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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich von Gentz.

brachten, waren da schon ins Treffen geführt worden. Aber auch in Frank¬
reich selbst gab es eine stattliche Anzahl von literarischen Gegnern der Revolu¬
tion in dem Sinne wie die Mehrheit der Nationalversammlung sie auffaßte.
Von den zahlreichen Schriften derselben sind die hervorragendsten wenigstens
auch nach Deutschland gelangt, und es ist nicht anzunehmen, daß Gentz keine
derselben zu Gesichte bekommen habe. Die Noten und der Anhang zu seiner
Übersetzung Burkes zeigen uns überdies, daß er in der einschlägigen Literatur
damals schon sehr bewandert war; er giebt u.a. Titel und Inhaltsangabe von
79 englischen Schriften über die Revolution, von denen 27 im Sinne Burkes,
49 in dem entgegengesetzten gehalten waren.

Man wird aber die Ursachen der Sinnesänderung von Gentz zunächst
nicht im literarischen Antriebe zu suchen haben, sondern in der Entwicklung der
französischen Verhältnisse. Schon die letzten Gesetze der Nationalversammlung
mußten jedem Beobachter, der mit dem Getriebe einer Staatsverwaltung ver¬
traut war, Mißtrauen erwecken, mußten ihn für die längst von französischer und
deutscher Seite vorgebrachten Bedenken zugänglich machen. Wie dann aber die
gesetzgebende Versammlung, anstatt die neue Ordnung der Dinge zu festigen
und auf Unterdrückung der Anarchie bedacht zu sein, durch das Dekret über die
eidweigcrudcn Priester die Gewissen von Millionen beunruhigte und empörte,
wie sie endlich mit dem Auslande Streit anfing, und die feindselige Richtung
der Revolution einem scharf blickenden Auge nicht lange verborgen blieb, da
kehrten sich viele in Unwillen von dem Götzen ab, dem sie so lange geopfert
hatten. Aufmerksamer als zuvor schenkten sie den Worten der Gegner Gehör,
und nun erst traf deren Wahrheit sie recht, der ruhige Verstand siegte über
den Taumel. So mag es wohl auch Gentz ergangen sein. Aber freilich, dies
im einzelnen nachzuweisen, bleibt die Aufgabe seines künftigen Biographen.

Der schriftstellerische Erfolg, den Gentz mit seiner Übersetzung erlangte,
soll sehr groß gewesen sein; noch heute findet man das Buch fast in allen
älteren Bibliotheken. Obgleich ihn die Amtsthätigkeit sehr in Anspruch nahm
und er sich auch um diese Zeit durch seine Vermählung mit der Tochter des
Baurates Gilly einen eignen Hausstand gründete, trat er doch während der
nächsten Jahre ziemlich häufig publizistisch hervor. Zunächst übersetzte er
Wallet Du Pans Buch "Über die Revolution und die Ursachen ihrer Dauer,"
dann Mouniers "Untersuchungen über die Ursachen, welche die Franzosen ge¬
hindert haben, frei zu werden." Daß er Nivarols Schriften gekannt hätte,
finden wir nicht. Ein Aufsatz Kants, der 1793 in der Berliner Monatsschrift
erschien -- betitelt "Über das Verhältnis von Theorie und Praxis" --. ver¬
anlaßte ihn zu einem "Nachtrag zu dem Rnsonnement des Herrn Professors
Kant," in welchen: er die Aufstellung des Philosophen, daß, was in der
Theorie Geltung habe, auch in der Praxis gelten könne, mit dem Hinweis auf
die französische'Revolution bestritt. In der Staatspolitik, führt er aus, müsse


Friedrich von Gentz.

brachten, waren da schon ins Treffen geführt worden. Aber auch in Frank¬
reich selbst gab es eine stattliche Anzahl von literarischen Gegnern der Revolu¬
tion in dem Sinne wie die Mehrheit der Nationalversammlung sie auffaßte.
Von den zahlreichen Schriften derselben sind die hervorragendsten wenigstens
auch nach Deutschland gelangt, und es ist nicht anzunehmen, daß Gentz keine
derselben zu Gesichte bekommen habe. Die Noten und der Anhang zu seiner
Übersetzung Burkes zeigen uns überdies, daß er in der einschlägigen Literatur
damals schon sehr bewandert war; er giebt u.a. Titel und Inhaltsangabe von
79 englischen Schriften über die Revolution, von denen 27 im Sinne Burkes,
49 in dem entgegengesetzten gehalten waren.

Man wird aber die Ursachen der Sinnesänderung von Gentz zunächst
nicht im literarischen Antriebe zu suchen haben, sondern in der Entwicklung der
französischen Verhältnisse. Schon die letzten Gesetze der Nationalversammlung
mußten jedem Beobachter, der mit dem Getriebe einer Staatsverwaltung ver¬
traut war, Mißtrauen erwecken, mußten ihn für die längst von französischer und
deutscher Seite vorgebrachten Bedenken zugänglich machen. Wie dann aber die
gesetzgebende Versammlung, anstatt die neue Ordnung der Dinge zu festigen
und auf Unterdrückung der Anarchie bedacht zu sein, durch das Dekret über die
eidweigcrudcn Priester die Gewissen von Millionen beunruhigte und empörte,
wie sie endlich mit dem Auslande Streit anfing, und die feindselige Richtung
der Revolution einem scharf blickenden Auge nicht lange verborgen blieb, da
kehrten sich viele in Unwillen von dem Götzen ab, dem sie so lange geopfert
hatten. Aufmerksamer als zuvor schenkten sie den Worten der Gegner Gehör,
und nun erst traf deren Wahrheit sie recht, der ruhige Verstand siegte über
den Taumel. So mag es wohl auch Gentz ergangen sein. Aber freilich, dies
im einzelnen nachzuweisen, bleibt die Aufgabe seines künftigen Biographen.

