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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der Feldzug der Italiener gegen Abessinien.

militärischen Kräfte auf ein afrikanisches Abenteuer verwende, das überdies
keinen greifbaren Vorteil abzuwerfen verspricht. Wir vermögen diese Befürch¬
tungen nicht zu teilen; denn obwohl die Zahl der schon bei Massaua stehenden
und noch auf dem Wege dahin befindlichen italienischen Truppen verhältnismäßig
beträchtlich ist und die Kosten des Feldzuges gewiß von den bereits schwer be¬
lasteten Steuerzahlern stark empfunden werden, können wir doch angesichts der
herankommenden östlichen Krisis überzeugt sein, daß Italien sich durch die Ab¬
wesenheit einiger von seinen Generalen lind Soldaten nicht wesentlich geschwächt
und gewiß nicht abgehalten finden würde, auf dem Gebiete seiner bundes-
genössischen Pflichten seine volle Schuldigkeit zu thun. Es ist eine rasch wachsende
und erstarkende Macht mit einem patriotischen Volke und einem zahlreichen und
tüchtigen Heere, und der Feldzug nach Mnssaua verbraucht nur einen mäßigen
Teil seiner Lebenskraft, der sich überdies bald wieder ersetzen wird.

Wir machten auf den Zusammenhang aufmerksam, in welchem die Fest¬
setzung der Italiener am Noten Meere mit den Verlegenheiten der Engländer
im Sudan stand. Dieser besteht, wie man erfährt, noch heute. Die ägyptische
Regierung hat Beweise davou in der Hand, daß das Wiederaufleben des
Mahdismus und der von Osman Digma von neuem begonnene Kampf mit der
britischen Besatzung Suakins in enger Verbindung mit dem italienisch-abessinischen
Streite steht. Mit andern Worten: jetzt, wo der Negus seine Mannen gesammelt
hat, um die Italiener von seinem Gebiete und womöglich selbst aus Massaua
zu verjagen, hat auch der Chalif Abdallcch, der Nachfolger des Mahdi, sich
entschlossen, einen neuen Versuch zu gänzlicher Vertreibung der englischen Rot¬
röcke aus dem Sudan mit Einschluß Suakins zu machen. Die bevorstehende
Schlacht bei Massaua wird daher sicher ans die Lande am obern Nil und
zwischen Sucikin und Berber zurückwirken, und eine Niederlage der Italiener würde
ohne Zweifel das Zeichen zu einem allgemeinen Kriegszuge der Derwische des
Sudan gegen die englischen Kafirs in Oberägypten geben. Daraus ergiebt sich
aber die Notwendigkeit festern Zusammengehens der Briten mit den Italienern
in Ostafrika.




Der Feldzug der Italiener gegen Abessinien.

militärischen Kräfte auf ein afrikanisches Abenteuer verwende, das überdies
keinen greifbaren Vorteil abzuwerfen verspricht. Wir vermögen diese Befürch¬
tungen nicht zu teilen; denn obwohl die Zahl der schon bei Massaua stehenden
und noch auf dem Wege dahin befindlichen italienischen Truppen verhältnismäßig
beträchtlich ist und die Kosten des Feldzuges gewiß von den bereits schwer be¬
lasteten Steuerzahlern stark empfunden werden, können wir doch angesichts der
herankommenden östlichen Krisis überzeugt sein, daß Italien sich durch die Ab¬
wesenheit einiger von seinen Generalen lind Soldaten nicht wesentlich geschwächt
und gewiß nicht abgehalten finden würde, auf dem Gebiete seiner bundes-
genössischen Pflichten seine volle Schuldigkeit zu thun. Es ist eine rasch wachsende
und erstarkende Macht mit einem patriotischen Volke und einem zahlreichen und
tüchtigen Heere, und der Feldzug nach Mnssaua verbraucht nur einen mäßigen
Teil seiner Lebenskraft, der sich überdies bald wieder ersetzen wird.

