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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Landwirtschaftliche Nöte.

zurück, da künstliche Dünger nur dem natürlichen zu Hilfe kommen, nie aber
ihn ersetzen können. Und so kann die fortschreitende Verschlechterung nicht nnr des
Inventars, sondern thatsächlich auch des ganzen Gutes lange fortgehen und das
Gut zuletzt in der furchtbarsten Weise entwerten, bis der Zeitpunkt gekommen
ist, wo der Besitzer seine letzten Hilfsmittel verbraucht hat. Aber -- wird
vielleicht mancher fragen -- handelt dieser Mann nicht grenzenlos thöricht?
Ist nicht anzunehmen, daß ein tüchtiger, überlegender Wirt diesen Weg nie ein¬
schlagen, sondern in einem bestimmten Augenblicke erklären wird, jetzt müsse er
das noch in gutem Stande befindliche Gut verkaufen? Man kann dies nicht
ohne weiteres behaupten. Vor allem gehören zum Kaufen und Verkaufen zwei,
und geeignete Käufer finden sich manchmal Jahre hindurch nicht. Sodann be¬
denke man, daß es sich mit dem oben geschilderten Vorgehen eines Landwirth
stets ähnlich verhält wie mit Bizaines Einschließung in Metz: eine Zeit lang
glaubte er vollkommen Herr seiner Bewegungen zu sein, aber abwarten zu
müssen, dann schlachtete er eine gewisse Anzahl Pferde, in der Meinung, doch
noch genug zu behalten, dann waren wieder die Gründe, um deretwillen er
lieber abwarten als seinerseits das äußerste versuchen wollte, um so viel stärker
geworden -- und auf einmal konnte er nicht mehr, wie er wollte. So hält
auch der Landwirt den Schaden anfangs für einen solchen, der sich werde er¬
setzen lassen, dünn schämt er sich, den Schaden zu zeigen, und hofft ans einen
glücklichen Zufall, der es ihm (dem genau mit allen Verhältnissen vertrauten)
doch vielleicht ermöglichen werde, die Sache wieder leidlich in Stand zu setzen,
endlich ist er dahin gelangt, daß kaum noch etwas weiter zu verschlechtern ist.
Und dabei pflegt es sehr schnell dahin zu kommen, daß das, was von seinem Gute,
auch von seinen persönlichen Verhältnissen gilt. Gelingt es ihm, gerade einen
zahluugsfähigeu Käufer zu finden, so mag es ja auch bei ziemlich fortgeschrittener
Verwüstung ihm noch gelingen, einige tausend Thaler aus dem Schiffbruche
zu retten; ist aber die Lage so geworden, daß er, wenn es ihm nicht gelingt,
sich zu halten, die Versteigerung doch als unausweichlichen Schlußpunkt vor
Augen sieht, so kann es ihm meistens sehr gleichgiltig sein, ob ans dem Gute
etwas mehr oder weniger gelöst wird -- er bekommt doch nichts davon. So
sucht er denn den Zusammenbruch und damit sein Scheiden aus einem hoch-
angesehenen Staude und sein Untertauchen in irgend eine armselige Stellung
so lange hinauszuziehen, wie nnr möglich, immer noch sich an die Hoffnung
klammernd, daß irgend ein glücklicher Zufall ihn retten werde. Auch ist diese
Hoffnung gar nicht unsinnig. Jeder Nichtlaudwirt, der ans Grund allgemeiner
Annahmen hiu das Budget eines Gutes aufstellt, rechnet erfahrungsmäßig einen
viel zu hohen Reinertrag heraus, weil er die unzähligen kleinen Fehlschlüge, die
im Laufe des Jahres eintreten, nicht in Rechnung zieht. Ist nun einmal
-- was doch vorkommen kann -- ein Jahr ganz außerordentlich günstig, so ist
es keineswegs undenkbar, daß dieser eine Glücksfall einen noch nicht gar zu


Landwirtschaftliche Nöte.

