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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich von Gentz.

gebens suchen. Die Tendenz des "Historischen Journals" war, Preußen zu
einem Bündnis mit Oesterreich und England zu veranlassen. Mit den britischen
Machthabern war er schon im Jahre 1796 in Beziehung getreten. Pitt hatte
ihn damals auffordern lassen, des Genfers Jvernois Werk über die französische
Finanzverwaltung während der Revolution, von dem er in der "Neuen Deutschen
Monatsschrift" Auszüge veröffentlicht hatte, ins Deutsche zu übersetzen. Er
that dies im Jahre. 1797. Die Bedeutung dieses Unternehmens liegt darin,
daß dem deutschen Publikum der Gegensatz zwischen den wirtschaftlichen Grund¬
lagen Frankreichs und Englands -- ganz zu Gunsten des letztern natürlich --
auf Grund positiver Daten anschaulich gemacht wurde. Im "Historischen
Journal" nahm er diesen Gegenstand wieder ans, indem es sich im August 1799
über den Zustand der Finanzadministration und des Nationalrcichtums in Gro߬
britannien, im August 1800 über die französische Finanzverwaltung seit dem
18. Brumaire verbreitete. Wieder wird dem finanziellen Elend des Revolutwns-
stnates die stolze Kraft des konservativen Englands gegenübergestellt. "Frank¬
reich -- ruft er aus -- wird wie ein kühner Spieler, je nachdem das Glück
ihn begünstigt oder verläßt, zwischen unnatürlicher Opulenz und verzweifelter
Armut, zwischen schwindelnder Größe und trostloser Erschlaffung, zwischen der
Herrschaft über die Welt und seinem eignen Untergange schwanken. England
aber wird stets der Mittelpunkt der Industrie, der Gewerbe, aller großen Ver¬
bindungen unter den Menschen und dadurch stets ein wichtiger Bundesgenosse
sur das wohlverstandene Interesse aller Nationen sein." Im Jahre 1801 gab
er seinem Journal einen andern Namen und ließ es in zwanglosen Heften
erscheinen: die Richtung blieb dieselbe, ja sie trat immer entschiedener hervor,
wurde immer beredter und eindringlicher verfochten. Am bedeutendsten ist der
im April dieses Jahres veröffentlichte Aufsatz "Über den Ursprung und den
Charakter des Krieges gegen die französische Revolution." Voll Freimut tadelt
er die Regierungen, die anstatt eines gerechten Angriffskrieges nur immer einen
elenden Verteidigungskampf geführt haben. "Die kriegführenden Mächte schienen
sich selten oder nie'zu erinnern, daß der Kampf, in welchem sie schwebten, em
Kampf mit bewaffneten Meinungen war, sie sahen nur immer den Krieg und
vergaßen die Revolution." Für das, was vor allem not that, was die erste
Vorbereitung für den großen Kampf hätte sein sollen, für die politische Bildung
der Völker sei nichts geschehen. "Man bestrafte den Irrtum und belehrte die
Irrenden nicht, man wütete gegen die Frucht und ließ die Wurzel unberührt;
man verfolgte deu Buchstaben und vernachlässigte den Geist." Die Uneinigkeit
Österreichs und Deutschlands wird als ein nationales Verhängnis beklagt.
Damit war ein Ton angeschlagen, der fast in allen Schriften, welche Gentz
bis zum Wiener Frieden schrieb, wiederkehrt. Die beiden Mächte, meint er,
hätten sich in die Diktatur Deutschlands teilen sollen. Freilich hätten die
kleinen Fürsten und Staaten darüber Zeter geschrieen. Aber daran wäre nicht


Grenzboten II. 1887. ^
Friedrich von Gentz.

