Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
David Beronski.

Er ist ein andrer geworden, sagte sich Davids Frau, als er Tag für Tag
auf demselben Flecke saß, still, in sich gekehrt, nachdenklich und ernst. Er ging
fast nie ans, mied das Haus des Karaiten, und vergebens harrte Jeschka seiner.
Stundenlang saß sie unbeweglich vor der Thür, des Augenblicks wartend, wo
David vorübergehen würde, und sie hinlaufen könnte, um seinen Arm, seine
Hand, ja nur einen Zipfel seines Gewandes an ihre Lippen zu Pressen. Ihm
zeigen, daß sie um sein Geheimnis wisse? Nein, das hätte sie nie gewagt.

Rebekka triumphirte. Zu rechter Zeit hatte sie gesprochen. Ihr Herz hielt
und hegte ihn noch inniger und fester als früher, hatte sie ihn doch zurück
erobert. Oft ging sie tagsüber zu ihm, streichelte seine Wangen, wie sie es
gethan hatte, als er ein kleines Kind war, und ihre Lippen murmelten die zärt¬
lichsten Liebesworte. Doch nie kam sie auf jenen Abend zurück.

Daun sah er sie mit trocknen, heißen Augen an, duldete ihre Liebkosungen
stillschweigend und seufzte tief.

Er wird wieder der Alte werden, das Fieber hält ihn noch gefangen, sagte
Rebekka zu ihrer Schwiegertochter Salome. Aber sie warteten vergebens darauf.

Es kann so nicht bleiben, schrie es oft in David auf, und dann erhob er
sich schnell. Die alte Spannkraft seines Körpers wie seines Geistes kam Plötzlich
über ihn, und dann sehnte er sich darnach, zu kämpfe", zu ringen, um zu siegen
oder unterzugehen. Dies thatenlose Hindämmern schien ihm ein Sterben bei
lebendigem Leibe, er sehnte sich nach einer Änderung, die er nicht herbeizu¬
führen wußte und ebensowenig zu beschleunigen wagte. Sah er doch stets seine
Mutter vor sich, hörte wieder ihre flehenden, verzweifelnden Worte, und der
Mut, sie zu kränken, zum Tode zu betrüben, verließ ihn.

Er rief sich wieder und wieder die Worte ins Gedächtnis zurück, die sein
bisheriges Geistes- und Glaubensleben so vollständig umgestürzt hatten, denn nicht
nach und nach, nein, mit einem male war ihm die Gewißheit von der Wahr¬
heit dessen, was er gelesen hatte, aufgegangen. Heißhungrig hatte er weiter ge¬
forscht, hatte gelesen wie einer, der Leben oder Tod zwischen den Zeilen zu finden
erwartet, und hatte endlich das Leben, das, was er für das einzig wahre Leben
erkennen mußte, gefunden. Konnte, durfte er denn nun diesen seinen neuen Glauben
für sich behalten, seiner Mutter wegen? So tief ihn ihre innige Liebe rührte,
sie konnte ihn nur eine kurze Zeit lang hinweg täuschen über die sich ihm immer
klarer und unwiderstehlicher aufdrängende Überzeugung, daß er seinen Herrn
und Heiland verleugne. Wie mit Flammenschrift standen die Worte: "Wer mich
aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem
himmlischen Vater" vor seinem innern Auge. Der Druck der Unwahrheit, in
der er lebte, lastete immer schwerer auf ihm. Er ging einher, wie in einem
finstern Traume befangen, und wartete, ob nicht irgend etwas seiner Pein, seinen
Zweifeln ein Ende machen würde.

Immer lauter, immer drängender trat die Frage an ihn heran, ob die


David Beronski.

Er ist ein andrer geworden, sagte sich Davids Frau, als er Tag für Tag
auf demselben Flecke saß, still, in sich gekehrt, nachdenklich und ernst. Er ging
fast nie ans, mied das Haus des Karaiten, und vergebens harrte Jeschka seiner.
Stundenlang saß sie unbeweglich vor der Thür, des Augenblicks wartend, wo
David vorübergehen würde, und sie hinlaufen könnte, um seinen Arm, seine
Hand, ja nur einen Zipfel seines Gewandes an ihre Lippen zu Pressen. Ihm
zeigen, daß sie um sein Geheimnis wisse? Nein, das hätte sie nie gewagt.

Rebekka triumphirte. Zu rechter Zeit hatte sie gesprochen. Ihr Herz hielt
und hegte ihn noch inniger und fester als früher, hatte sie ihn doch zurück
erobert. Oft ging sie tagsüber zu ihm, streichelte seine Wangen, wie sie es
gethan hatte, als er ein kleines Kind war, und ihre Lippen murmelten die zärt¬
lichsten Liebesworte. Doch nie kam sie auf jenen Abend zurück.

Daun sah er sie mit trocknen, heißen Augen an, duldete ihre Liebkosungen
stillschweigend und seufzte tief.

Er wird wieder der Alte werden, das Fieber hält ihn noch gefangen, sagte
Rebekka zu ihrer Schwiegertochter Salome. Aber sie warteten vergebens darauf.