zurück, da künstliche Dünger nur dem natürlichen zu Hilfe kommen, nie aber
ihn ersetzen können. Und so kann die fortschreitende Verschlechterung nicht nnr des
Inventars, sondern thatsächlich auch des ganzen Gutes lange fortgehen und das
Gut zuletzt in der furchtbarsten Weise entwerten, bis der Zeitpunkt gekommen
ist, wo der Besitzer seine letzten Hilfsmittel verbraucht hat. Aber — wird
vielleicht mancher fragen — handelt dieser Mann nicht grenzenlos thöricht?
Ist nicht anzunehmen, daß ein tüchtiger, überlegender Wirt diesen Weg nie ein¬
schlagen, sondern in einem bestimmten Augenblicke erklären wird, jetzt müsse er
das noch in gutem Stande befindliche Gut verkaufen? Man kann dies nicht
ohne weiteres behaupten. Vor allem gehören zum Kaufen und Verkaufen zwei,
und geeignete Käufer finden sich manchmal Jahre hindurch nicht. Sodann be¬
denke man, daß es sich mit dem oben geschilderten Vorgehen eines Landwirth
stets ähnlich verhält wie mit Bizaines Einschließung in Metz: eine Zeit lang
glaubte er vollkommen Herr seiner Bewegungen zu sein, aber abwarten zu
müssen, dann schlachtete er eine gewisse Anzahl Pferde, in der Meinung, doch
noch genug zu behalten, dann waren wieder die Gründe, um deretwillen er
lieber abwarten als seinerseits das äußerste versuchen wollte, um so viel stärker
geworden — und auf einmal konnte er nicht mehr, wie er wollte. So hält
auch der Landwirt den Schaden anfangs für einen solchen, der sich werde er¬
setzen lassen, dünn schämt er sich, den Schaden zu zeigen, und hofft ans einen
glücklichen Zufall, der es ihm (dem genau mit allen Verhältnissen vertrauten)
doch vielleicht ermöglichen werde, die Sache wieder leidlich in Stand zu setzen,
endlich ist er dahin gelangt, daß kaum noch etwas weiter zu verschlechtern ist.
Und dabei pflegt es sehr schnell dahin zu kommen, daß das, was von seinem Gute,
auch von seinen persönlichen Verhältnissen gilt. Gelingt es ihm, gerade einen
zahluugsfähigeu Käufer zu finden, so mag es ja auch bei ziemlich fortgeschrittener
Verwüstung ihm noch gelingen, einige tausend Thaler aus dem Schiffbruche
zu retten; ist aber die Lage so geworden, daß er, wenn es ihm nicht gelingt,
sich zu halten, die Versteigerung doch als unausweichlichen Schlußpunkt vor
Augen sieht, so kann es ihm meistens sehr gleichgiltig sein, ob ans dem Gute
etwas mehr oder weniger gelöst wird — er bekommt doch nichts davon. So
sucht er denn den Zusammenbruch und damit sein Scheiden aus einem hoch-
angesehenen Staude und sein Untertauchen in irgend eine armselige Stellung
so lange hinauszuziehen, wie nnr möglich, immer noch sich an die Hoffnung
klammernd, daß irgend ein glücklicher Zufall ihn retten werde. Auch ist diese
Hoffnung gar nicht unsinnig. Jeder Nichtlaudwirt, der ans Grund allgemeiner
Annahmen hiu das Budget eines Gutes aufstellt, rechnet erfahrungsmäßig einen
viel zu hohen Reinertrag heraus, weil er die unzähligen kleinen Fehlschlüge, die
im Laufe des Jahres eintreten, nicht in Rechnung zieht. Ist nun einmal
— was doch vorkommen kann — ein Jahr ganz außerordentlich günstig, so ist
es keineswegs undenkbar, daß dieser eine Glücksfall einen noch nicht gar zu


