Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Friedrich von Gent;.

schrift, die er im Jahre 1804 an den Erzherzog Johann richtete und von der
bis dahin nur ein Bruchstück bekannt war, vollständig mitteilte. Den Brief¬
wechsel zwischen Gentz und dem altern Prokesch veröffentlichte im Jahre 1881
des letztern Sohn, der kurz zuvor schon eine große Zahl von Depeschen, welche
Gentz 1813--1828 an den Hospodar der Walachei gerichtet hatte, heraus¬
gegeben hatte. Gegenwärtig endlich liegt wieder ein stattlicher Band aus dem
Nachlaß des Fürsten Metternich vor, der fast durchaus Schreiben von Gentz --
an den Fürsten Staatskanzler sowohl als an Karadja -- enthält; sie stammen
aus den Jahren 1813--1815 und werfen ans die Haltung von Gentz während
der Befreiungskriege und des Wiener Kongresses vielfach neues Licht/") Der
Gewinn, den die politische Geschichte aus diesen Blättern wird ziehen können,
dürfte nach unsrer Meinung nach nicht so groß sein wie der, welcher dem zu¬
künftigen Biograph des vielgenannten Mannes einst daraus erwachsen wird.

Vergegenwärtigen wir uns in flüchtigen Zügen seinen innern und äußern
Entwicklungsgang, so weit er uns heute bekannt ist. 1764 zu Breslau gehöre",
wuchs er in behaglichen Verhältnissen auf: sein Vater war Beamter und wurde
bald uach Berlin versetzt, wo er die Stelle eines Münzdirektors bekleidete. Die
Mutter war eine Ancillon. Friedrich, der gleichfalls für den Staatsdienst be¬
stimmt wurde, bezog zuerst die Universität Frankfurt a. d. O., dann die von Königs¬
berg, wohin Kants Ruf lockte. Es wird überliefert, daß er ein eifriger Schüler des
großen Philosophen gewesen sei; die Schriften Kants haben ihn noch dreißig Jahre
später vielfach beschäftigt, ja zu gegnerischen Ausführungen angeregt, und Briefe,
die aus der Königsberger Zeit stammen, enthalten oft genug Nachklänge Kan¬
tischer Vorlesungen über Moral. Häufiger aber noch den Nachhall der Werther¬
stimmung. Sie sind an eine junge Frau gerichtet, die unglücklich liebt und die
ihm das Geheimnis ihrer Liebe vertraut hat, weil auch er liebt, und, wie er
sich wenigstens einbildete, nicht weniger unglücklich. 1785 nach Berlin zurück¬
gekehrt, um in das Bureau der Seehandlung zu treten, bleibt er mit Elisa¬
beth -- so hieß die Freundin -- in Königsberg in Briefwechsel, schwelgt in
Erinnerungen und zarten "Sentiments." Da gedenkt er des herrlichen Abends
im Freien, wo er ihr die "göttliche, göttliche Stelle" (aus Klopstock) vorsagte:


Dort schuf sie (die Gestirne) der Herr; hier dem Staube näher den Mond,
Der, Genoß schweigender, kühlender Nacht,
Die Erduldcr des Strahls heitert . . .
Erde, du Grab, das stets auf uns harrt,
Gott hat mit Blumen dich bestrent.


*) Österreichs Teilnahme an den Befreiungskriegen. Ein Beitrag zur Ge¬
schichte des Jahres 1813--1815 nach Aufzeichnungen von Friedrich von Gentz nebst einem
Anhang: Briefwechsel zwischen dem Fürsten Schwarzenberg und Metternich. Herausgegeben
von Richard Fürst Metternich-Winneburg. Geordnet und zusammengestellt von Alfons Frei-
herrn von Klinlowström. Mit einem Stcihlstichportrttt Friedrichs von Gentz und einem Fac¬
simile-Briefe des Feldmarschalls Blücher. Wien, C. Gerolds Sohn, 1887.
Friedrich von Gent;.

