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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der Feldzug der Italiener gegen Abessinien.

ganzes Heer vernichtet wurde, und seitdem hat der jetzige König von Habesch
das Werk Theodors, die Unterwerfung der einzelnen Häuptlinge und Stämme,
mit soviel Energie und Glück wieder aufgenommen, daß er für stärker anzu¬
sehen ist als jener sein Vorgänger. Nur fragt es sich sehr, ob diese Stärke sich
bei Ausbruch des Krieges mit Italien haltbarer erweisen wird, als die Macht
Theodors bei dem Angriffe der Engländer, die übrigens das Ansehen, welches
sie sich vor zwanzig Jahren durch ihren Sieg in den "Bergen von Rasselas,"
wie Beaconsfield sich malerisch ausdruckte, weithin erworben hatten, durch den
kläglichen Ausgang ihres letzten Feldzuges im Sudan vollständig wieder eingebüßt
haben. In diesem unseligen Feldzuge ist auch die Ursache der Verwicklung zu suchen,
welche Italien jetzt ein verhältnismäßig starkes Heer nach Habesch zu senden
nötigte. Schon seit fast drei Jahren (Februar 1885) befindet sich eine italie¬
nische Besatzung in Massaua, einem der besten Häfen an der Küste des Noten
Meeres, und zwar wurde sie infolge eines Übereinkommens mit der eng¬
lischen Negierung hierher verlegt, als englische Truppen Suatin besetzt hielten
und hier mit den von Osman Digma befehligten Anhängern des Mahdi kämpften.
Ohne Zweifel erwarteten die Italiener Vorteile verschiedner Art davon, wenn
sie am westlichen Rande des Erythräischen Meeres Fuß faßten. Sie gedachten
auf diesem Wege ihre Bedeutung als Mittelmeermacht und als Seemacht über¬
haupt zu steigern, und die Stadt Massaua konnte in ihren Händen unter Um¬
ständen ein hochwichtiger Ein- und Ausfuhrhafen für den Handel mit Habesch
werden. In der letztern Beziehung aber sind ihren Hoffnungen bisher nur
grausame Enttäuschungen gefolgt: weit entfernt davon, für italienische Kaufleute
und Fabrikanten eine Quelle von Reichtümern zu werden, ist Massaua vom
ersten Tage seiner Besetzung an nur ein Punkt gewesen, nach welchem aus dem
italienischen Staate beständig Menschen und Gelder zu kriegerischen Zwecken ab¬
zusenden waren. Mit den Abessiniern war kein Abkommen in Betreff des
Platzes zu erreichen, sie beanspruchten ihn für sich selbst und betrachteten die
italienische Garnison ganz ebenso als unberechtigte und unbequeme Eindringlinge
wie früher die türkische. Sie waren zu jeder Zeit eine Gefahr und bewiesen,
indem sie schließlich von Drohungen zu thatsächlichen Feindseligkeiten übergingen,
den Truppen des Königs Umberto, die einige Punkte weiter landeinwärts ok-
kupirt hatten, an dem blutigen Tage von Dvgali, daß sie Gegner waren, die
keineswegs gering geschätzt werden durften. Was die moralische Seite der ur¬
sprünglichen Besetzung anlangt, so ist diese gegenwärtig nicht zu erörtern.
Auf der Hand liegt, daß England keinerlei Recht hatte, den Italienern für eine
Diversion zu seinen Gunsten einen Seehafen zu schenken, welcher ihm nicht ge¬
hörte; aber anderseits war es zweifelhaft, ob Massana, als es von Italien
in Besitz genommen wurde, in Wirklichkeit das Eigentum des Königs Johann
von Abessinien genannt^ werden durfte. Nach dem Sturze und Tode Theodors
war der ganze abessinische Staat in Trümmer zerfallen, die von einzelnen


Der Feldzug der Italiener gegen Abessinien.

