Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus der Strafrechtspflege,

für die verschiednen Abstufungen der Verbrechen gegen das Vermögen ein so
feines Gefühl besitze, bei der Bestrafung der Beleidigung und des Widerstandes
gegen die Staatsgewalt dieser Eigenschaft so sehr entbehre. Die Erfahrungen,
welche seit diesem Ausspruch unsers großen Staatsmannes gemacht worden sind,
bestätigen seine Nichtigkeit in vollem Umfange. Es ist kein Wunder, wenn in
dem letzten Jahrzehnt die Zufriedenheit mit der Thätigkeit der Strafjustiz nicht
gestiegen ist, es ist kein Wunder, wenn angesichts der Bestrafung der Beleidigungen
der Selbstschutz der Ehre mittels des Zweikampfes sich in weitesten Maße aus¬
breitet und ungeachtet strenger Strafen in den Kreisen, in denen man ein be¬
sonders entwickeltes Ehrgefühl besitzt, in dauernder Zunahme begriffen ist.

Die privatrechtliche Schulung lehrt den Juristen, nur solchen Rechtsverhält¬
nissen Beachtung zu schenken, welchen ein Vermögenswert eigen ist; ein Recht,
dessen Wert nicht in Geld ausdrückbar ist, giebt es für die Mehrzahl der Privat-
rcchtsjnristcn nicht, für Rechte, denen nur ein idealer Wert beiwohnt, ist in
der Mehrzahl der Hand- und Lehrbücher des Privatrechts kein Platz.

Eine" klassischen Beweis für diese einseitige vermögensrechtliche Anschauung,
welche in der Rechtswissenschaft die Herrschaft besitzt, bietet namentlich auch die
Behandlung, die das litterarische und künstlerische Urheberrecht erfahren hat.
Hervorragende Juristen haben die Ansicht vertreten, daß die Verletzung dieses
Rechtes nur unter dem Gesichtspunkte der Beeinträchtigung der vermögens¬
rechtlichen Interessen des Urhebers zu verfolgen sei, während es doch ans der
Hand liegt, daß dieser nicht nur ein vermögensrechtliches, sondern mich ein
ideales Interesse daran besitzt, daß kein Unberufner sich die Ergebnisse seines
Schaffens aneigne. Die ausschließliche Beschäftigung mit diesen Anschauungen
verfehlt nicht, dem Richter schließlich die Überzeugung beizubringen, daß das
Vermögen das wichtigste und vorzüglichste Nechtsgut bilde und seine Verletzung
demgemäß am schärfsten zu ahnden sei, und so ist es erklärlich, daß in unserm
Volke, welches doch stets den Anspruch darauf erhoben hat, dem Idealismus
und der idealen Lebensanschauung in Höheren Maße Treue zu bewahren als
irgend ein andres Volk, daß in ihm sich eine Rechtsbildung hat Geltung ver¬
schaffen können, die den Wert idealer Nechtsgütcr geringer achtet als den
von Hab und Gut -- auch ein Zeichen des Einflusses, den der Materialismus
und Kapitalismus auf das Denken und Fühlen unsrer Zeit ausübt.

Die einseitige privatrechtliche Ausbildung beraubt den Juristen aber nicht
nur der Fähigkeit, den Wert der verletzten Nechtsgütcr in sachgemäßer Weise
zu bestimmen, sondern sie verhindert ihn auch, sich die Kenntnisse anzueignen,
welche für den Strafrichter so unbedingt notwendig sind, und auch dieser Punkt
ist für die Erklärung der unbefriedigender Rechtspflege anzuführen, unter der
wir leiden. Wer sich die privatrechtliche Denlungsweise ausschließlich angewöhnt
hat, ist außer stände, einen Verbrecher so zu beurteilen, daß sowohl seine wie
der Gesellschaft Interessen ihre Berücksichtigung finden. Professor von Liszt hat


