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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

denen von Alldeutschland. Wie lange Zeit hat trotzdem dazu gehört, bis diese
unbestreitbare Wahrheit wenigstens von der Mehrheit der nichtpreußischen
Deutschen anerkannt wurde!

Der jetzigen deutschen Jugend, die herangewachsen ist und heranwächst in
der Vorstellung, daß Deutschland nach innen und nach außen ein geschlvssnes
Ganzes ist, geeinigt wesentlich durch Preußen, geleitet hauptsächlich durch Preußen,
wird es mit der Zeit immer wunderbarer klingen, wenn sie von zwei deutsche"
Großmächten liest oder reden Hort. Aber auch ältere Leute, die noch sehr wohl aus
eigner Anschauung sich der Bundestagszeiten entsinnen, können leicht überrascht
sein, wenn sie hören, daß es eine Zeit gab, wo man ganz ernsthaft von drei deutschen
Großmächten sprach, und werden verwundert fragen, welches denn diese dritte
deutsche Großmacht gewesen sei. Nach der Meinung des in politischer Beziehung
wirklich gar zu naiven und harmlosen Geschlechtes jener schwärmerisch-idealistisch
angehauchten Zeit nach den Freiheitskriegen war diese dritte deutsche Gro߬
macht -- England. Denn der König von Großbritannien war ja als König
des im Jahre 1814 (14. Oktober) neugeschaffenen Königreiches Hannover
ebenfalls Mitglied des deutschen Bundes. Daß es überhaupt schon ein nichts¬
würdiger Zustand war, daß dieses deutsche Land, bewohnt zum größten Teile
von kernigen Niedersachsen, "wie ein kleines Boot an das stolze Seeschiff
England" gefesselt war, das empfand jene Zeit nicht, die, trotz aller patriotischen
Schwärmerei und deutschtümelnden Deklamationen, es doch schließlich als
selbstverständlich ansah, daß in der wirklichen Politik nichts andres maßgebend
sein könne als rein dynastische Interessen. Dieses Land hatte zwar durch seine
Größe und Einwohnerzahl keine so große Bedeutung, wohl aber durch seine
geographische Lage; denn einerseits war es der Hauptteil, den die hinterlistige
Staatskunst Metternichs und seiner Helfershelfer zwischen die beiden getrennten
Teile der preußischen Monarchie geschoben hatte; anderseits beherrschte es die
Mündungen von drei großen deutschen Strömen, der Elbe, der Weser und der
Ems, und seine Haltung konnte einen geradezu unberechenbaren Einfluß auf den
überseeischen Großhandel Deutschlands ausüben. Daß durch seine Verknüpfung
mit England dieses Königreich politisch ein mehr oder weniger totes Glied an
dem Körper Deutschlands sein mußte, daß diese Verbindung im günstigsten Falle
wenigstens nicht förderlich für die Interessen Deutschlands sein konnte, im un¬
günstigen Falle dagegen, d. h. wenn die Interessen Englands und Deutschlands
in eiuen scharfen Widerspruch gerieten, das letztere Land dadurch in unabsehbarer
Weise geschädigt werden mußte, das scheint zu jener Zeit in Deutschland fast
niemand begriffen zu haben. Die schwärmerische Begeisterung der Befreiungs¬
kriege, die Erinnerung an die Waffenbrüderschaft bei Waterloo, verschönert
und verklärt durch Tradition und Dichtkunst, ließ solche nüchterne, politische
Erwägungen nicht aufkommen. Dennoch wäre es nicht schwer, aus der Ge¬
schichte nachzuweisen, daß durch diese ganz unnatürliche Verbindung, die, aller-


Der deutsche Bund.

denen von Alldeutschland. Wie lange Zeit hat trotzdem dazu gehört, bis diese
unbestreitbare Wahrheit wenigstens von der Mehrheit der nichtpreußischen
Deutschen anerkannt wurde!

