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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund,

dahin: sie sind nicht erfüllt worden, weil es geradezu unmöglich war, sie zu
erfüllen. Für "Kaiser und Reich" schwärmte in Wirklichkeit damals nur die
begeisterte, aber unklare Jugend unter Leitung von Dichtern und Publizisten,
die zwar patriotisch und gesinnungstüchtig, aber nichts weniger als Realpolitiker
waren. Die beiden beteiligten Hauptregierungen, die von Preußen und Österreich,
waren schon in Teplitz, dann wiederholt in Chaumont und Paris, darüber über¬
eingekommen, die Kaiserfrage fallen zu lassen. Die kühler denkenden preußischen
Staatsmänner, namentlich Humboldt, waren in dieser Beziehung niemals schwan¬
kend gewesen. Der einzige große Staatsmann, der wirklich und im Ernste die Er¬
reichung dieses Zieles für möglich hielt, und der mit seinem gewohnten Feuer¬
eifer an der Verwirklichung desselben arbeitete, war merkwürdigerweise Stein.
Ob aber diesem sonst so klaren und scharfen Kopfe in dieser Beziehung ein be¬
stimmter Plan vorgeschwebt hat, ist wohl mehr als zweifelhaft. Bekannt ist,
daß er darau festhielt, daß die Kaiserwürde wieder an Österreich übertragen
werden solle. Welche Stellung dann aber Preußen, welche Baiern und die
übrigen Mittel- und Kleinstaaten einnehmen sollten, darüber hat er sich niemals
deutlich ausgesprochen. Die wirkliche Lage war einfach folgende: Österreich
wollte von Kaiser und Reich nichts wissen, zunächst weil der leere Titel ohne
Macht wertlos war, dann aber, weil es glaubte, aus einem lockeren Staaten-
bunde für seine Sonderiuteresfen größere Vorteile zu ziehen. Preußen würde
sich einem österreichischen Kaisertums, wenn es mit wirklichen und wichtigen
Machtbefugnissen ausgestattet war, niemals gefügt haben. Daß Preußen für
sich selbst die Kaiserwürde beanspruchen könnte, der Gedanke ist zu der Zeit
wohl niemandem gekommen, und wäre er jemandem gekommen, wäre er sicher
sofort als ganz überspannt zurückgewiesen worden. Daß Österreich sich einem
preußischen Kaisertume unterwerfen sollte, war undenkbar. Ebenso, daß die
Mittelstaaten sich dem gutwillig gefügt hätten, und Preußen besaß damals nicht
einmal die Mittel, auch nur diese zu zwingen. Daß Österreich aber ganz aus
dem staatsrechtlichen Verbände mit Deutschland ausscheiden sollte, auf diesen
Ausweg wäre damals sicherlich niemand verfallen. Gutwillig hätte außerdem
Österreich das damals ebensowenig gethan wie später, und woher hätte das
arme und erschöpfte Preußen zu jener Zeit die Mittel nehmen sollen, es zu
zwingen. Die Mittelstaaten machten gar kein Hehl daraus, daß sie sich nie
einem Kaiser fügen würden, und jene 29 Kleinstaaten, die am 16. November
1814 in einer Note an die beiden deutschen Großmächte sich zu der nötigen
Einschränkung ihrer Souveränität bereit erklärten, wenn an die Spitze des
Bundes "ein Kaiser als der deutschen Freiheit Ägide" gestellt würde, meinten
es wohl schwerlich so sehr ernst. Die auswärtigen Mächte hatten nur den
Zweck, Deutschlands Einigkeit zu verhindern und seine Zersplitterung und damit
seine politische Schwäche zu verewigen. Unter welcher Form das geschah, war
ihnen ziemlich gleichgiltig; von Kaiser und Reich wollten sie jedenfalls nichts