Aus der Strafrechtspflege,

für die verschiednen Abstufungen der Verbrechen gegen das Vermögen ein so
feines Gefühl besitze, bei der Bestrafung der Beleidigung und des Widerstandes
gegen die Staatsgewalt dieser Eigenschaft so sehr entbehre. Die Erfahrungen,
welche seit diesem Ausspruch unsers großen Staatsmannes gemacht worden sind,
bestätigen seine Nichtigkeit in vollem Umfange. Es ist kein Wunder, wenn in
dem letzten Jahrzehnt die Zufriedenheit mit der Thätigkeit der Strafjustiz nicht
gestiegen ist, es ist kein Wunder, wenn angesichts der Bestrafung der Beleidigungen
der Selbstschutz der Ehre mittels des Zweikampfes sich in weitesten Maße aus¬
breitet und ungeachtet strenger Strafen in den Kreisen, in denen man ein be¬
sonders entwickeltes Ehrgefühl besitzt, in dauernder Zunahme begriffen ist.

Die privatrechtliche Schulung lehrt den Juristen, nur solchen Rechtsverhält¬
nissen Beachtung zu schenken, welchen ein Vermögenswert eigen ist; ein Recht,
dessen Wert nicht in Geld ausdrückbar ist, giebt es für die Mehrzahl der Privat-
rcchtsjnristcn nicht, für Rechte, denen nur ein idealer Wert beiwohnt, ist in
der Mehrzahl der Hand- und Lehrbücher des Privatrechts kein Platz.

Eine» klassischen Beweis für diese einseitige vermögensrechtliche Anschauung,
welche in der Rechtswissenschaft die Herrschaft besitzt, bietet namentlich auch die
Behandlung, die das litterarische und künstlerische Urheberrecht erfahren hat.
Hervorragende Juristen haben die Ansicht vertreten, daß die Verletzung dieses
Rechtes nur unter dem Gesichtspunkte der Beeinträchtigung der vermögens¬
rechtlichen Interessen des Urhebers zu verfolgen sei, während es doch ans der
Hand liegt, daß dieser nicht nur ein vermögensrechtliches, sondern mich ein
ideales Interesse daran besitzt, daß kein Unberufner sich die Ergebnisse seines
Schaffens aneigne. Die ausschließliche Beschäftigung mit diesen Anschauungen
verfehlt nicht, dem Richter schließlich die Überzeugung beizubringen, daß das
Vermögen das wichtigste und vorzüglichste Nechtsgut bilde und seine Verletzung
demgemäß am schärfsten zu ahnden sei, und so ist es erklärlich, daß in unserm
Volke, welches doch stets den Anspruch darauf erhoben hat, dem Idealismus
und der idealen Lebensanschauung in Höheren Maße Treue zu bewahren als
irgend ein andres Volk, daß in ihm sich eine Rechtsbildung hat Geltung ver¬
schaffen können, die den Wert idealer Nechtsgütcr geringer achtet als den
von Hab und Gut — auch ein Zeichen des Einflusses, den der Materialismus
und Kapitalismus auf das Denken und Fühlen unsrer Zeit ausübt.

Die einseitige privatrechtliche Ausbildung beraubt den Juristen aber nicht
nur der Fähigkeit, den Wert der verletzten Nechtsgütcr in sachgemäßer Weise
zu bestimmen, sondern sie verhindert ihn auch, sich die Kenntnisse anzueignen,
welche für den Strafrichter so unbedingt notwendig sind, und auch dieser Punkt
ist für die Erklärung der unbefriedigender Rechtspflege anzuführen, unter der
wir leiden. Wer sich die privatrechtliche Denlungsweise ausschließlich angewöhnt
hat, ist außer stände, einen Verbrecher so zu beurteilen, daß sowohl seine wie
der Gesellschaft Interessen ihre Berücksichtigung finden. Professor von Liszt hat