ganzes Heer vernichtet wurde, und seitdem hat der jetzige König von Habesch
das Werk Theodors, die Unterwerfung der einzelnen Häuptlinge und Stämme,
mit soviel Energie und Glück wieder aufgenommen, daß er für stärker anzu¬
sehen ist als jener sein Vorgänger. Nur fragt es sich sehr, ob diese Stärke sich
bei Ausbruch des Krieges mit Italien haltbarer erweisen wird, als die Macht
Theodors bei dem Angriffe der Engländer, die übrigens das Ansehen, welches
sie sich vor zwanzig Jahren durch ihren Sieg in den „Bergen von Rasselas,"
wie Beaconsfield sich malerisch ausdruckte, weithin erworben hatten, durch den
kläglichen Ausgang ihres letzten Feldzuges im Sudan vollständig wieder eingebüßt
haben. In diesem unseligen Feldzuge ist auch die Ursache der Verwicklung zu suchen,
welche Italien jetzt ein verhältnismäßig starkes Heer nach Habesch zu senden
nötigte. Schon seit fast drei Jahren (Februar 1885) befindet sich eine italie¬
nische Besatzung in Massaua, einem der besten Häfen an der Küste des Noten
Meeres, und zwar wurde sie infolge eines Übereinkommens mit der eng¬
lischen Negierung hierher verlegt, als englische Truppen Suatin besetzt hielten
und hier mit den von Osman Digma befehligten Anhängern des Mahdi kämpften.
Ohne Zweifel erwarteten die Italiener Vorteile verschiedner Art davon, wenn
sie am westlichen Rande des Erythräischen Meeres Fuß faßten. Sie gedachten
auf diesem Wege ihre Bedeutung als Mittelmeermacht und als Seemacht über¬
haupt zu steigern, und die Stadt Massaua konnte in ihren Händen unter Um¬
ständen ein hochwichtiger Ein- und Ausfuhrhafen für den Handel mit Habesch
werden. In der letztern Beziehung aber sind ihren Hoffnungen bisher nur
grausame Enttäuschungen gefolgt: weit entfernt davon, für italienische Kaufleute
und Fabrikanten eine Quelle von Reichtümern zu werden, ist Massaua vom
ersten Tage seiner Besetzung an nur ein Punkt gewesen, nach welchem aus dem
italienischen Staate beständig Menschen und Gelder zu kriegerischen Zwecken ab¬
zusenden waren. Mit den Abessiniern war kein Abkommen in Betreff des
Platzes zu erreichen, sie beanspruchten ihn für sich selbst und betrachteten die
italienische Garnison ganz ebenso als unberechtigte und unbequeme Eindringlinge
wie früher die türkische. Sie waren zu jeder Zeit eine Gefahr und bewiesen,
indem sie schließlich von Drohungen zu thatsächlichen Feindseligkeiten übergingen,
den Truppen des Königs Umberto, die einige Punkte weiter landeinwärts ok-
kupirt hatten, an dem blutigen Tage von Dvgali, daß sie Gegner waren, die
keineswegs gering geschätzt werden durften. Was die moralische Seite der ur¬
sprünglichen Besetzung anlangt, so ist diese gegenwärtig nicht zu erörtern.
Auf der Hand liegt, daß England keinerlei Recht hatte, den Italienern für eine
Diversion zu seinen Gunsten einen Seehafen zu schenken, welcher ihm nicht ge¬
hörte; aber anderseits war es zweifelhaft, ob Massana, als es von Italien
in Besitz genommen wurde, in Wirklichkeit das Eigentum des Königs Johann
von Abessinien genannt^ werden durfte. Nach dem Sturze und Tode Theodors
war der ganze abessinische Staat in Trümmer zerfallen, die von einzelnen


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[0171] Der Feldzug der Italiener gegen Abessinien. ganzes Heer vernichtet wurde, und seitdem hat der jetzige König von Habesch das Werk Theodors, die Unterwerfung der einzelnen Häuptlinge und Stämme, mit soviel Energie und Glück wieder aufgenommen, daß er für stärker anzu¬ sehen ist als jener sein Vorgänger. Nur fragt es sich sehr, ob diese Stärke sich bei Ausbruch des Krieges mit Italien haltbarer erweisen wird, als die Macht Theodors bei dem Angriffe der Engländer, die übrigens das Ansehen, welches sie sich vor zwanzig Jahren durch ihren Sieg in den „Bergen von Rasselas," wie Beaconsfield sich malerisch ausdruckte, weithin erworben hatten, durch den kläglichen Ausgang ihres letzten Feldzuges im Sudan vollständig wieder eingebüßt haben. In diesem unseligen Feldzuge ist auch die Ursache der Verwicklung zu suchen, welche Italien jetzt ein verhältnismäßig starkes Heer nach Habesch zu senden nötigte. Schon seit fast drei Jahren (Februar 1885) befindet sich eine italie¬ nische Besatzung in Massaua, einem der besten Häfen an der Küste des Noten Meeres, und zwar wurde sie infolge eines Übereinkommens mit der eng¬ lischen Negierung hierher verlegt, als englische Truppen Suatin besetzt hielten und hier mit den von Osman Digma befehligten Anhängern des Mahdi kämpften. Ohne Zweifel erwarteten die Italiener Vorteile verschiedner Art davon, wenn sie am westlichen Rande des Erythräischen Meeres Fuß faßten. Sie gedachten auf diesem Wege ihre Bedeutung als Mittelmeermacht und als Seemacht über¬ haupt zu steigern, und die Stadt Massaua konnte in ihren Händen unter Um¬ ständen ein hochwichtiger Ein- und Ausfuhrhafen für den Handel mit Habesch werden. In der letztern Beziehung aber sind ihren Hoffnungen bisher nur grausame Enttäuschungen gefolgt: weit entfernt davon, für italienische Kaufleute und Fabrikanten eine Quelle von Reichtümern zu werden, ist Massaua vom ersten Tage seiner Besetzung an nur ein Punkt gewesen, nach welchem aus dem italienischen Staate beständig Menschen und Gelder zu kriegerischen Zwecken ab¬ zusenden waren. Mit den Abessiniern war kein Abkommen in Betreff des Platzes zu erreichen, sie beanspruchten ihn für sich selbst und betrachteten die italienische Garnison ganz ebenso als unberechtigte und unbequeme Eindringlinge wie früher die türkische. Sie waren zu jeder Zeit eine Gefahr und bewiesen, indem sie schließlich von Drohungen zu thatsächlichen Feindseligkeiten übergingen, den Truppen des Königs Umberto, die einige Punkte weiter landeinwärts ok- kupirt hatten, an dem blutigen Tage von Dvgali, daß sie Gegner waren, die keineswegs gering geschätzt werden durften. Was die moralische Seite der ur¬ sprünglichen Besetzung anlangt, so ist diese gegenwärtig nicht zu erörtern. Auf der Hand liegt, daß England keinerlei Recht hatte, den Italienern für eine Diversion zu seinen Gunsten einen Seehafen zu schenken, welcher ihm nicht ge¬ hörte; aber anderseits war es zweifelhaft, ob Massana, als es von Italien in Besitz genommen wurde, in Wirklichkeit das Eigentum des Königs Johann von Abessinien genannt^ werden durfte. Nach dem Sturze und Tode Theodors war der ganze abessinische Staat in Trümmer zerfallen, die von einzelnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/171>, abgerufen am 20.06.2024.