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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.

steigend durch ein offenes, wohlangebautes Land, häusig einen Blick eröffnend
auf die glitzernden Wendungen des Wuoksen, und brachte uns in einer Stunde
zur Stelle. Ein kleiner Dampfer führte uns dann aus der felsenumkränzten,
lieblichen Bucht in den Saimasee hinaus, den "See der tausend Inseln."
Es ist eine traumhafte Fahrt. Stundenlang zeigt sie immer wieder in den
Grundzügen dasselbe Bild, aber in immer neuer Abwechslung und deshalb
niemals ermüdend: bald hvchaufragende, bald flache Granitufer, von dunkelm
Walde gekrönt, dazwischen ähnlich geformte Inseln der verschiedensten Größe,
alles bald eng zusammenrückend, bald weiten Ausblick gestattend in scheinbar
endlose Hintergründe, vor die im nächsten Augenblicke kulissenartig sich wieder
Inseln und Landzungen schieben, und überall dasselbe stille, dunkle, tiefe Wasser,
auf dem das Fahrzeug lautlos gleitet, alles unendlich einsam und menschenleer,
zuweilen eine Stunde lang kein Hans, kein Segel. Auf der mehr als
dreistündigen Fahrt tauchten nur zwei Orte auf, an denen der Dampfer, von
zahlreichen Einwohnern und Passagieren erwartet, anlegte, Joutsenv und Lau-
ritssala, der Anfangspunkt des Saimcckanals, und begegneten uns nicht mehr
als zwei Schiffe. Doch ist überall in den engeren Gewässern die Fahrstraße
sorgfältig bezeichnet. Wenn über dem Ganzen ein Heller Himmel strahlt, wie
ihn dieser Reisetag spendete -- nur im Süden stand blauschwarzes Gewitter¬
gewölk --, dann giebt das eine anmutige, wiewohl nicht eigentlich heitere Szenerie,
etwa wie die Havelseen, nur daß diese nicht so einsam sind; unendlich melan¬
cholisch aber muß diese finnische Seelandschaft wirken, wenn Nebel, Gewölk und
Regen graue Schleier über sie breitet.

Endlich stieg am hohen Gestade Willmannstrand auf, links das von Russen
und Schweden vielumkämpfte, jetzt verfallene Schloß, rechts das Städtchen,
ganz und gar unrussisch, mit breiten Straßen zwischen niedrigen, saubern Holz¬
häusern. Die Straßenaufschriften sind auch hier in drei Sprachen gehalten,
aber die Ladenfirmen nur finnisch und schwedisch, bei manchen auch nur finnisch,
obwohl eine "russische Volksschule" die Bemühungen verrät, die "Reichssprache"
auch unter das Volk zu tragen, und der junge Bursche, der uns den weite"
Weg zum Bahnhof führte, auch russisch sprach. Von Willmannstrand leitet
seit 1885 eine Zweigbahn nach Simola zum Anschluß an die finnische Haupt¬
bahn nach Wiborg durch meist offenes Land. Nach etwa zwei Stunden war
die Stadt erreicht, die mit ihrem alten düstern Schlosse in hellster Abend¬
beleuchtung sich ausbreitete, ganz von glänzenden Wasserspiegeln umgeben. Nur
im Südosten nach Petersburg hin stand, von purpurgoldnen Rändern umrahmt,
eine finstere Wolkenwand, wie symbolisch, denn von dort sind immer und immer
wieder die Kriegsstürme über Finnland aufgestiegen. Vor der russischen "Kultur"
aber hat es sich zu wahren gewußt.




Russische Skizzen.

steigend durch ein offenes, wohlangebautes Land, häusig einen Blick eröffnend
auf die glitzernden Wendungen des Wuoksen, und brachte uns in einer Stunde
zur Stelle. Ein kleiner Dampfer führte uns dann aus der felsenumkränzten,
lieblichen Bucht in den Saimasee hinaus, den „See der tausend Inseln."
Es ist eine traumhafte Fahrt. Stundenlang zeigt sie immer wieder in den
Grundzügen dasselbe Bild, aber in immer neuer Abwechslung und deshalb
niemals ermüdend: bald hvchaufragende, bald flache Granitufer, von dunkelm
Walde gekrönt, dazwischen ähnlich geformte Inseln der verschiedensten Größe,
alles bald eng zusammenrückend, bald weiten Ausblick gestattend in scheinbar
endlose Hintergründe, vor die im nächsten Augenblicke kulissenartig sich wieder
Inseln und Landzungen schieben, und überall dasselbe stille, dunkle, tiefe Wasser,
auf dem das Fahrzeug lautlos gleitet, alles unendlich einsam und menschenleer,
zuweilen eine Stunde lang kein Hans, kein Segel. Auf der mehr als
dreistündigen Fahrt tauchten nur zwei Orte auf, an denen der Dampfer, von
zahlreichen Einwohnern und Passagieren erwartet, anlegte, Joutsenv und Lau-
ritssala, der Anfangspunkt des Saimcckanals, und begegneten uns nicht mehr
als zwei Schiffe. Doch ist überall in den engeren Gewässern die Fahrstraße
sorgfältig bezeichnet. Wenn über dem Ganzen ein Heller Himmel strahlt, wie
ihn dieser Reisetag spendete — nur im Süden stand blauschwarzes Gewitter¬
gewölk —, dann giebt das eine anmutige, wiewohl nicht eigentlich heitere Szenerie,
etwa wie die Havelseen, nur daß diese nicht so einsam sind; unendlich melan¬
cholisch aber muß diese finnische Seelandschaft wirken, wenn Nebel, Gewölk und
Regen graue Schleier über sie breitet.

Endlich stieg am hohen Gestade Willmannstrand auf, links das von Russen
und Schweden vielumkämpfte, jetzt verfallene Schloß, rechts das Städtchen,
ganz und gar unrussisch, mit breiten Straßen zwischen niedrigen, saubern Holz¬
häusern. Die Straßenaufschriften sind auch hier in drei Sprachen gehalten,
aber die Ladenfirmen nur finnisch und schwedisch, bei manchen auch nur finnisch,
obwohl eine „russische Volksschule" die Bemühungen verrät, die „Reichssprache"
auch unter das Volk zu tragen, und der junge Bursche, der uns den weite»
Weg zum Bahnhof führte, auch russisch sprach. Von Willmannstrand leitet
seit 1885 eine Zweigbahn nach Simola zum Anschluß an die finnische Haupt¬
bahn nach Wiborg durch meist offenes Land. Nach etwa zwei Stunden war
die Stadt erreicht, die mit ihrem alten düstern Schlosse in hellster Abend¬
beleuchtung sich ausbreitete, ganz von glänzenden Wasserspiegeln umgeben. Nur
im Südosten nach Petersburg hin stand, von purpurgoldnen Rändern umrahmt,
eine finstere Wolkenwand, wie symbolisch, denn von dort sind immer und immer
wieder die Kriegsstürme über Finnland aufgestiegen. Vor der russischen „Kultur"
aber hat es sich zu wahren gewußt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/655>, abgerufen am 17.09.2024.