Der schriftstellerische Erfolg, den Gentz mit seiner Übersetzung erlangte,
soll sehr groß gewesen sein; noch heute findet man das Buch fast in allen
älteren Bibliotheken. Obgleich ihn die Amtsthätigkeit sehr in Anspruch nahm
und er sich auch um diese Zeit durch seine Vermählung mit der Tochter des
Baurates Gilly einen eignen Hausstand gründete, trat er doch während der
nächsten Jahre ziemlich häufig publizistisch hervor. Zunächst übersetzte er
Wallet Du Pans Buch „Über die Revolution und die Ursachen ihrer Dauer,"
dann Mouniers „Untersuchungen über die Ursachen, welche die Franzosen ge¬
hindert haben, frei zu werden." Daß er Nivarols Schriften gekannt hätte,
finden wir nicht. Ein Aufsatz Kants, der 1793 in der Berliner Monatsschrift
erschien — betitelt „Über das Verhältnis von Theorie und Praxis" —. ver¬
anlaßte ihn zu einem „Nachtrag zu dem Rnsonnement des Herrn Professors
Kant," in welchen: er die Aufstellung des Philosophen, daß, was in der
Theorie Geltung habe, auch in der Praxis gelten könne, mit dem Hinweis auf
die französische'Revolution bestritt. In der Staatspolitik, führt er aus, müsse


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[0071] Friedrich von Gentz. brachten, waren da schon ins Treffen geführt worden. Aber auch in Frank¬ reich selbst gab es eine stattliche Anzahl von literarischen Gegnern der Revolu¬ tion in dem Sinne wie die Mehrheit der Nationalversammlung sie auffaßte. Von den zahlreichen Schriften derselben sind die hervorragendsten wenigstens auch nach Deutschland gelangt, und es ist nicht anzunehmen, daß Gentz keine derselben zu Gesichte bekommen habe. Die Noten und der Anhang zu seiner Übersetzung Burkes zeigen uns überdies, daß er in der einschlägigen Literatur damals schon sehr bewandert war; er giebt u.a. Titel und Inhaltsangabe von 79 englischen Schriften über die Revolution, von denen 27 im Sinne Burkes, 49 in dem entgegengesetzten gehalten waren. Man wird aber die Ursachen der Sinnesänderung von Gentz zunächst nicht im literarischen Antriebe zu suchen haben, sondern in der Entwicklung der französischen Verhältnisse. Schon die letzten Gesetze der Nationalversammlung mußten jedem Beobachter, der mit dem Getriebe einer Staatsverwaltung ver¬ traut war, Mißtrauen erwecken, mußten ihn für die längst von französischer und deutscher Seite vorgebrachten Bedenken zugänglich machen. Wie dann aber die gesetzgebende Versammlung, anstatt die neue Ordnung der Dinge zu festigen und auf Unterdrückung der Anarchie bedacht zu sein, durch das Dekret über die eidweigcrudcn Priester die Gewissen von Millionen beunruhigte und empörte, wie sie endlich mit dem Auslande Streit anfing, und die feindselige Richtung der Revolution einem scharf blickenden Auge nicht lange verborgen blieb, da kehrten sich viele in Unwillen von dem Götzen ab, dem sie so lange geopfert hatten. Aufmerksamer als zuvor schenkten sie den Worten der Gegner Gehör, und nun erst traf deren Wahrheit sie recht, der ruhige Verstand siegte über den Taumel. So mag es wohl auch Gentz ergangen sein. Aber freilich, dies im einzelnen nachzuweisen, bleibt die Aufgabe seines künftigen Biographen. Der schriftstellerische Erfolg, den Gentz mit seiner Übersetzung erlangte, soll sehr groß gewesen sein; noch heute findet man das Buch fast in allen älteren Bibliotheken. Obgleich ihn die Amtsthätigkeit sehr in Anspruch nahm und er sich auch um diese Zeit durch seine Vermählung mit der Tochter des Baurates Gilly einen eignen Hausstand gründete, trat er doch während der nächsten Jahre ziemlich häufig publizistisch hervor. Zunächst übersetzte er Wallet Du Pans Buch „Über die Revolution und die Ursachen ihrer Dauer," dann Mouniers „Untersuchungen über die Ursachen, welche die Franzosen ge¬ hindert haben, frei zu werden." Daß er Nivarols Schriften gekannt hätte, finden wir nicht. Ein Aufsatz Kants, der 1793 in der Berliner Monatsschrift erschien — betitelt „Über das Verhältnis von Theorie und Praxis" —. ver¬ anlaßte ihn zu einem „Nachtrag zu dem Rnsonnement des Herrn Professors Kant," in welchen: er die Aufstellung des Philosophen, daß, was in der Theorie Geltung habe, auch in der Praxis gelten könne, mit dem Hinweis auf die französische'Revolution bestritt. In der Staatspolitik, führt er aus, müsse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/71>, abgerufen am 17.09.2024.