schrift, die er im Jahre 1804 an den Erzherzog Johann richtete und von der
bis dahin nur ein Bruchstück bekannt war, vollständig mitteilte. Den Brief¬
wechsel zwischen Gentz und dem altern Prokesch veröffentlichte im Jahre 1881
des letztern Sohn, der kurz zuvor schon eine große Zahl von Depeschen, welche
Gentz 1813—1828 an den Hospodar der Walachei gerichtet hatte, heraus¬
gegeben hatte. Gegenwärtig endlich liegt wieder ein stattlicher Band aus dem
Nachlaß des Fürsten Metternich vor, der fast durchaus Schreiben von Gentz —
an den Fürsten Staatskanzler sowohl als an Karadja — enthält; sie stammen
aus den Jahren 1813—1815 und werfen ans die Haltung von Gentz während
der Befreiungskriege und des Wiener Kongresses vielfach neues Licht/") Der
Gewinn, den die politische Geschichte aus diesen Blättern wird ziehen können,
dürfte nach unsrer Meinung nach nicht so groß sein wie der, welcher dem zu¬
künftigen Biograph des vielgenannten Mannes einst daraus erwachsen wird.

Vergegenwärtigen wir uns in flüchtigen Zügen seinen innern und äußern
Entwicklungsgang, so weit er uns heute bekannt ist. 1764 zu Breslau gehöre»,
wuchs er in behaglichen Verhältnissen auf: sein Vater war Beamter und wurde
bald uach Berlin versetzt, wo er die Stelle eines Münzdirektors bekleidete. Die
Mutter war eine Ancillon. Friedrich, der gleichfalls für den Staatsdienst be¬
stimmt wurde, bezog zuerst die Universität Frankfurt a. d. O., dann die von Königs¬
berg, wohin Kants Ruf lockte. Es wird überliefert, daß er ein eifriger Schüler des
großen Philosophen gewesen sei; die Schriften Kants haben ihn noch dreißig Jahre
später vielfach beschäftigt, ja zu gegnerischen Ausführungen angeregt, und Briefe,
die aus der Königsberger Zeit stammen, enthalten oft genug Nachklänge Kan¬
tischer Vorlesungen über Moral. Häufiger aber noch den Nachhall der Werther¬
stimmung. Sie sind an eine junge Frau gerichtet, die unglücklich liebt und die
ihm das Geheimnis ihrer Liebe vertraut hat, weil auch er liebt, und, wie er
sich wenigstens einbildete, nicht weniger unglücklich. 1785 nach Berlin zurück¬
gekehrt, um in das Bureau der Seehandlung zu treten, bleibt er mit Elisa¬
beth — so hieß die Freundin — in Königsberg in Briefwechsel, schwelgt in
Erinnerungen und zarten „Sentiments." Da gedenkt er des herrlichen Abends
im Freien, wo er ihr die „göttliche, göttliche Stelle" (aus Klopstock) vorsagte:


Dort schuf sie (die Gestirne) der Herr; hier dem Staube näher den Mond,
Der, Genoß schweigender, kühlender Nacht,
Die Erduldcr des Strahls heitert . . .
Erde, du Grab, das stets auf uns harrt,
Gott hat mit Blumen dich bestrent.


