Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.Ein Traum. Sprachkunst so viel Stücke hält und sich durch ein ganzes Wörterbuch von Moritz Necker. Ein Traum. ufgeklärt, wie ich bin, lege ich selbstverständlich auch den selt¬ Unser Zug war im Schnee stecken geblieben, spät erreichten wir eine Stadt, Ein Traum. Sprachkunst so viel Stücke hält und sich durch ein ganzes Wörterbuch von Moritz Necker. Ein Traum. ufgeklärt, wie ich bin, lege ich selbstverständlich auch den selt¬ Unser Zug war im Schnee stecken geblieben, spät erreichten wir eine Stadt, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0211" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202310"/> <fw type="header" place="top"> Ein Traum.</fw><lb/> <p xml:id="ID_745" prev="#ID_744"> Sprachkunst so viel Stücke hält und sich durch ein ganzes Wörterbuch von<lb/> Neubildungen, nicht immer glücklicher Art, mis Sprachschöpfer geberdet, beherrscht<lb/> nicht das Grundelement der dichterischen Kunst: das Wort nach den Charakteren,<lb/> denen es angehört, zu modeln. Mag Loris oder Jobcia, der Schopenhauerianer<lb/> Wickhoff oder Agnete oder Liebherr oder Leonore reden — es ist alles eins,<lb/> es ist immer die schwülstige, bilderjagende, lange Sätze anstürmende, reflektirt-<lb/> dialektische, niemals klar unmittelbare schlichte Prosa des durch die ganze Uni¬<lb/> versität der Wissenschaften gewanderter Erzählers Wilhelm Jordan. In dieser<lb/> geschmacklosen Prosa ist Jordan allerdings noch ein guter Deutscher aus der<lb/> alten Zeit der MetaPhysiker geblieben. Er hat noch obendrein besondre Mucken,<lb/> er will den Sprachgeist umgestalten in jedem einzelnen Satze, den er nieder¬<lb/> schreibe. Es ist romanische Syntax, das sinnwichtigste Wort an die Spitze des<lb/> Satzes zu stellen und die übrigen nachzuschicken; die deutsche Sprache, welche<lb/> z. B. anch zusammengesetzte Zeitwörter trennt, ist minder gesellig rücksichtsvoll,<lb/> sie fordert des Hörers Aufmerksamkeit gleichmäßig für die ganze Rede. Das<lb/> ficht Jordan indes nicht an. Indem er sich auf der einen Seite sprach¬<lb/> schöpferisch geberdet, wirkt er anderseits sprachzerstörend mit derselben pedan¬<lb/> tischen Schulmeisterart. Das sind die Steine, ja die Blöcke und Felsen, die<lb/> er sich selbst in den Weg legt und mit denen er den Zutritt der Menge zu<lb/> seiner poetischen Welt verrammelt. Sein Roman kann nur von wenigen, die<lb/> sich mit Geduld und Ausdauer wappnen, gelesen werden, und wer endlich zu<lb/> Ende gekommen ist, wird über die barocken Schrullen Jordans geradeso klagen,<lb/> wie wir es gethan haben.</p><lb/> <note type="byline"> Moritz Necker.</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Ein Traum.</head><lb/> <p xml:id="ID_746"> ufgeklärt, wie ich bin, lege ich selbstverständlich auch den selt¬<lb/> samsten Träumen keine Bedeutung bei, und wenn ich mir heraus¬<lb/> nehme, hier von einem solchen Gaukelspiel der Sinne zu er¬<lb/> zählen, so geschieht es lediglich, um einen neuen Beweis dafür<lb/> zu bringen, daß die Träume aus dem Magen kommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_747" next="#ID_748"> Unser Zug war im Schnee stecken geblieben, spät erreichten wir eine Stadt,<lb/> in der sich sonst kaum Weinreisende aufzuhalten Pflegen, und die daher nicht<lb/> auf die Beherbergung zahlreicher Gäste vorgesehen ist. Im Nu waren sämtliche<lb/> Zimmer sämtlicher Gasthäuser mit Beschlag belegt; mir blieb, wie manchem<lb/> andern, nur die Anwartschaft auf eine Lagerstätte im Tanzsaal, und während diese</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0211]
Ein Traum.
Sprachkunst so viel Stücke hält und sich durch ein ganzes Wörterbuch von
Neubildungen, nicht immer glücklicher Art, mis Sprachschöpfer geberdet, beherrscht
nicht das Grundelement der dichterischen Kunst: das Wort nach den Charakteren,
denen es angehört, zu modeln. Mag Loris oder Jobcia, der Schopenhauerianer
Wickhoff oder Agnete oder Liebherr oder Leonore reden — es ist alles eins,
es ist immer die schwülstige, bilderjagende, lange Sätze anstürmende, reflektirt-
dialektische, niemals klar unmittelbare schlichte Prosa des durch die ganze Uni¬
versität der Wissenschaften gewanderter Erzählers Wilhelm Jordan. In dieser
geschmacklosen Prosa ist Jordan allerdings noch ein guter Deutscher aus der
alten Zeit der MetaPhysiker geblieben. Er hat noch obendrein besondre Mucken,
er will den Sprachgeist umgestalten in jedem einzelnen Satze, den er nieder¬
schreibe. Es ist romanische Syntax, das sinnwichtigste Wort an die Spitze des
Satzes zu stellen und die übrigen nachzuschicken; die deutsche Sprache, welche
z. B. anch zusammengesetzte Zeitwörter trennt, ist minder gesellig rücksichtsvoll,
sie fordert des Hörers Aufmerksamkeit gleichmäßig für die ganze Rede. Das
ficht Jordan indes nicht an. Indem er sich auf der einen Seite sprach¬
schöpferisch geberdet, wirkt er anderseits sprachzerstörend mit derselben pedan¬
tischen Schulmeisterart. Das sind die Steine, ja die Blöcke und Felsen, die
er sich selbst in den Weg legt und mit denen er den Zutritt der Menge zu
seiner poetischen Welt verrammelt. Sein Roman kann nur von wenigen, die
sich mit Geduld und Ausdauer wappnen, gelesen werden, und wer endlich zu
Ende gekommen ist, wird über die barocken Schrullen Jordans geradeso klagen,
wie wir es gethan haben.
Moritz Necker.
Ein Traum.
ufgeklärt, wie ich bin, lege ich selbstverständlich auch den selt¬
samsten Träumen keine Bedeutung bei, und wenn ich mir heraus¬
nehme, hier von einem solchen Gaukelspiel der Sinne zu er¬
zählen, so geschieht es lediglich, um einen neuen Beweis dafür
zu bringen, daß die Träume aus dem Magen kommen.
Unser Zug war im Schnee stecken geblieben, spät erreichten wir eine Stadt,
in der sich sonst kaum Weinreisende aufzuhalten Pflegen, und die daher nicht
auf die Beherbergung zahlreicher Gäste vorgesehen ist. Im Nu waren sämtliche
Zimmer sämtlicher Gasthäuser mit Beschlag belegt; mir blieb, wie manchem
andern, nur die Anwartschaft auf eine Lagerstätte im Tanzsaal, und während diese
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