Der jetzigen deutschen Jugend, die herangewachsen ist und heranwächst in
der Vorstellung, daß Deutschland nach innen und nach außen ein geschlvssnes
Ganzes ist, geeinigt wesentlich durch Preußen, geleitet hauptsächlich durch Preußen,
wird es mit der Zeit immer wunderbarer klingen, wenn sie von zwei deutsche»
Großmächten liest oder reden Hort. Aber auch ältere Leute, die noch sehr wohl aus
eigner Anschauung sich der Bundestagszeiten entsinnen, können leicht überrascht
sein, wenn sie hören, daß es eine Zeit gab, wo man ganz ernsthaft von drei deutschen
Großmächten sprach, und werden verwundert fragen, welches denn diese dritte
deutsche Großmacht gewesen sei. Nach der Meinung des in politischer Beziehung
wirklich gar zu naiven und harmlosen Geschlechtes jener schwärmerisch-idealistisch
angehauchten Zeit nach den Freiheitskriegen war diese dritte deutsche Gro߬
macht — England. Denn der König von Großbritannien war ja als König
des im Jahre 1814 (14. Oktober) neugeschaffenen Königreiches Hannover
ebenfalls Mitglied des deutschen Bundes. Daß es überhaupt schon ein nichts¬
würdiger Zustand war, daß dieses deutsche Land, bewohnt zum größten Teile
von kernigen Niedersachsen, „wie ein kleines Boot an das stolze Seeschiff
England" gefesselt war, das empfand jene Zeit nicht, die, trotz aller patriotischen
Schwärmerei und deutschtümelnden Deklamationen, es doch schließlich als
selbstverständlich ansah, daß in der wirklichen Politik nichts andres maßgebend
sein könne als rein dynastische Interessen. Dieses Land hatte zwar durch seine
Größe und Einwohnerzahl keine so große Bedeutung, wohl aber durch seine
geographische Lage; denn einerseits war es der Hauptteil, den die hinterlistige
Staatskunst Metternichs und seiner Helfershelfer zwischen die beiden getrennten
Teile der preußischen Monarchie geschoben hatte; anderseits beherrschte es die
Mündungen von drei großen deutschen Strömen, der Elbe, der Weser und der
Ems, und seine Haltung konnte einen geradezu unberechenbaren Einfluß auf den
überseeischen Großhandel Deutschlands ausüben. Daß durch seine Verknüpfung
mit England dieses Königreich politisch ein mehr oder weniger totes Glied an
dem Körper Deutschlands sein mußte, daß diese Verbindung im günstigsten Falle
wenigstens nicht förderlich für die Interessen Deutschlands sein konnte, im un¬
günstigen Falle dagegen, d. h. wenn die Interessen Englands und Deutschlands
in eiuen scharfen Widerspruch gerieten, das letztere Land dadurch in unabsehbarer
Weise geschädigt werden mußte, das scheint zu jener Zeit in Deutschland fast
niemand begriffen zu haben. Die schwärmerische Begeisterung der Befreiungs¬
kriege, die Erinnerung an die Waffenbrüderschaft bei Waterloo, verschönert
und verklärt durch Tradition und Dichtkunst, ließ solche nüchterne, politische
Erwägungen nicht aufkommen. Dennoch wäre es nicht schwer, aus der Ge¬
schichte nachzuweisen, daß durch diese ganz unnatürliche Verbindung, die, aller-


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[0199] Der deutsche Bund. denen von Alldeutschland. Wie lange Zeit hat trotzdem dazu gehört, bis diese unbestreitbare Wahrheit wenigstens von der Mehrheit der nichtpreußischen Deutschen anerkannt wurde! Der jetzigen deutschen Jugend, die herangewachsen ist und heranwächst in der Vorstellung, daß Deutschland nach innen und nach außen ein geschlvssnes Ganzes ist, geeinigt wesentlich durch Preußen, geleitet hauptsächlich durch Preußen, wird es mit der Zeit immer wunderbarer klingen, wenn sie von zwei deutsche» Großmächten liest oder reden Hort. Aber auch ältere Leute, die noch sehr wohl aus eigner Anschauung sich der Bundestagszeiten entsinnen, können leicht überrascht sein, wenn sie hören, daß es eine Zeit gab, wo man ganz ernsthaft von drei deutschen Großmächten sprach, und werden verwundert fragen, welches denn diese dritte deutsche Großmacht gewesen sei. Nach der Meinung des in politischer Beziehung wirklich gar zu naiven und harmlosen Geschlechtes jener schwärmerisch-idealistisch angehauchten Zeit nach den Freiheitskriegen war diese dritte deutsche Gro߬ macht — England. Denn der König von Großbritannien war ja als König des im Jahre 1814 (14. Oktober) neugeschaffenen Königreiches Hannover ebenfalls Mitglied des deutschen Bundes. Daß es überhaupt schon ein nichts¬ würdiger Zustand war, daß dieses deutsche Land, bewohnt zum größten Teile von kernigen Niedersachsen, „wie ein kleines Boot an das stolze Seeschiff England" gefesselt war, das empfand jene Zeit nicht, die, trotz aller patriotischen Schwärmerei und deutschtümelnden Deklamationen, es doch schließlich als selbstverständlich ansah, daß in der wirklichen Politik nichts andres maßgebend sein könne als rein dynastische Interessen. Dieses Land hatte zwar durch seine Größe und Einwohnerzahl keine so große Bedeutung, wohl aber durch seine geographische Lage; denn einerseits war es der Hauptteil, den die hinterlistige Staatskunst Metternichs und seiner Helfershelfer zwischen die beiden getrennten Teile der preußischen Monarchie geschoben hatte; anderseits beherrschte es die Mündungen von drei großen deutschen Strömen, der Elbe, der Weser und der Ems, und seine Haltung konnte einen geradezu unberechenbaren Einfluß auf den überseeischen Großhandel Deutschlands ausüben. Daß durch seine Verknüpfung mit England dieses Königreich politisch ein mehr oder weniger totes Glied an dem Körper Deutschlands sein mußte, daß diese Verbindung im günstigsten Falle wenigstens nicht förderlich für die Interessen Deutschlands sein konnte, im un¬ günstigen Falle dagegen, d. h. wenn die Interessen Englands und Deutschlands in eiuen scharfen Widerspruch gerieten, das letztere Land dadurch in unabsehbarer Weise geschädigt werden mußte, das scheint zu jener Zeit in Deutschland fast niemand begriffen zu haben. Die schwärmerische Begeisterung der Befreiungs¬ kriege, die Erinnerung an die Waffenbrüderschaft bei Waterloo, verschönert und verklärt durch Tradition und Dichtkunst, ließ solche nüchterne, politische Erwägungen nicht aufkommen. Dennoch wäre es nicht schwer, aus der Ge¬ schichte nachzuweisen, daß durch diese ganz unnatürliche Verbindung, die, aller-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/199>, abgerufen am 20.06.2024.