*) Österreichs Teilnahme an den Befreiungskriegen. Ein Beitrag zur Ge¬
schichte des Jahres 1813—1815 nach Aufzeichnungen von Friedrich von Gentz nebst einem
Anhang: Briefwechsel zwischen dem Fürsten Schwarzenberg und Metternich. Herausgegeben
von Richard Fürst Metternich-Winneburg. Geordnet und zusammengestellt von Alfons Frei-
herrn von Klinlowström. Mit einem Stcihlstichportrttt Friedrichs von Gentz und einem Fac¬
simile-Briefe des Feldmarschalls Blücher. Wien, C. Gerolds Sohn, 1887.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0066" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288519"/>
          <fw type="header" place="top"> Friedrich von Gent;.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_172" prev="#ID_171"> schrift, die er im Jahre 1804 an den Erzherzog Johann richtete und von der<lb/>
bis dahin nur ein Bruchstück bekannt war, vollständig mitteilte. Den Brief¬<lb/>
wechsel zwischen Gentz und dem altern Prokesch veröffentlichte im Jahre 1881<lb/>
des letztern Sohn, der kurz zuvor schon eine große Zahl von Depeschen, welche<lb/>
Gentz 1813&#x2014;1828 an den Hospodar der Walachei gerichtet hatte, heraus¬<lb/>
gegeben hatte. Gegenwärtig endlich liegt wieder ein stattlicher Band aus dem<lb/>
Nachlaß des Fürsten Metternich vor, der fast durchaus Schreiben von Gentz &#x2014;<lb/>
an den Fürsten Staatskanzler sowohl als an Karadja &#x2014; enthält; sie stammen<lb/>
aus den Jahren 1813&#x2014;1815 und werfen ans die Haltung von Gentz während<lb/>
der Befreiungskriege und des Wiener Kongresses vielfach neues Licht/") Der<lb/>
Gewinn, den die politische Geschichte aus diesen Blättern wird ziehen können,<lb/>
dürfte nach unsrer Meinung nach nicht so groß sein wie der, welcher dem zu¬<lb/>
künftigen Biograph des vielgenannten Mannes einst daraus erwachsen wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_173" next="#ID_174"> Vergegenwärtigen wir uns in flüchtigen Zügen seinen innern und äußern<lb/>
Entwicklungsgang, so weit er uns heute bekannt ist. 1764 zu Breslau gehöre»,<lb/>
wuchs er in behaglichen Verhältnissen auf: sein Vater war Beamter und wurde<lb/>
bald uach Berlin versetzt, wo er die Stelle eines Münzdirektors bekleidete. Die<lb/>
Mutter war eine Ancillon. Friedrich, der gleichfalls für den Staatsdienst be¬<lb/>
stimmt wurde, bezog zuerst die Universität Frankfurt a. d. O., dann die von Königs¬<lb/>
berg, wohin Kants Ruf lockte. Es wird überliefert, daß er ein eifriger Schüler des<lb/>
großen Philosophen gewesen sei; die Schriften Kants haben ihn noch dreißig Jahre<lb/>
später vielfach beschäftigt, ja zu gegnerischen Ausführungen angeregt, und Briefe,<lb/>
die aus der Königsberger Zeit stammen, enthalten oft genug Nachklänge Kan¬<lb/>
tischer Vorlesungen über Moral. Häufiger aber noch den Nachhall der Werther¬<lb/>
stimmung. Sie sind an eine junge Frau gerichtet, die unglücklich liebt und die<lb/>
ihm das Geheimnis ihrer Liebe vertraut hat, weil auch er liebt, und, wie er<lb/>
sich wenigstens einbildete, nicht weniger unglücklich. 1785 nach Berlin zurück¬<lb/>
gekehrt, um in das Bureau der Seehandlung zu treten, bleibt er mit Elisa¬<lb/>
beth &#x2014; so hieß die Freundin &#x2014; in Königsberg in Briefwechsel, schwelgt in<lb/>
Erinnerungen und zarten &#x201E;Sentiments." Da gedenkt er des herrlichen Abends<lb/>
im Freien, wo er ihr die &#x201E;göttliche, göttliche Stelle" (aus Klopstock) vorsagte:</p><lb/>
          <quote> Dort schuf sie (die Gestirne) der Herr; hier dem Staube näher den Mond,<lb/>
Der, Genoß schweigender, kühlender Nacht,<lb/>
Die Erduldcr des Strahls heitert . . .<lb/>
Erde, du Grab, das stets auf uns harrt,<lb/>
Gott hat mit Blumen dich bestrent.</quote><lb/>
          <note xml:id="FID_6" place="foot"> *) Österreichs Teilnahme an den Befreiungskriegen. Ein Beitrag zur Ge¬<lb/>
