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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.

Neuen und Ungewohnten, das an mich herantrat, für mein Alter zu überwäl¬
tigend, als daß ich wirklichen Genuß davon hätte haben können. Es glitt alles
an mir vorüber wie die Bilder in einer Zauberlaterne, fest haften blieb nur
weniges und selbstverständlich nur das, was meine Fassungskraft nicht überstieg.
Nur dunkel erinnere ich mich noch, daß ich an der Hand der Mutter durch
hohe Säle schritt, deren Wände mit lauter Bildern behängen waren, die mir
bange machten. Im Freien, auf der belebten Brühlschen Terrasse, im großen
Garten oder gar in einer überdachten Gondel ans der Elbe fühlte ich mich
ungleich wohler. Da hätte ich gern wochenlang leben mögen, nicht aber in den
dunkeln Straßen, wo man vor Menschen kaum treten konnte und selten einer
den andern beachtete oder gar grüßte.

In allen Sammlungen, wo es unendlich viel zu sehen und zu bewundern
gab, ging es mir wenig besser als in der Bildergalerie. Das viele, nicht zu
fassende Neue betäubte mich, und weil dem Auge viel geboten ward, konnte es
sich an keinem einzelnen Gegenstande wirklich ergötzen. Darum freute ich mich,
als die Thüren des Grünen Gewölbes, des Zwingers, des Zeughauses u. s. w.
sich hinter uns schlössen und ich das Auge, über die prächtige Elbbrücke schreitend,
wieder auf den malerischen Weinbergen mit ihren zahllosen Schlößchen, Häusern
und Türmchen ruhen lassen konnte. In diese Berge und nach den waldigen
Höhen, die stromaufwärts den lautlosen Strom so geheimnisvoll umgeben, lockte
es mich unwiderstehlich, und hätten die Eltern mir angekündigt, sie wollten sich
irgendwo in einiger Entfernung von der lärmenden Stadt, deren Inneres mich
wenig ansprach, bleibend niederlassen, so würde ich sie wahrscheinlich jauchzend
umarmt haben.

In einigen Tagen sollte mein Wunsch, die nächste Umgebung der Residenz
etwas näher kennen zu lernen, wirklich in Erfüllung gehen. Unser Vetter, der
seiner kaufmännischen Geschäfte wegen persönlich nur wenig für uns thun konnte
und uns fast nur bei Tische zu Gesicht kam, ließ durch Freunde einen Ausflug
nach der königlichen Svmmerrestdenz Pillnitz veranstalten. Es ward ein Wagen
gemietet, der uns bei schönstem Wetter über Loschwitz und Laubegast, wo wir
die fliegende Fähre bestiegen, nach Pillnitz führte. Hier ward zuvörderst der
nahegelegene Borschberg -- später "gebildet" der Porsberg geschrieben -- mit
seinen hübschen Anlagen bestiegen, von dessen Gipfel ein großer Teil der säch¬
sischen Schweiz zu überblicken ist, und dann das königliche Schloß besichtigt,
soweit dies eben gestattet war. Bei diesem Rundgänge teilte mau uns mit, daß
Fremde die königlichen Herrschaften von einer Galerie herab speisen sehen könnten.

Einen König inmitten der Seinigen speisen sehen! Für einen guten
Sachsen von damals konnte es kaum etwas Sehenswerteres auf Erden geben;
denn der König, welcher für Volk und Land so herbes Ungemach ertragen
hatte, war für gute Staatsbürger der Inbegriff alles Erhabenen und Ver¬
ehrungswürdigen.


Jugenderinnerungen.

Neuen und Ungewohnten, das an mich herantrat, für mein Alter zu überwäl¬
tigend, als daß ich wirklichen Genuß davon hätte haben können. Es glitt alles
an mir vorüber wie die Bilder in einer Zauberlaterne, fest haften blieb nur
weniges und selbstverständlich nur das, was meine Fassungskraft nicht überstieg.
Nur dunkel erinnere ich mich noch, daß ich an der Hand der Mutter durch
hohe Säle schritt, deren Wände mit lauter Bildern behängen waren, die mir
bange machten. Im Freien, auf der belebten Brühlschen Terrasse, im großen
Garten oder gar in einer überdachten Gondel ans der Elbe fühlte ich mich
ungleich wohler. Da hätte ich gern wochenlang leben mögen, nicht aber in den
dunkeln Straßen, wo man vor Menschen kaum treten konnte und selten einer
den andern beachtete oder gar grüßte.

In allen Sammlungen, wo es unendlich viel zu sehen und zu bewundern
gab, ging es mir wenig besser als in der Bildergalerie. Das viele, nicht zu
fassende Neue betäubte mich, und weil dem Auge viel geboten ward, konnte es
sich an keinem einzelnen Gegenstande wirklich ergötzen. Darum freute ich mich,
als die Thüren des Grünen Gewölbes, des Zwingers, des Zeughauses u. s. w.
sich hinter uns schlössen und ich das Auge, über die prächtige Elbbrücke schreitend,
wieder auf den malerischen Weinbergen mit ihren zahllosen Schlößchen, Häusern
und Türmchen ruhen lassen konnte. In diese Berge und nach den waldigen
Höhen, die stromaufwärts den lautlosen Strom so geheimnisvoll umgeben, lockte
es mich unwiderstehlich, und hätten die Eltern mir angekündigt, sie wollten sich
irgendwo in einiger Entfernung von der lärmenden Stadt, deren Inneres mich
wenig ansprach, bleibend niederlassen, so würde ich sie wahrscheinlich jauchzend
umarmt haben.

In einigen Tagen sollte mein Wunsch, die nächste Umgebung der Residenz
etwas näher kennen zu lernen, wirklich in Erfüllung gehen. Unser Vetter, der
seiner kaufmännischen Geschäfte wegen persönlich nur wenig für uns thun konnte
und uns fast nur bei Tische zu Gesicht kam, ließ durch Freunde einen Ausflug
nach der königlichen Svmmerrestdenz Pillnitz veranstalten. Es ward ein Wagen
gemietet, der uns bei schönstem Wetter über Loschwitz und Laubegast, wo wir
die fliegende Fähre bestiegen, nach Pillnitz führte. Hier ward zuvörderst der
nahegelegene Borschberg — später „gebildet" der Porsberg geschrieben — mit
seinen hübschen Anlagen bestiegen, von dessen Gipfel ein großer Teil der säch¬
sischen Schweiz zu überblicken ist, und dann das königliche Schloß besichtigt,
soweit dies eben gestattet war. Bei diesem Rundgänge teilte mau uns mit, daß
Fremde die königlichen Herrschaften von einer Galerie herab speisen sehen könnten.

Einen König inmitten der Seinigen speisen sehen! Für einen guten
Sachsen von damals konnte es kaum etwas Sehenswerteres auf Erden geben;
denn der König, welcher für Volk und Land so herbes Ungemach ertragen
hatte, war für gute Staatsbürger der Inbegriff alles Erhabenen und Ver¬
ehrungswürdigen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/98>, abgerufen am 17.09.2024.