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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski,

gehört. Sie drückte die Hände auf den Busen, und ihre Blicke folgten den
davoneilenden.

Die Mutter blieb am Räude des Teiches sitzen und harrte ihres Sohnes
Wiederkehr -- lauge, lange. Kam er nicht jetzt? Nein! Ein Volk schwer¬
fälliger Trappen strich pfeilschnell über die Ebene, wo sich ihnen jetzt nur noch
wenig Verstecke boten. Rebekka blickte den großen, braunen Vögeln nach, und
der Ausdruck von Davids Worten tönte in ihr wieder, mit dem er zu Rüben
gesagt hatte: Befriedige deines Herzens Sehnen, gehe fort!

War das auch sein Sehnen vielleicht? Noch immer kam er nicht!

Mit lautem Geklapper vereinigte sich dort eine Schaar Störche zu einer
Flugübung, die sie bald in andre, ferne, schönere Länder bringen sollte. Drängte
es David, wie sie, fortzueilen, in fernen Landen zu suchen, wonach er sich hier
vergebens sehnte? Erschien ihm die Heimat nicht mehr als das Beste, das Schönste,
was er kannte?

Ein Schwarm wilder Enten zog mit schwerem Flügelschlage im Zickzack
über die Steppe. Träumerisch blickte ihnen Jeschka nach. Würde Rüben ihnen
nachziehen, würde er sie und den alten Vater mitnehmen oder, wie er so oft ge¬
sagt hatte, nachkommen lassen? Zahllose Käfer schwirrten summend durch die
Luft, die Grille zirpte ihr melancholisches Lied. Erschreckt blickte Jeschka auf.
Heftiges Reden schlug an ihr Ohr, in ihrem Träumen hatte sie Davids Nahen
überhört.

Voll Zorn und doch voll Angst hingen Rebctkas Augen an ihrem Sohne,
als sie ihn langsam, diesmal allein, zurückkommen sah. Sie trat ihm entgegen,
in ihrem faltigen Antlitz zuckte es, ihre Lippen bebten.

Wohin bist du heimlich mit dem Karakter gegangen? Du lässest dich mit
den Ungläubigen ein! Was treibst du mit ihm, weshalb dürfen deine Mutter,
dein Weib davon nichts wissen?

Aus Davids Antlitz wich die Farbe, sein Atem stockte. Seine Mutter hier!

Rebekka faßte seine Hand und zog ihn mit sich von der Straße fort, hinter
ein Gebüsch. Ihr Zorn schwand bei seinem Anblicke.

David, Kind meines Herzens! Ein fremder Geist ist in dich gefahren, denke
deiner Kinder!

Ich denke ihrer und denke deiner, Mutter! Und mein Herz ist sehr schwer,
sagte David endlich gepreßt.

Sage deiner Mutter, die dich unter dem Herzen getragen, welches Leid
dich drückt und dich fort aus deinem Hause, unter fremde Leute treibt.

O Mutter! Warum bin ich nicht frei und ungebunden, rief David, indem er
in plötzliche, seine Mutter erschreckende Leidenschaft ausbrach und die gerungenen
Hände gen Himmel streckte. Frei, und könnte meinem Gewissen folgen! Mutter!
Er fiel vor der alten Frau auf die Kniee, ergriff ihre Hände und hielt sie fest.
Weißt du, was es heißt, in ein Zauberland voll Glück und Freiheit blicken


David Beronski,

gehört. Sie drückte die Hände auf den Busen, und ihre Blicke folgten den
davoneilenden.

Die Mutter blieb am Räude des Teiches sitzen und harrte ihres Sohnes
Wiederkehr — lauge, lange. Kam er nicht jetzt? Nein! Ein Volk schwer¬
fälliger Trappen strich pfeilschnell über die Ebene, wo sich ihnen jetzt nur noch
wenig Verstecke boten. Rebekka blickte den großen, braunen Vögeln nach, und
der Ausdruck von Davids Worten tönte in ihr wieder, mit dem er zu Rüben
gesagt hatte: Befriedige deines Herzens Sehnen, gehe fort!

War das auch sein Sehnen vielleicht? Noch immer kam er nicht!

Mit lautem Geklapper vereinigte sich dort eine Schaar Störche zu einer
Flugübung, die sie bald in andre, ferne, schönere Länder bringen sollte. Drängte
es David, wie sie, fortzueilen, in fernen Landen zu suchen, wonach er sich hier
vergebens sehnte? Erschien ihm die Heimat nicht mehr als das Beste, das Schönste,
was er kannte?

Ein Schwarm wilder Enten zog mit schwerem Flügelschlage im Zickzack
über die Steppe. Träumerisch blickte ihnen Jeschka nach. Würde Rüben ihnen
nachziehen, würde er sie und den alten Vater mitnehmen oder, wie er so oft ge¬
sagt hatte, nachkommen lassen? Zahllose Käfer schwirrten summend durch die
Luft, die Grille zirpte ihr melancholisches Lied. Erschreckt blickte Jeschka auf.
Heftiges Reden schlug an ihr Ohr, in ihrem Träumen hatte sie Davids Nahen
überhört.