Es kann so nicht bleiben, schrie es oft in David auf, und dann erhob er
sich schnell. Die alte Spannkraft seines Körpers wie seines Geistes kam Plötzlich
über ihn, und dann sehnte er sich darnach, zu kämpfe», zu ringen, um zu siegen
oder unterzugehen. Dies thatenlose Hindämmern schien ihm ein Sterben bei
lebendigem Leibe, er sehnte sich nach einer Änderung, die er nicht herbeizu¬
führen wußte und ebensowenig zu beschleunigen wagte. Sah er doch stets seine
Mutter vor sich, hörte wieder ihre flehenden, verzweifelnden Worte, und der
Mut, sie zu kränken, zum Tode zu betrüben, verließ ihn.

Er rief sich wieder und wieder die Worte ins Gedächtnis zurück, die sein
bisheriges Geistes- und Glaubensleben so vollständig umgestürzt hatten, denn nicht
nach und nach, nein, mit einem male war ihm die Gewißheit von der Wahr¬
heit dessen, was er gelesen hatte, aufgegangen. Heißhungrig hatte er weiter ge¬
forscht, hatte gelesen wie einer, der Leben oder Tod zwischen den Zeilen zu finden
erwartet, und hatte endlich das Leben, das, was er für das einzig wahre Leben
erkennen mußte, gefunden. Konnte, durfte er denn nun diesen seinen neuen Glauben
für sich behalten, seiner Mutter wegen? So tief ihn ihre innige Liebe rührte,
sie konnte ihn nur eine kurze Zeit lang hinweg täuschen über die sich ihm immer
klarer und unwiderstehlicher aufdrängende Überzeugung, daß er seinen Herrn
und Heiland verleugne. Wie mit Flammenschrift standen die Worte: „Wer mich
aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem
himmlischen Vater" vor seinem innern Auge. Der Druck der Unwahrheit, in
der er lebte, lastete immer schwerer auf ihm. Er ging einher, wie in einem
finstern Traume befangen, und wartete, ob nicht irgend etwas seiner Pein, seinen
Zweifeln ein Ende machen würde.