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[0125] Landwirtschaftliche Nöte. zurück, da künstliche Dünger nur dem natürlichen zu Hilfe kommen, nie aber ihn ersetzen können. Und so kann die fortschreitende Verschlechterung nicht nnr des Inventars, sondern thatsächlich auch des ganzen Gutes lange fortgehen und das Gut zuletzt in der furchtbarsten Weise entwerten, bis der Zeitpunkt gekommen ist, wo der Besitzer seine letzten Hilfsmittel verbraucht hat. Aber — wird vielleicht mancher fragen — handelt dieser Mann nicht grenzenlos thöricht? Ist nicht anzunehmen, daß ein tüchtiger, überlegender Wirt diesen Weg nie ein¬ schlagen, sondern in einem bestimmten Augenblicke erklären wird, jetzt müsse er das noch in gutem Stande befindliche Gut verkaufen? Man kann dies nicht ohne weiteres behaupten. Vor allem gehören zum Kaufen und Verkaufen zwei, und geeignete Käufer finden sich manchmal Jahre hindurch nicht. Sodann be¬ denke man, daß es sich mit dem oben geschilderten Vorgehen eines Landwirth stets ähnlich verhält wie mit Bizaines Einschließung in Metz: eine Zeit lang glaubte er vollkommen Herr seiner Bewegungen zu sein, aber abwarten zu müssen, dann schlachtete er eine gewisse Anzahl Pferde, in der Meinung, doch noch genug zu behalten, dann waren wieder die Gründe, um deretwillen er lieber abwarten als seinerseits das äußerste versuchen wollte, um so viel stärker geworden — und auf einmal konnte er nicht mehr, wie er wollte. So hält auch der Landwirt den Schaden anfangs für einen solchen, der sich werde er¬ setzen lassen, dünn schämt er sich, den Schaden zu zeigen, und hofft ans einen glücklichen Zufall, der es ihm (dem genau mit allen Verhältnissen vertrauten) doch vielleicht ermöglichen werde, die Sache wieder leidlich in Stand zu setzen, endlich ist er dahin gelangt, daß kaum noch etwas weiter zu verschlechtern ist. Und dabei pflegt es sehr schnell dahin zu kommen, daß das, was von seinem Gute, auch von seinen persönlichen Verhältnissen gilt. Gelingt es ihm, gerade einen zahluugsfähigeu Käufer zu finden, so mag es ja auch bei ziemlich fortgeschrittener Verwüstung ihm noch gelingen, einige tausend Thaler aus dem Schiffbruche zu retten; ist aber die Lage so geworden, daß er, wenn es ihm nicht gelingt, sich zu halten, die Versteigerung doch als unausweichlichen Schlußpunkt vor Augen sieht, so kann es ihm meistens sehr gleichgiltig sein, ob ans dem Gute etwas mehr oder weniger gelöst wird — er bekommt doch nichts davon. So sucht er denn den Zusammenbruch und damit sein Scheiden aus einem hoch- angesehenen Staude und sein Untertauchen in irgend eine armselige Stellung so lange hinauszuziehen, wie nnr möglich, immer noch sich an die Hoffnung klammernd, daß irgend ein glücklicher Zufall ihn retten werde. Auch ist diese Hoffnung gar nicht unsinnig. Jeder Nichtlaudwirt, der ans Grund allgemeiner Annahmen hiu das Budget eines Gutes aufstellt, rechnet erfahrungsmäßig einen viel zu hohen Reinertrag heraus, weil er die unzähligen kleinen Fehlschlüge, die im Laufe des Jahres eintreten, nicht in Rechnung zieht. Ist nun einmal — was doch vorkommen kann — ein Jahr ganz außerordentlich günstig, so ist es keineswegs undenkbar, daß dieser eine Glücksfall einen noch nicht gar zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/125>, abgerufen am 28.09.2024.