Voll Zorn und doch voll Angst hingen Rebctkas Augen an ihrem Sohne,
als sie ihn langsam, diesmal allein, zurückkommen sah. Sie trat ihm entgegen,
in ihrem faltigen Antlitz zuckte es, ihre Lippen bebten.

Wohin bist du heimlich mit dem Karakter gegangen? Du lässest dich mit
den Ungläubigen ein! Was treibst du mit ihm, weshalb dürfen deine Mutter,
dein Weib davon nichts wissen?

Aus Davids Antlitz wich die Farbe, sein Atem stockte. Seine Mutter hier!

Rebekka faßte seine Hand und zog ihn mit sich von der Straße fort, hinter
ein Gebüsch. Ihr Zorn schwand bei seinem Anblicke.

David, Kind meines Herzens! Ein fremder Geist ist in dich gefahren, denke
deiner Kinder!

Ich denke ihrer und denke deiner, Mutter! Und mein Herz ist sehr schwer,
sagte David endlich gepreßt.

Sage deiner Mutter, die dich unter dem Herzen getragen, welches Leid
dich drückt und dich fort aus deinem Hause, unter fremde Leute treibt.

O Mutter! Warum bin ich nicht frei und ungebunden, rief David, indem er
in plötzliche, seine Mutter erschreckende Leidenschaft ausbrach und die gerungenen
Hände gen Himmel streckte. Frei, und könnte meinem Gewissen folgen! Mutter!
Er fiel vor der alten Frau auf die Kniee, ergriff ihre Hände und hielt sie fest.
Weißt du, was es heißt, in ein Zauberland voll Glück und Freiheit blicken


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[0159] David Beronski, gehört. Sie drückte die Hände auf den Busen, und ihre Blicke folgten den davoneilenden. Die Mutter blieb am Räude des Teiches sitzen und harrte ihres Sohnes Wiederkehr — lauge, lange. Kam er nicht jetzt? Nein! Ein Volk schwer¬ fälliger Trappen strich pfeilschnell über die Ebene, wo sich ihnen jetzt nur noch wenig Verstecke boten. Rebekka blickte den großen, braunen Vögeln nach, und der Ausdruck von Davids Worten tönte in ihr wieder, mit dem er zu Rüben gesagt hatte: Befriedige deines Herzens Sehnen, gehe fort! War das auch sein Sehnen vielleicht? Noch immer kam er nicht! Mit lautem Geklapper vereinigte sich dort eine Schaar Störche zu einer Flugübung, die sie bald in andre, ferne, schönere Länder bringen sollte. Drängte es David, wie sie, fortzueilen, in fernen Landen zu suchen, wonach er sich hier vergebens sehnte? Erschien ihm die Heimat nicht mehr als das Beste, das Schönste, was er kannte? Ein Schwarm wilder Enten zog mit schwerem Flügelschlage im Zickzack über die Steppe. Träumerisch blickte ihnen Jeschka nach. Würde Rüben ihnen nachziehen, würde er sie und den alten Vater mitnehmen oder, wie er so oft ge¬ sagt hatte, nachkommen lassen? Zahllose Käfer schwirrten summend durch die Luft, die Grille zirpte ihr melancholisches Lied. Erschreckt blickte Jeschka auf. Heftiges Reden schlug an ihr Ohr, in ihrem Träumen hatte sie Davids Nahen überhört. Voll Zorn und doch voll Angst hingen Rebctkas Augen an ihrem Sohne, als sie ihn langsam, diesmal allein, zurückkommen sah. Sie trat ihm entgegen, in ihrem faltigen Antlitz zuckte es, ihre Lippen bebten. Wohin bist du heimlich mit dem Karakter gegangen? Du lässest dich mit den Ungläubigen ein! Was treibst du mit ihm, weshalb dürfen deine Mutter, dein Weib davon nichts wissen? Aus Davids Antlitz wich die Farbe, sein Atem stockte. Seine Mutter hier! Rebekka faßte seine Hand und zog ihn mit sich von der Straße fort, hinter ein Gebüsch. Ihr Zorn schwand bei seinem Anblicke. David, Kind meines Herzens! Ein fremder Geist ist in dich gefahren, denke deiner Kinder! Ich denke ihrer und denke deiner, Mutter! Und mein Herz ist sehr schwer, sagte David endlich gepreßt. Sage deiner Mutter, die dich unter dem Herzen getragen, welches Leid dich drückt und dich fort aus deinem Hause, unter fremde Leute treibt. O Mutter! Warum bin ich nicht frei und ungebunden, rief David, indem er in plötzliche, seine Mutter erschreckende Leidenschaft ausbrach und die gerungenen Hände gen Himmel streckte. Frei, und könnte meinem Gewissen folgen! Mutter! Er fiel vor der alten Frau auf die Kniee, ergriff ihre Hände und hielt sie fest. Weißt du, was es heißt, in ein Zauberland voll Glück und Freiheit blicken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/159>, abgerufen am 23.06.2024.