Immer lauter, immer drängender trat die Frage an ihn heran, ob die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0220" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202319"/>
            <fw type="header" place="top"> David Beronski.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_785"> Er ist ein andrer geworden, sagte sich Davids Frau, als er Tag für Tag<lb/>
auf demselben Flecke saß, still, in sich gekehrt, nachdenklich und ernst. Er ging<lb/>
fast nie ans, mied das Haus des Karaiten, und vergebens harrte Jeschka seiner.<lb/>
Stundenlang saß sie unbeweglich vor der Thür, des Augenblicks wartend, wo<lb/>
David vorübergehen würde, und sie hinlaufen könnte, um seinen Arm, seine<lb/>
Hand, ja nur einen Zipfel seines Gewandes an ihre Lippen zu Pressen. Ihm<lb/>
zeigen, daß sie um sein Geheimnis wisse? Nein, das hätte sie nie gewagt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_786"> Rebekka triumphirte. Zu rechter Zeit hatte sie gesprochen. Ihr Herz hielt<lb/>
und hegte ihn noch inniger und fester als früher, hatte sie ihn doch zurück<lb/>
erobert. Oft ging sie tagsüber zu ihm, streichelte seine Wangen, wie sie es<lb/>
gethan hatte, als er ein kleines Kind war, und ihre Lippen murmelten die zärt¬<lb/>
lichsten Liebesworte. Doch nie kam sie auf jenen Abend zurück.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_787"> Daun sah er sie mit trocknen, heißen Augen an, duldete ihre Liebkosungen<lb/>
stillschweigend und seufzte tief.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_788"> Er wird wieder der Alte werden, das Fieber hält ihn noch gefangen, sagte<lb/>
Rebekka zu ihrer Schwiegertochter Salome. Aber sie warteten vergebens darauf.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_789"> Es kann so nicht bleiben, schrie es oft in David auf, und dann erhob er<lb/>
sich schnell. Die alte Spannkraft seines Körpers wie seines Geistes kam Plötzlich<lb/>
über ihn, und dann sehnte er sich darnach, zu kämpfe», zu ringen, um zu siegen<lb/>
oder unterzugehen. Dies thatenlose Hindämmern schien ihm ein Sterben bei<lb/>
lebendigem Leibe, er sehnte sich nach einer Änderung, die er nicht herbeizu¬<lb/>
führen wußte und ebensowenig zu beschleunigen wagte. Sah er doch stets seine<lb/>
Mutter vor sich, hörte wieder ihre flehenden, verzweifelnden Worte, und der<lb/>
Mut, sie zu kränken, zum Tode zu betrüben, verließ ihn.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_790"> Er rief sich wieder und wieder die Worte ins Gedächtnis zurück, die sein<lb/>
bisheriges Geistes- und Glaubensleben so vollständig umgestürzt hatten, denn nicht<lb/>
nach und nach, nein, mit einem male war ihm die Gewißheit von der Wahr¬<lb/>
heit dessen, was er gelesen hatte, aufgegangen. Heißhungrig hatte er weiter ge¬<lb/>
forscht, hatte gelesen wie einer, der Leben oder Tod zwischen den Zeilen zu finden<lb/>
erwartet, und hatte endlich das Leben, das, was er für das einzig wahre Leben<lb/>
erkennen mußte, gefunden. Konnte, durfte er denn nun diesen seinen neuen Glauben<lb/>
für sich behalten, seiner Mutter wegen? So tief ihn ihre innige Liebe rührte,<lb/>
sie konnte ihn nur eine kurze Zeit lang hinweg täuschen über die sich ihm immer<lb/>
klarer und unwiderstehlicher aufdrängende Überzeugung, daß er seinen Herrn<lb/>
und Heiland verleugne. Wie mit Flammenschrift standen die Worte: &#x201E;Wer mich<lb/>
aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem<lb/>
himmlischen Vater" vor seinem innern Auge. Der Druck der Unwahrheit, in<lb/>
der er lebte, lastete immer schwerer auf ihm. Er ging einher, wie in einem<lb/>
finstern Traume befangen, und wartete, ob nicht irgend etwas seiner Pein, seinen<lb/>
Zweifeln ein Ende machen würde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_791" next="#ID_792"> Immer lauter, immer drängender trat die Frage an ihn heran, ob die</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0220] David Beronski. Er ist ein andrer geworden, sagte sich Davids Frau, als er Tag für Tag auf demselben Flecke saß, still, in sich gekehrt, nachdenklich und ernst. Er ging fast nie ans, mied das Haus des Karaiten, und vergebens harrte Jeschka seiner. Stundenlang saß sie unbeweglich vor der Thür, des Augenblicks wartend, wo David vorübergehen würde, und sie hinlaufen könnte, um seinen Arm, seine Hand, ja nur einen Zipfel seines Gewandes an ihre Lippen zu Pressen. Ihm zeigen, daß sie um sein Geheimnis wisse? Nein, das hätte sie nie gewagt. Rebekka triumphirte. Zu rechter Zeit hatte sie gesprochen. Ihr Herz hielt und hegte ihn noch inniger und fester als früher, hatte sie ihn doch zurück erobert. Oft ging sie tagsüber zu ihm, streichelte seine Wangen, wie sie es gethan hatte, als er ein kleines Kind war, und ihre Lippen murmelten die zärt¬ lichsten Liebesworte. Doch nie kam sie auf jenen Abend zurück. Daun sah er sie mit trocknen, heißen Augen an, duldete ihre Liebkosungen stillschweigend und seufzte tief. Er wird wieder der Alte werden, das Fieber hält ihn noch gefangen, sagte Rebekka zu ihrer Schwiegertochter Salome. Aber sie warteten vergebens darauf. Es kann so nicht bleiben, schrie es oft in David auf, und dann erhob er sich schnell. Die alte Spannkraft seines Körpers wie seines Geistes kam Plötzlich über ihn, und dann sehnte er sich darnach, zu kämpfe», zu ringen, um zu siegen oder unterzugehen. Dies thatenlose Hindämmern schien ihm ein Sterben bei lebendigem Leibe, er sehnte sich nach einer Änderung, die er nicht herbeizu¬ führen wußte und ebensowenig zu beschleunigen wagte. Sah er doch stets seine Mutter vor sich, hörte wieder ihre flehenden, verzweifelnden Worte, und der Mut, sie zu kränken, zum Tode zu betrüben, verließ ihn. Er rief sich wieder und wieder die Worte ins Gedächtnis zurück, die sein bisheriges Geistes- und Glaubensleben so vollständig umgestürzt hatten, denn nicht nach und nach, nein, mit einem male war ihm die Gewißheit von der Wahr¬ heit dessen, was er gelesen hatte, aufgegangen. Heißhungrig hatte er weiter ge¬ forscht, hatte gelesen wie einer, der Leben oder Tod zwischen den Zeilen zu finden erwartet, und hatte endlich das Leben, das, was er für das einzig wahre Leben erkennen mußte, gefunden. Konnte, durfte er denn nun diesen seinen neuen Glauben für sich behalten, seiner Mutter wegen? So tief ihn ihre innige Liebe rührte, sie konnte ihn nur eine kurze Zeit lang hinweg täuschen über die sich ihm immer klarer und unwiderstehlicher aufdrängende Überzeugung, daß er seinen Herrn und Heiland verleugne. Wie mit Flammenschrift standen die Worte: „Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater" vor seinem innern Auge. Der Druck der Unwahrheit, in der er lebte, lastete immer schwerer auf ihm. Er ging einher, wie in einem finstern Traume befangen, und wartete, ob nicht irgend etwas seiner Pein, seinen Zweifeln ein Ende machen würde. Immer lauter, immer drängender trat die Frage an ihn heran, ob die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/220
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/220>, abgerufen am 27.06.2024.