gebens suchen. Die Tendenz des „Historischen Journals" war, Preußen zu
einem Bündnis mit Oesterreich und England zu veranlassen. Mit den britischen
Machthabern war er schon im Jahre 1796 in Beziehung getreten. Pitt hatte
ihn damals auffordern lassen, des Genfers Jvernois Werk über die französische
Finanzverwaltung während der Revolution, von dem er in der „Neuen Deutschen
Monatsschrift" Auszüge veröffentlicht hatte, ins Deutsche zu übersetzen. Er
that dies im Jahre. 1797. Die Bedeutung dieses Unternehmens liegt darin,
daß dem deutschen Publikum der Gegensatz zwischen den wirtschaftlichen Grund¬
lagen Frankreichs und Englands — ganz zu Gunsten des letztern natürlich —
auf Grund positiver Daten anschaulich gemacht wurde. Im „Historischen
Journal" nahm er diesen Gegenstand wieder ans, indem es sich im August 1799
über den Zustand der Finanzadministration und des Nationalrcichtums in Gro߬
britannien, im August 1800 über die französische Finanzverwaltung seit dem
18. Brumaire verbreitete. Wieder wird dem finanziellen Elend des Revolutwns-
stnates die stolze Kraft des konservativen Englands gegenübergestellt. „Frank¬
reich — ruft er aus — wird wie ein kühner Spieler, je nachdem das Glück
ihn begünstigt oder verläßt, zwischen unnatürlicher Opulenz und verzweifelter
Armut, zwischen schwindelnder Größe und trostloser Erschlaffung, zwischen der
Herrschaft über die Welt und seinem eignen Untergange schwanken. England
aber wird stets der Mittelpunkt der Industrie, der Gewerbe, aller großen Ver¬
bindungen unter den Menschen und dadurch stets ein wichtiger Bundesgenosse
sur das wohlverstandene Interesse aller Nationen sein." Im Jahre 1801 gab
er seinem Journal einen andern Namen und ließ es in zwanglosen Heften
erscheinen: die Richtung blieb dieselbe, ja sie trat immer entschiedener hervor,
wurde immer beredter und eindringlicher verfochten. Am bedeutendsten ist der
im April dieses Jahres veröffentlichte Aufsatz „Über den Ursprung und den
Charakter des Krieges gegen die französische Revolution." Voll Freimut tadelt
er die Regierungen, die anstatt eines gerechten Angriffskrieges nur immer einen
elenden Verteidigungskampf geführt haben. „Die kriegführenden Mächte schienen
sich selten oder nie'zu erinnern, daß der Kampf, in welchem sie schwebten, em
Kampf mit bewaffneten Meinungen war, sie sahen nur immer den Krieg und
vergaßen die Revolution." Für das, was vor allem not that, was die erste
Vorbereitung für den großen Kampf hätte sein sollen, für die politische Bildung
der Völker sei nichts geschehen. „Man bestrafte den Irrtum und belehrte die
Irrenden nicht, man wütete gegen die Frucht und ließ die Wurzel unberührt;
man verfolgte deu Buchstaben und vernachlässigte den Geist." Die Uneinigkeit
Österreichs und Deutschlands wird als ein nationales Verhängnis beklagt.
Damit war ein Ton angeschlagen, der fast in allen Schriften, welche Gentz
bis zum Wiener Frieden schrieb, wiederkehrt. Die beiden Mächte, meint er,
hätten sich in die Diktatur Deutschlands teilen sollen. Freilich hätten die
kleinen Fürsten und Staaten darüber Zeter geschrieen. Aber daran wäre nicht


Grenzboten II. 1887. ^
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[0073] Friedrich von Gentz. gebens suchen. Die Tendenz des „Historischen Journals" war, Preußen zu einem Bündnis mit Oesterreich und England zu veranlassen. Mit den britischen Machthabern war er schon im Jahre 1796 in Beziehung getreten. Pitt hatte ihn damals auffordern lassen, des Genfers Jvernois Werk über die französische Finanzverwaltung während der Revolution, von dem er in der „Neuen Deutschen Monatsschrift" Auszüge veröffentlicht hatte, ins Deutsche zu übersetzen. Er that dies im Jahre. 1797. Die Bedeutung dieses Unternehmens liegt darin, daß dem deutschen Publikum der Gegensatz zwischen den wirtschaftlichen Grund¬ lagen Frankreichs und Englands — ganz zu Gunsten des letztern natürlich — auf Grund positiver Daten anschaulich gemacht wurde. Im „Historischen Journal" nahm er diesen Gegenstand wieder ans, indem es sich im August 1799 über den Zustand der Finanzadministration und des Nationalrcichtums in Gro߬ britannien, im August 1800 über die französische Finanzverwaltung seit dem 18. Brumaire verbreitete. Wieder wird dem finanziellen Elend des Revolutwns- stnates die stolze Kraft des konservativen Englands gegenübergestellt. „Frank¬ reich — ruft er aus — wird wie ein kühner Spieler, je nachdem das Glück ihn begünstigt oder verläßt, zwischen unnatürlicher Opulenz und verzweifelter Armut, zwischen schwindelnder Größe und trostloser Erschlaffung, zwischen der Herrschaft über die Welt und seinem eignen Untergange schwanken. England aber wird stets der Mittelpunkt der Industrie, der Gewerbe, aller großen Ver¬ bindungen unter den Menschen und dadurch stets ein wichtiger Bundesgenosse sur das wohlverstandene Interesse aller Nationen sein." Im Jahre 1801 gab er seinem Journal einen andern Namen und ließ es in zwanglosen Heften erscheinen: die Richtung blieb dieselbe, ja sie trat immer entschiedener hervor, wurde immer beredter und eindringlicher verfochten. Am bedeutendsten ist der im April dieses Jahres veröffentlichte Aufsatz „Über den Ursprung und den Charakter des Krieges gegen die französische Revolution." Voll Freimut tadelt er die Regierungen, die anstatt eines gerechten Angriffskrieges nur immer einen elenden Verteidigungskampf geführt haben. „Die kriegführenden Mächte schienen sich selten oder nie'zu erinnern, daß der Kampf, in welchem sie schwebten, em Kampf mit bewaffneten Meinungen war, sie sahen nur immer den Krieg und vergaßen die Revolution." Für das, was vor allem not that, was die erste Vorbereitung für den großen Kampf hätte sein sollen, für die politische Bildung der Völker sei nichts geschehen. „Man bestrafte den Irrtum und belehrte die Irrenden nicht, man wütete gegen die Frucht und ließ die Wurzel unberührt; man verfolgte deu Buchstaben und vernachlässigte den Geist." Die Uneinigkeit Österreichs und Deutschlands wird als ein nationales Verhängnis beklagt. Damit war ein Ton angeschlagen, der fast in allen Schriften, welche Gentz bis zum Wiener Frieden schrieb, wiederkehrt. Die beiden Mächte, meint er, hätten sich in die Diktatur Deutschlands teilen sollen. Freilich hätten die kleinen Fürsten und Staaten darüber Zeter geschrieen. Aber daran wäre nicht Grenzboten II. 1887. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/73>, abgerufen am 17.09.2024.