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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Russische Skizzen.

russischem Szepter steht. Auf felsigem und hügligen Untergrunde, auf Inseln
und Halbinseln zwischen Landsee und Meer, steigen die Straßen bergauf, bergab,
besetzt mit Häusern westeuropäischen Charakters, und was im Norden so seltsam
ist, dort ragt ein wirklich historisches Gebäude auf, die massige Backsteinrnine
des Wiborgschlosses auf seiner Insel mit dem unter viereckigen, oben achteckigen
mächtigen Turme, der alte Kern der Stadt, die die schwedischen Eroberer 1296
dort anlegten, wo eine schmale Landenge zwischen dem Meere und dem weit
nach Norden hin sich verzweigenden Saimasee die Verbindung des finnischen
Südostens (Karelier) mit dem Kernlandc vermittelt. Reizend ist der Blick von
der Höhe über die blaue Bucht nach Süden hin, steile Felsenufer umkränzen
sie, hohe Inseln schwimmen im Wasser, dichtgedrängt liegen am Hafendamme
die Schiffe. Doch wir wenden uns landeinwärts. Hier liegt unweit des
Schlosses der kleine Dampfer "Justila," der uns nordwärts führen soll, über¬
füllt mit Menschen ganz unrussischcn Gepräges, und die ersten Laute, die uns
ans Ohr schlagen, sind deutsche, auch der Billeteur spricht deutsch. Geräuschlos
setzt sich das Fahrzeug in Bewegung über die glatte, dunkle Wasserfläche des
ersten in der Kette der Seen. Ringsum steigen waldige Höhen auf, reizende
Villen leuchten hervor aus dunkelm Grün. Nach etwa einer Stunde erreicht
der Dampfer Justila und damit den Eingang des Saimakanals, der seit 1856 den
hochgelegenen Saimasee, den größten und befahrensten Finnlands, mit der Wi-
borger Bucht in Verbindung setzt. Mächtige Schleusen überwinden hier den
ersten Höhenrücken; doch um Zeit zu sparen, gehen die Reisenden die kurze
Strecke an ihnen zu Fuß hinauf, um am obern Ende der Schleusen einen
zweiten Dampfer zu besteigen. Hat dieser die zweite Schleuse erreicht, so tritt
er durch das geöffnete Thor in die erste Kammer ein. Das Thor schließt sich
hinter ihm, durch die aufgezogenen Schützen des vordem strömt das Wasser
mit solcher Macht ein, daß das Fahrzeug binnen vier bis fünf Minuten über
zwei Meter höher steigt und der Wasserspiegel beinahe den obern Mauerrand
erreicht. So gehoben gleitet es in die zweite Kammer, um hier dasselbe Ex¬
periment nochmals durchzumachen und es in der dritten Schleuse zu wieder¬
holen. Jetzt wird die Landschaft wilder; dicht treten die steilen, dunkeln, wald¬
bekrönten Granitwände ans Wasser heran, oft nur eine enge Durchfahrt gestattend,
endlich öffnet sich vor uns der breite Spiegel des Rcittijärvi (Järvi ---- See), nach
etwa dreistündiger Fahrt legt der Dampfer unterhalb des Hotels der Jmatra-
gesellschaft an, die das ganze Gelände am Jmatra auf fünfzig Jahre von der
silurischen Regierung gepachtet und alles für Unterkunft und Verkehr so
trefflich geordnet hat, daß dies die günstige Anschauung über die Tüchtigkeit
des finnischen Volkes nur bestärken kann.

Von der Veranda des Gasthauses wendet sich der Blick noch einmal
rückwärts nach dem malerischen Rättijärvi mit seine" Villenkolonien zwischen
See und Wald lind Fels, denn noch befinden wir uns im Kulturbereiche


Russische Skizzen.

