka und Rüben, die hier einander begegneten.

Du kommst spät, Rüben, der Vater wartet schon, sagte sie, indem sie ihm
die Hand reichte.

Wie kann er warten, wenn er weiß, daß ich im Geschüft bin, daß ich
Geschäfte habe und nur für euch sorgen kann, wenn ich auf das Geschäft achte!
entgegnete er verdrießlich.

Der Vater weiß das ja alles, aber er freut sich der Zeit, wenn du zurück¬
kommst.

Komme ich doch eher zurück, als alle andern, weil niemand mit dem Rüben
gehen mag, von dem sie nicht wissen, ob er ein Jude ist oder nicht. Wenn ich
sage, ich bin ein Jude, so fragen sie, warum der Atti uicht in die Shnagoge
geht und meine Schwester sich nicht zu den Frauen der Gemeinde hält.

Er sah sie fragend an, doch sie achtete dessen nicht und sagte freundlich
und heiter, als hätte sie seine Worte gar uicht gehört: Wieviel besser geht es
uus doch hier, welch ein Unterschied gegen früher! Niemand verfolgt uns,
niemand quält uns, Ruhe und Frieden herrschen. Du kommst vorwärts im
Geschäft. Welch ein Unterschied in der kurzen Zeit! Wie dankbar müssen wir
Davids gedenken!

Ein Seufzer hob ihre Brust.

Warum? fragte Rüben hastig. Ich würde wohl auch ohne ihn gelernt
haben, was ich lernen mußte, und hängt es mir doch auch hier immer wieder


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[0325] David Beronski. So war es heute. Aus den Geschäftsräumen strömten die darin be¬ schäftigten heraus, um in der wonnigen Frühlingsluft die eingeschlossene, dumpfe Lust zu vergessen, in der sie tags über gelebt hatten. Mehrere junge Leute gingen zusammen die Hauptstraße hinunter. Sie lachten und unterhielten sich, ohne auf einen jungen Menschen Rücksicht zu nehmen, der als letzter das Haus verlassen hatte. Vergeblich versuchte er mehrere male sich mit in das Gespräch zu mischen, man hörte oder beachtete seine Worte nicht und ließ ihn zuletzt so deutlich merken, daß er überflüssig sei, daß er endlich unmutig in eine Nebenstraße einbog. Mit schnellen Schritten durcheilte er die Hüuserreiheu, bis die Gebäude kleiner und ärmlicher wurden und von der Straßenlinie zurückwichen. Auf seinem Gesichte lag noch der Ärger und Verdruß über die Behandlung, die ihm zu Teil geworden war, als er einen der kleinen Vorgärten betrat; die Gartenthür flog mit lautem Krachen ins Schloß. Bei dem Geräusche erschien ein junges Mädchen in der Hausthür und ging ihm entgegen. Sie war, wie er, nach europäischer Weise gekleidet. Ihr lichtbraunes Haar war in Zöpfen um ihren zierlichen Kopf aufgesteckt, ihre Füße nett beschuht, ihr Gewand einfach, aber reinlich und gut. Ihre großen, dunkelblauen Augen hatten einen ernsten, traurigen Ausdruck, und um ihren Mund lag ein wehmütiger Zug. Es war Jeschka und Rüben, die hier einander begegneten. Du kommst spät, Rüben, der Vater wartet schon, sagte sie, indem sie ihm die Hand reichte. Wie kann er warten, wenn er weiß, daß ich im Geschüft bin, daß ich Geschäfte habe und nur für euch sorgen kann, wenn ich auf das Geschäft achte! entgegnete er verdrießlich. Der Vater weiß das ja alles, aber er freut sich der Zeit, wenn du zurück¬ kommst. Komme ich doch eher zurück, als alle andern, weil niemand mit dem Rüben gehen mag, von dem sie nicht wissen, ob er ein Jude ist oder nicht. Wenn ich sage, ich bin ein Jude, so fragen sie, warum der Atti uicht in die Shnagoge geht und meine Schwester sich nicht zu den Frauen der Gemeinde hält. Er sah sie fragend an, doch sie achtete dessen nicht und sagte freundlich und heiter, als hätte sie seine Worte gar uicht gehört: Wieviel besser geht es uus doch hier, welch ein Unterschied gegen früher! Niemand verfolgt uns, niemand quält uns, Ruhe und Frieden herrschen. Du kommst vorwärts im Geschäft. Welch ein Unterschied in der kurzen Zeit! Wie dankbar müssen wir Davids gedenken! Ein Seufzer hob ihre Brust. Warum? fragte Rüben hastig. Ich würde wohl auch ohne ihn gelernt haben, was ich lernen mußte, und hängt es mir doch auch hier immer wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/325>, abgerufen am 23.06.2024.