Der deutsche Bund,

dahin: sie sind nicht erfüllt worden, weil es geradezu unmöglich war, sie zu
erfüllen. Für „Kaiser und Reich" schwärmte in Wirklichkeit damals nur die
begeisterte, aber unklare Jugend unter Leitung von Dichtern und Publizisten,
die zwar patriotisch und gesinnungstüchtig, aber nichts weniger als Realpolitiker
waren. Die beiden beteiligten Hauptregierungen, die von Preußen und Österreich,
waren schon in Teplitz, dann wiederholt in Chaumont und Paris, darüber über¬
eingekommen, die Kaiserfrage fallen zu lassen. Die kühler denkenden preußischen
Staatsmänner, namentlich Humboldt, waren in dieser Beziehung niemals schwan¬
kend gewesen. Der einzige große Staatsmann, der wirklich und im Ernste die Er¬
reichung dieses Zieles für möglich hielt, und der mit seinem gewohnten Feuer¬
eifer an der Verwirklichung desselben arbeitete, war merkwürdigerweise Stein.
Ob aber diesem sonst so klaren und scharfen Kopfe in dieser Beziehung ein be¬
stimmter Plan vorgeschwebt hat, ist wohl mehr als zweifelhaft. Bekannt ist,
daß er darau festhielt, daß die Kaiserwürde wieder an Österreich übertragen
werden solle. Welche Stellung dann aber Preußen, welche Baiern und die
übrigen Mittel- und Kleinstaaten einnehmen sollten, darüber hat er sich niemals
deutlich ausgesprochen. Die wirkliche Lage war einfach folgende: Österreich
wollte von Kaiser und Reich nichts wissen, zunächst weil der leere Titel ohne
Macht wertlos war, dann aber, weil es glaubte, aus einem lockeren Staaten-
bunde für seine Sonderiuteresfen größere Vorteile zu ziehen. Preußen würde
sich einem österreichischen Kaisertums, wenn es mit wirklichen und wichtigen
Machtbefugnissen ausgestattet war, niemals gefügt haben. Daß Preußen für
sich selbst die Kaiserwürde beanspruchen könnte, der Gedanke ist zu der Zeit
wohl niemandem gekommen, und wäre er jemandem gekommen, wäre er sicher
sofort als ganz überspannt zurückgewiesen worden. Daß Österreich sich einem
preußischen Kaisertume unterwerfen sollte, war undenkbar. Ebenso, daß die
Mittelstaaten sich dem gutwillig gefügt hätten, und Preußen besaß damals nicht
einmal die Mittel, auch nur diese zu zwingen. Daß Österreich aber ganz aus
dem staatsrechtlichen Verbände mit Deutschland ausscheiden sollte, auf diesen
Ausweg wäre damals sicherlich niemand verfallen. Gutwillig hätte außerdem
Österreich das damals ebensowenig gethan wie später, und woher hätte das
arme und erschöpfte Preußen zu jener Zeit die Mittel nehmen sollen, es zu
zwingen. Die Mittelstaaten machten gar kein Hehl daraus, daß sie sich nie
einem Kaiser fügen würden, und jene 29 Kleinstaaten, die am 16. November
1814 in einer Note an die beiden deutschen Großmächte sich zu der nötigen
Einschränkung ihrer Souveränität bereit erklärten, wenn an die Spitze des
Bundes „ein Kaiser als der deutschen Freiheit Ägide" gestellt würde, meinten
es wohl schwerlich so sehr ernst. Die auswärtigen Mächte hatten nur den
Zweck, Deutschlands Einigkeit zu verhindern und seine Zersplitterung und damit
seine politische Schwäche zu verewigen. Unter welcher Form das geschah, war
ihnen ziemlich gleichgiltig; von Kaiser und Reich wollten sie jedenfalls nichts


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[0192] Der deutsche Bund, dahin: sie sind nicht erfüllt worden, weil es geradezu unmöglich war, sie zu erfüllen. Für „Kaiser und Reich" schwärmte in Wirklichkeit damals nur die begeisterte, aber unklare Jugend unter Leitung von Dichtern und Publizisten, die zwar patriotisch und gesinnungstüchtig, aber nichts weniger als Realpolitiker waren. Die beiden beteiligten Hauptregierungen, die von Preußen und Österreich, waren schon in Teplitz, dann wiederholt in Chaumont und Paris, darüber über¬ eingekommen, die Kaiserfrage fallen zu lassen. Die kühler denkenden preußischen Staatsmänner, namentlich Humboldt, waren in dieser Beziehung niemals schwan¬ kend gewesen. Der einzige große Staatsmann, der wirklich und im Ernste die Er¬ reichung dieses Zieles für möglich hielt, und der mit seinem gewohnten Feuer¬ eifer an der Verwirklichung desselben arbeitete, war merkwürdigerweise Stein. Ob aber diesem sonst so klaren und scharfen Kopfe in dieser Beziehung ein be¬ stimmter Plan vorgeschwebt hat, ist wohl mehr als zweifelhaft. Bekannt ist, daß er darau festhielt, daß die Kaiserwürde wieder an Österreich übertragen werden solle. Welche Stellung dann aber Preußen, welche Baiern und die übrigen Mittel- und Kleinstaaten einnehmen sollten, darüber hat er sich niemals deutlich ausgesprochen. Die wirkliche Lage war einfach folgende: Österreich wollte von Kaiser und Reich nichts wissen, zunächst weil der leere Titel ohne Macht wertlos war, dann aber, weil es glaubte, aus einem lockeren Staaten- bunde für seine Sonderiuteresfen größere Vorteile zu ziehen. Preußen würde sich einem österreichischen Kaisertums, wenn es mit wirklichen und wichtigen Machtbefugnissen ausgestattet war, niemals gefügt haben. Daß Preußen für sich selbst die Kaiserwürde beanspruchen könnte, der Gedanke ist zu der Zeit wohl niemandem gekommen, und wäre er jemandem gekommen, wäre er sicher sofort als ganz überspannt zurückgewiesen worden. Daß Österreich sich einem preußischen Kaisertume unterwerfen sollte, war undenkbar. Ebenso, daß die Mittelstaaten sich dem gutwillig gefügt hätten, und Preußen besaß damals nicht einmal die Mittel, auch nur diese zu zwingen. Daß Österreich aber ganz aus dem staatsrechtlichen Verbände mit Deutschland ausscheiden sollte, auf diesen Ausweg wäre damals sicherlich niemand verfallen. Gutwillig hätte außerdem Österreich das damals ebensowenig gethan wie später, und woher hätte das arme und erschöpfte Preußen zu jener Zeit die Mittel nehmen sollen, es zu zwingen. Die Mittelstaaten machten gar kein Hehl daraus, daß sie sich nie einem Kaiser fügen würden, und jene 29 Kleinstaaten, die am 16. November 1814 in einer Note an die beiden deutschen Großmächte sich zu der nötigen Einschränkung ihrer Souveränität bereit erklärten, wenn an die Spitze des Bundes „ein Kaiser als der deutschen Freiheit Ägide" gestellt würde, meinten es wohl schwerlich so sehr ernst. Die auswärtigen Mächte hatten nur den Zweck, Deutschlands Einigkeit zu verhindern und seine Zersplitterung und damit seine politische Schwäche zu verewigen. Unter welcher Form das geschah, war ihnen ziemlich gleichgiltig; von Kaiser und Reich wollten sie jedenfalls nichts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/192>, abgerufen am 21.06.2024.