Wir machten auf den Zusammenhang aufmerksam, in welchem die Fest¬
setzung der Italiener am Noten Meere mit den Verlegenheiten der Engländer
im Sudan stand. Dieser besteht, wie man erfährt, noch heute. Die ägyptische
Regierung hat Beweise davou in der Hand, daß das Wiederaufleben des
Mahdismus und der von Osman Digma von neuem begonnene Kampf mit der
britischen Besatzung Suakins in enger Verbindung mit dem italienisch-abessinischen
Streite steht. Mit andern Worten: jetzt, wo der Negus seine Mannen gesammelt
hat, um die Italiener von seinem Gebiete und womöglich selbst aus Massaua
zu verjagen, hat auch der Chalif Abdallcch, der Nachfolger des Mahdi, sich
entschlossen, einen neuen Versuch zu gänzlicher Vertreibung der englischen Rot¬
röcke aus dem Sudan mit Einschluß Suakins zu machen. Die bevorstehende
Schlacht bei Massaua wird daher sicher ans die Lande am obern Nil und
zwischen Sucikin und Berber zurückwirken, und eine Niederlage der Italiener würde
ohne Zweifel das Zeichen zu einem allgemeinen Kriegszuge der Derwische des
Sudan gegen die englischen Kafirs in Oberägypten geben. Daraus ergiebt sich
aber die Notwendigkeit festern Zusammengehens der Briten mit den Italienern
in Ostafrika.




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[0175] Der Feldzug der Italiener gegen Abessinien. militärischen Kräfte auf ein afrikanisches Abenteuer verwende, das überdies keinen greifbaren Vorteil abzuwerfen verspricht. Wir vermögen diese Befürch¬ tungen nicht zu teilen; denn obwohl die Zahl der schon bei Massaua stehenden und noch auf dem Wege dahin befindlichen italienischen Truppen verhältnismäßig beträchtlich ist und die Kosten des Feldzuges gewiß von den bereits schwer be¬ lasteten Steuerzahlern stark empfunden werden, können wir doch angesichts der herankommenden östlichen Krisis überzeugt sein, daß Italien sich durch die Ab¬ wesenheit einiger von seinen Generalen lind Soldaten nicht wesentlich geschwächt und gewiß nicht abgehalten finden würde, auf dem Gebiete seiner bundes- genössischen Pflichten seine volle Schuldigkeit zu thun. Es ist eine rasch wachsende und erstarkende Macht mit einem patriotischen Volke und einem zahlreichen und tüchtigen Heere, und der Feldzug nach Mnssaua verbraucht nur einen mäßigen Teil seiner Lebenskraft, der sich überdies bald wieder ersetzen wird. Wir machten auf den Zusammenhang aufmerksam, in welchem die Fest¬ setzung der Italiener am Noten Meere mit den Verlegenheiten der Engländer im Sudan stand. Dieser besteht, wie man erfährt, noch heute. Die ägyptische Regierung hat Beweise davou in der Hand, daß das Wiederaufleben des Mahdismus und der von Osman Digma von neuem begonnene Kampf mit der britischen Besatzung Suakins in enger Verbindung mit dem italienisch-abessinischen Streite steht. Mit andern Worten: jetzt, wo der Negus seine Mannen gesammelt hat, um die Italiener von seinem Gebiete und womöglich selbst aus Massaua zu verjagen, hat auch der Chalif Abdallcch, der Nachfolger des Mahdi, sich entschlossen, einen neuen Versuch zu gänzlicher Vertreibung der englischen Rot¬ röcke aus dem Sudan mit Einschluß Suakins zu machen. Die bevorstehende Schlacht bei Massaua wird daher sicher ans die Lande am obern Nil und zwischen Sucikin und Berber zurückwirken, und eine Niederlage der Italiener würde ohne Zweifel das Zeichen zu einem allgemeinen Kriegszuge der Derwische des Sudan gegen die englischen Kafirs in Oberägypten geben. Daraus ergiebt sich aber die Notwendigkeit festern Zusammengehens der Briten mit den Italienern in Ostafrika.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/175>, abgerufen am 22.06.2024.