schichte des Jahres 1813&#x2014;1815 nach Aufzeichnungen von Friedrich von Gentz nebst einem<lb/>
Anhang: Briefwechsel zwischen dem Fürsten Schwarzenberg und Metternich. Herausgegeben<lb/>
von Richard Fürst Metternich-Winneburg. Geordnet und zusammengestellt von Alfons Frei-<lb/>
herrn von Klinlowström. Mit einem Stcihlstichportrttt Friedrichs von Gentz und einem Fac¬<lb/>
simile-Briefe des Feldmarschalls Blücher.  Wien, C. Gerolds Sohn, 1887.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0066] Friedrich von Gent;. schrift, die er im Jahre 1804 an den Erzherzog Johann richtete und von der bis dahin nur ein Bruchstück bekannt war, vollständig mitteilte. Den Brief¬ wechsel zwischen Gentz und dem altern Prokesch veröffentlichte im Jahre 1881 des letztern Sohn, der kurz zuvor schon eine große Zahl von Depeschen, welche Gentz 1813—1828 an den Hospodar der Walachei gerichtet hatte, heraus¬ gegeben hatte. Gegenwärtig endlich liegt wieder ein stattlicher Band aus dem Nachlaß des Fürsten Metternich vor, der fast durchaus Schreiben von Gentz — an den Fürsten Staatskanzler sowohl als an Karadja — enthält; sie stammen aus den Jahren 1813—1815 und werfen ans die Haltung von Gentz während der Befreiungskriege und des Wiener Kongresses vielfach neues Licht/") Der Gewinn, den die politische Geschichte aus diesen Blättern wird ziehen können, dürfte nach unsrer Meinung nach nicht so groß sein wie der, welcher dem zu¬ künftigen Biograph des vielgenannten Mannes einst daraus erwachsen wird. Vergegenwärtigen wir uns in flüchtigen Zügen seinen innern und äußern Entwicklungsgang, so weit er uns heute bekannt ist. 1764 zu Breslau gehöre», wuchs er in behaglichen Verhältnissen auf: sein Vater war Beamter und wurde bald uach Berlin versetzt, wo er die Stelle eines Münzdirektors bekleidete. Die Mutter war eine Ancillon. Friedrich, der gleichfalls für den Staatsdienst be¬ stimmt wurde, bezog zuerst die Universität Frankfurt a. d. O., dann die von Königs¬ berg, wohin Kants Ruf lockte. Es wird überliefert, daß er ein eifriger Schüler des großen Philosophen gewesen sei; die Schriften Kants haben ihn noch dreißig Jahre später vielfach beschäftigt, ja zu gegnerischen Ausführungen angeregt, und Briefe, die aus der Königsberger Zeit stammen, enthalten oft genug Nachklänge Kan¬ tischer Vorlesungen über Moral. Häufiger aber noch den Nachhall der Werther¬ stimmung. Sie sind an eine junge Frau gerichtet, die unglücklich liebt und die ihm das Geheimnis ihrer Liebe vertraut hat, weil auch er liebt, und, wie er sich wenigstens einbildete, nicht weniger unglücklich. 1785 nach Berlin zurück¬ gekehrt, um in das Bureau der Seehandlung zu treten, bleibt er mit Elisa¬ beth — so hieß die Freundin — in Königsberg in Briefwechsel, schwelgt in Erinnerungen und zarten „Sentiments." Da gedenkt er des herrlichen Abends im Freien, wo er ihr die „göttliche, göttliche Stelle" (aus Klopstock) vorsagte: Dort schuf sie (die Gestirne) der Herr; hier dem Staube näher den Mond, Der, Genoß schweigender, kühlender Nacht, Die Erduldcr des Strahls heitert . . . Erde, du Grab, das stets auf uns harrt, Gott hat mit Blumen dich bestrent. *) Österreichs Teilnahme an den Befreiungskriegen. Ein Beitrag zur Ge¬ schichte des Jahres 1813—1815 nach Aufzeichnungen von Friedrich von Gentz nebst einem Anhang: Briefwechsel zwischen dem Fürsten Schwarzenberg und Metternich. Herausgegeben von Richard Fürst Metternich-Winneburg. Geordnet und zusammengestellt von Alfons Frei- herrn von Klinlowström. Mit einem Stcihlstichportrttt Friedrichs von Gentz und einem Fac¬ simile-Briefe des Feldmarschalls Blücher. Wien, C. Gerolds Sohn, 1887.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/66
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/66>, abgerufen am 17.09.2024.