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0228" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202327"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus der Strafrechtspflege,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_842" prev="#ID_841"> für die verschiednen Abstufungen der Verbrechen gegen das Vermögen ein so<lb/>
feines Gefühl besitze, bei der Bestrafung der Beleidigung und des Widerstandes<lb/>
gegen die Staatsgewalt dieser Eigenschaft so sehr entbehre. Die Erfahrungen,<lb/>
welche seit diesem Ausspruch unsers großen Staatsmannes gemacht worden sind,<lb/>
bestätigen seine Nichtigkeit in vollem Umfange. Es ist kein Wunder, wenn in<lb/>
dem letzten Jahrzehnt die Zufriedenheit mit der Thätigkeit der Strafjustiz nicht<lb/>
gestiegen ist, es ist kein Wunder, wenn angesichts der Bestrafung der Beleidigungen<lb/>
der Selbstschutz der Ehre mittels des Zweikampfes sich in weitesten Maße aus¬<lb/>
breitet und ungeachtet strenger Strafen in den Kreisen, in denen man ein be¬<lb/>
sonders entwickeltes Ehrgefühl besitzt, in dauernder Zunahme begriffen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_843"> Die privatrechtliche Schulung lehrt den Juristen, nur solchen Rechtsverhält¬<lb/>
nissen Beachtung zu schenken, welchen ein Vermögenswert eigen ist; ein Recht,<lb/>
dessen Wert nicht in Geld ausdrückbar ist, giebt es für die Mehrzahl der Privat-<lb/>
rcchtsjnristcn nicht, für Rechte, denen nur ein idealer Wert beiwohnt, ist in<lb/>
der Mehrzahl der Hand- und Lehrbücher des Privatrechts kein Platz.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_844"> Eine» klassischen Beweis für diese einseitige vermögensrechtliche Anschauung,<lb/>
welche in der Rechtswissenschaft die Herrschaft besitzt, bietet namentlich auch die<lb/>
Behandlung, die das litterarische und künstlerische Urheberrecht erfahren hat.<lb/>
Hervorragende Juristen haben die Ansicht vertreten, daß die Verletzung dieses<lb/>
Rechtes nur unter dem Gesichtspunkte der Beeinträchtigung der vermögens¬<lb/>
rechtlichen Interessen des Urhebers zu verfolgen sei, während es doch ans der<lb/>
Hand liegt, daß dieser nicht nur ein vermögensrechtliches, sondern mich ein<lb/>
ideales Interesse daran besitzt, daß kein Unberufner sich die Ergebnisse seines<lb/>
Schaffens aneigne. Die ausschließliche Beschäftigung mit diesen Anschauungen<lb/>
verfehlt nicht, dem Richter schließlich die Überzeugung beizubringen, daß das<lb/>
Vermögen das wichtigste und vorzüglichste Nechtsgut bilde und seine Verletzung<lb/>
demgemäß am schärfsten zu ahnden sei, und so ist es erklärlich, daß in unserm<lb/>
Volke, welches doch stets den Anspruch darauf erhoben hat, dem Idealismus<lb/>
und der idealen Lebensanschauung in Höheren Maße Treue zu bewahren als<lb/>
irgend ein andres Volk, daß in ihm sich eine Rechtsbildung hat Geltung ver¬<lb/>
schaffen können, die den Wert idealer Nechtsgütcr geringer achtet als den<lb/>
von Hab und Gut &#x2014; auch ein Zeichen des Einflusses, den der Materialismus<lb/>
und Kapitalismus auf das Denken und Fühlen unsrer Zeit ausübt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_845" next="#ID_846"> Die einseitige privatrechtliche Ausbildung beraubt den Juristen aber nicht<lb/>
nur der Fähigkeit, den Wert der verletzten Nechtsgütcr in sachgemäßer Weise<lb/>
zu bestimmen, sondern sie verhindert ihn auch, sich die Kenntnisse anzueignen,<lb/>
welche für den Strafrichter so unbedingt notwendig sind, und auch dieser Punkt<lb/>
ist für die Erklärung der unbefriedigender Rechtspflege anzuführen, unter der<lb/>
