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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Die Gegner des deutschen Sprachvereins.

Der "Essay" Grimms endlich ist eine Ansprache des Olympiers an die
kleinen Erdgebornen. Ein Schriftsteller wie er wird sich doch nicht an eine
Sprachgrenze binden! Der Gedanke ist alles, die Sprache nichts. Nach ihm
gehört die ganze Sprachbewcgung in die Spielschnle. Sein Aufsatz macht
den Eindruck, als sei er vor fünfzig Jahren geschrieben. Ich gebe ein Beispiel:
"Nirgends -- sagt Grimm -- zeigt sich der Nutzen der Fremdwörter bei Goethe
und Schiller so scharf, als in ihrem Briefwechsel. Ich notire aus einem an¬
gelegten Nerzeichnisse: Extremität, Receptivität, communiciren (für mitteilen)
coincidiren, Morceau, Sourdine, Avertissement, Continuatiou, Restriktion, Sot-
tise, Detail, sollieitiren, Calcul, Sodezza, Aisance, Moyens, Vehikel, Effvrt,
preoccupiren, negvcire", deployiren, quesiioniren, Face machen, presentabel, exten-
diren, Parti ziehen, depotentioniren: lauter Worte, die man auch heute noch
gebraucht und die, wo sie zur Anwendung kommen, das Gesagte in besondrer
Weise verschärfen."

Wie stellt sich Rümelin zu den Fremdwörtern Goethes und Schillers?
Er sagt (S. 54): "Goethe und Schiller, die Schöpfer und Hochmeister der
reinsten deutschen Sprachgewalt, brauchen in ihrem Briefwechsel überraschend
viel Fremdwörter, darunter auch viele, die jetzt nicht mehr üblich sind. So
fand ich auf wenigen Bogen die Worte Admissibilitüt, mortifizirt, repoussirr,
Sourdinen, Continuation, Nemboursement u. a. Auch andre Briefwechsel jener
Zeit bestätigen dies und gestatten den Schluß, daß damals die Konversations¬
sprache der gebildeten Klassen weit mehr als heutzutage von lateinischen
Zitaten (?) und französischen Gastwörtern durchzogen war."

Aber auch Rümelin wieder wird geschlagen durch Gildemeister. Wie ver¬
hält sich dieser zu den ausgegrnbeueu Schätzen wie Morceau, Sourdinen, Face
machen? Er erklärt (S. 113) Schriftsteller, die noch Etage, Hotel, Bouteille,
Fourchette schreiben, als nicht zur guten Gesellschaft gehörig.

Indes selbst Gildemeister ist durch die Thatsachen längst überholt; er ist,
um ein Bild zu gebrauchen, nicht im Bilde. "Eine ganz besonders hohe
Schuldenlast -- sagt er (S. 113) -- hat der Kriegsdienst aufgehäuft. Er
bewegt sich ausschließlich in Fremdwörtern. Kein Zweig des öffentlichen
Dienstes redet ein so buntscheckiges Kauderwelsch; man stutzt förmlich, wenn
man einmal auf ein militärisches Fachwort deutschen Klanges, wie auf einen
weißen Raben stößt. ... Es ist nicht abzusehen, warum man nicht ebensogut
den Saum eines Waldes sollte beobachten können wie seine liÄörs observiren,
weshalb ein marschirendes Korps nicht statt der töte eine Spitze haben, Vorhut
und Nachhut nicht die Avant- und Arrieregarde ablösen könnte." Ja, weißer
denn nicht, daß schon das Geueralstabswerk über 1870/71 alles vermeidbare
Fremde vermieden hat, daß an Stelle der frühern Reglements Dienstvor¬
schriften getreten sind, daß die Wörter Saum, Spitze, Vorhut, Nachhut bereits
dienstlich eingeführt sind? Aus dem Strafgesetze wünscht er Delikt, Konat,


Die Gegner des deutschen Sprachvereins.

Der „Essay" Grimms endlich ist eine Ansprache des Olympiers an die
kleinen Erdgebornen. Ein Schriftsteller wie er wird sich doch nicht an eine
Sprachgrenze binden! Der Gedanke ist alles, die Sprache nichts. Nach ihm
gehört die ganze Sprachbewcgung in die Spielschnle. Sein Aufsatz macht
den Eindruck, als sei er vor fünfzig Jahren geschrieben. Ich gebe ein Beispiel:
„Nirgends — sagt Grimm — zeigt sich der Nutzen der Fremdwörter bei Goethe
und Schiller so scharf, als in ihrem Briefwechsel. Ich notire aus einem an¬
gelegten Nerzeichnisse: Extremität, Receptivität, communiciren (für mitteilen)
coincidiren, Morceau, Sourdine, Avertissement, Continuatiou, Restriktion, Sot-
tise, Detail, sollieitiren, Calcul, Sodezza, Aisance, Moyens, Vehikel, Effvrt,
preoccupiren, negvcire», deployiren, quesiioniren, Face machen, presentabel, exten-
diren, Parti ziehen, depotentioniren: lauter Worte, die man auch heute noch
gebraucht und die, wo sie zur Anwendung kommen, das Gesagte in besondrer
Weise verschärfen."

Wie stellt sich Rümelin zu den Fremdwörtern Goethes und Schillers?
Er sagt (S. 54): „Goethe und Schiller, die Schöpfer und Hochmeister der
reinsten deutschen Sprachgewalt, brauchen in ihrem Briefwechsel überraschend
viel Fremdwörter, darunter auch viele, die jetzt nicht mehr üblich sind. So
fand ich auf wenigen Bogen die Worte Admissibilitüt, mortifizirt, repoussirr,
Sourdinen, Continuation, Nemboursement u. a. Auch andre Briefwechsel jener
Zeit bestätigen dies und gestatten den Schluß, daß damals die Konversations¬
sprache der gebildeten Klassen weit mehr als heutzutage von lateinischen
Zitaten (?) und französischen Gastwörtern durchzogen war."

Aber auch Rümelin wieder wird geschlagen durch Gildemeister. Wie ver¬
hält sich dieser zu den ausgegrnbeueu Schätzen wie Morceau, Sourdinen, Face
machen? Er erklärt (S. 113) Schriftsteller, die noch Etage, Hotel, Bouteille,
Fourchette schreiben, als nicht zur guten Gesellschaft gehörig.

Indes selbst Gildemeister ist durch die Thatsachen längst überholt; er ist,
um ein Bild zu gebrauchen, nicht im Bilde. „Eine ganz besonders hohe
Schuldenlast — sagt er (S. 113) — hat der Kriegsdienst aufgehäuft. Er
bewegt sich ausschließlich in Fremdwörtern. Kein Zweig des öffentlichen
Dienstes redet ein so buntscheckiges Kauderwelsch; man stutzt förmlich, wenn
man einmal auf ein militärisches Fachwort deutschen Klanges, wie auf einen
weißen Raben stößt. ... Es ist nicht abzusehen, warum man nicht ebensogut
den Saum eines Waldes sollte beobachten können wie seine liÄörs observiren,
weshalb ein marschirendes Korps nicht statt der töte eine Spitze haben, Vorhut
und Nachhut nicht die Avant- und Arrieregarde ablösen könnte." Ja, weißer
denn nicht, daß schon das Geueralstabswerk über 1870/71 alles vermeidbare
Fremde vermieden hat, daß an Stelle der frühern Reglements Dienstvor¬
schriften getreten sind, daß die Wörter Saum, Spitze, Vorhut, Nachhut bereits
dienstlich eingeführt sind? Aus dem Strafgesetze wünscht er Delikt, Konat,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/82>, abgerufen am 17.09.2024.