wir leiden. Wer sich die privatrechtliche Denlungsweise ausschließlich angewöhnt<lb/>
hat, ist außer stände, einen Verbrecher so zu beurteilen, daß sowohl seine wie<lb/>
der Gesellschaft Interessen ihre Berücksichtigung finden. Professor von Liszt hat</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0228] Aus der Strafrechtspflege, für die verschiednen Abstufungen der Verbrechen gegen das Vermögen ein so feines Gefühl besitze, bei der Bestrafung der Beleidigung und des Widerstandes gegen die Staatsgewalt dieser Eigenschaft so sehr entbehre. Die Erfahrungen, welche seit diesem Ausspruch unsers großen Staatsmannes gemacht worden sind, bestätigen seine Nichtigkeit in vollem Umfange. Es ist kein Wunder, wenn in dem letzten Jahrzehnt die Zufriedenheit mit der Thätigkeit der Strafjustiz nicht gestiegen ist, es ist kein Wunder, wenn angesichts der Bestrafung der Beleidigungen der Selbstschutz der Ehre mittels des Zweikampfes sich in weitesten Maße aus¬ breitet und ungeachtet strenger Strafen in den Kreisen, in denen man ein be¬ sonders entwickeltes Ehrgefühl besitzt, in dauernder Zunahme begriffen ist. Die privatrechtliche Schulung lehrt den Juristen, nur solchen Rechtsverhält¬ nissen Beachtung zu schenken, welchen ein Vermögenswert eigen ist; ein Recht, dessen Wert nicht in Geld ausdrückbar ist, giebt es für die Mehrzahl der Privat- rcchtsjnristcn nicht, für Rechte, denen nur ein idealer Wert beiwohnt, ist in der Mehrzahl der Hand- und Lehrbücher des Privatrechts kein Platz. Eine» klassischen Beweis für diese einseitige vermögensrechtliche Anschauung, welche in der Rechtswissenschaft die Herrschaft besitzt, bietet namentlich auch die Behandlung, die das litterarische und künstlerische Urheberrecht erfahren hat. Hervorragende Juristen haben die Ansicht vertreten, daß die Verletzung dieses Rechtes nur unter dem Gesichtspunkte der Beeinträchtigung der vermögens¬ rechtlichen Interessen des Urhebers zu verfolgen sei, während es doch ans der Hand liegt, daß dieser nicht nur ein vermögensrechtliches, sondern mich ein ideales Interesse daran besitzt, daß kein Unberufner sich die Ergebnisse seines Schaffens aneigne. Die ausschließliche Beschäftigung mit diesen Anschauungen verfehlt nicht, dem Richter schließlich die Überzeugung beizubringen, daß das Vermögen das wichtigste und vorzüglichste Nechtsgut bilde und seine Verletzung demgemäß am schärfsten zu ahnden sei, und so ist es erklärlich, daß in unserm Volke, welches doch stets den Anspruch darauf erhoben hat, dem Idealismus und der idealen Lebensanschauung in Höheren Maße Treue zu bewahren als irgend ein andres Volk, daß in ihm sich eine Rechtsbildung hat Geltung ver¬ schaffen können, die den Wert idealer Nechtsgütcr geringer achtet als den von Hab und Gut — auch ein Zeichen des Einflusses, den der Materialismus und Kapitalismus auf das Denken und Fühlen unsrer Zeit ausübt. Die einseitige privatrechtliche Ausbildung beraubt den Juristen aber nicht nur der Fähigkeit, den Wert der verletzten Nechtsgütcr in sachgemäßer Weise zu bestimmen, sondern sie verhindert ihn auch, sich die Kenntnisse anzueignen, welche für den Strafrichter so unbedingt notwendig sind, und auch dieser Punkt ist für die Erklärung der unbefriedigender Rechtspflege anzuführen, unter der wir leiden. Wer sich die privatrechtliche Denlungsweise ausschließlich angewöhnt hat, ist außer stände, einen Verbrecher so zu beurteilen, daß sowohl seine wie der Gesellschaft Interessen ihre Berücksichtigung finden. Professor von Liszt hat

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/228
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/228>, abgerufen am 28.09.2024.