russischem Szepter steht. Auf felsigem und hügligen Untergrunde, auf Inseln
und Halbinseln zwischen Landsee und Meer, steigen die Straßen bergauf, bergab,
besetzt mit Häusern westeuropäischen Charakters, und was im Norden so seltsam
ist, dort ragt ein wirklich historisches Gebäude auf, die massige Backsteinrnine
des Wiborgschlosses auf seiner Insel mit dem unter viereckigen, oben achteckigen
mächtigen Turme, der alte Kern der Stadt, die die schwedischen Eroberer 1296
dort anlegten, wo eine schmale Landenge zwischen dem Meere und dem weit
nach Norden hin sich verzweigenden Saimasee die Verbindung des finnischen
Südostens (Karelier) mit dem Kernlandc vermittelt. Reizend ist der Blick von
der Höhe über die blaue Bucht nach Süden hin, steile Felsenufer umkränzen
sie, hohe Inseln schwimmen im Wasser, dichtgedrängt liegen am Hafendamme
die Schiffe. Doch wir wenden uns landeinwärts. Hier liegt unweit des
Schlosses der kleine Dampfer „Justila," der uns nordwärts führen soll, über¬
füllt mit Menschen ganz unrussischcn Gepräges, und die ersten Laute, die uns
ans Ohr schlagen, sind deutsche, auch der Billeteur spricht deutsch. Geräuschlos
setzt sich das Fahrzeug in Bewegung über die glatte, dunkle Wasserfläche des
ersten in der Kette der Seen. Ringsum steigen waldige Höhen auf, reizende
Villen leuchten hervor aus dunkelm Grün. Nach etwa einer Stunde erreicht
der Dampfer Justila und damit den Eingang des Saimakanals, der seit 1856 den
hochgelegenen Saimasee, den größten und befahrensten Finnlands, mit der Wi-
borger Bucht in Verbindung setzt. Mächtige Schleusen überwinden hier den
ersten Höhenrücken; doch um Zeit zu sparen, gehen die Reisenden die kurze
Strecke an ihnen zu Fuß hinauf, um am obern Ende der Schleusen einen
zweiten Dampfer zu besteigen. Hat dieser die zweite Schleuse erreicht, so tritt
er durch das geöffnete Thor in die erste Kammer ein. Das Thor schließt sich
hinter ihm, durch die aufgezogenen Schützen des vordem strömt das Wasser
mit solcher Macht ein, daß das Fahrzeug binnen vier bis fünf Minuten über
zwei Meter höher steigt und der Wasserspiegel beinahe den obern Mauerrand
erreicht. So gehoben gleitet es in die zweite Kammer, um hier dasselbe Ex¬
periment nochmals durchzumachen und es in der dritten Schleuse zu wieder¬
holen. Jetzt wird die Landschaft wilder; dicht treten die steilen, dunkeln, wald¬
bekrönten Granitwände ans Wasser heran, oft nur eine enge Durchfahrt gestattend,
endlich öffnet sich vor uns der breite Spiegel des Rcittijärvi (Järvi ---- See), nach
etwa dreistündiger Fahrt legt der Dampfer unterhalb des Hotels der Jmatra-
gesellschaft an, die das ganze Gelände am Jmatra auf fünfzig Jahre von der
silurischen Regierung gepachtet und alles für Unterkunft und Verkehr so
trefflich geordnet hat, daß dies die günstige Anschauung über die Tüchtigkeit
des finnischen Volkes nur bestärken kann.

Von der Veranda des Gasthauses wendet sich der Blick noch einmal
rückwärts nach dem malerischen Rättijärvi mit seine» Villenkolonien zwischen
See und Wald lind Fels, denn noch befinden wir uns im Kulturbereiche


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[0652] Russische Skizzen. russischem Szepter steht. Auf felsigem und hügligen Untergrunde, auf Inseln und Halbinseln zwischen Landsee und Meer, steigen die Straßen bergauf, bergab, besetzt mit Häusern westeuropäischen Charakters, und was im Norden so seltsam ist, dort ragt ein wirklich historisches Gebäude auf, die massige Backsteinrnine des Wiborgschlosses auf seiner Insel mit dem unter viereckigen, oben achteckigen mächtigen Turme, der alte Kern der Stadt, die die schwedischen Eroberer 1296 dort anlegten, wo eine schmale Landenge zwischen dem Meere und dem weit nach Norden hin sich verzweigenden Saimasee die Verbindung des finnischen Südostens (Karelier) mit dem Kernlandc vermittelt. Reizend ist der Blick von der Höhe über die blaue Bucht nach Süden hin, steile Felsenufer umkränzen sie, hohe Inseln schwimmen im Wasser, dichtgedrängt liegen am Hafendamme die Schiffe. Doch wir wenden uns landeinwärts. Hier liegt unweit des Schlosses der kleine Dampfer „Justila," der uns nordwärts führen soll, über¬ füllt mit Menschen ganz unrussischcn Gepräges, und die ersten Laute, die uns ans Ohr schlagen, sind deutsche, auch der Billeteur spricht deutsch. Geräuschlos setzt sich das Fahrzeug in Bewegung über die glatte, dunkle Wasserfläche des ersten in der Kette der Seen. Ringsum steigen waldige Höhen auf, reizende Villen leuchten hervor aus dunkelm Grün. Nach etwa einer Stunde erreicht der Dampfer Justila und damit den Eingang des Saimakanals, der seit 1856 den hochgelegenen Saimasee, den größten und befahrensten Finnlands, mit der Wi- borger Bucht in Verbindung setzt. Mächtige Schleusen überwinden hier den ersten Höhenrücken; doch um Zeit zu sparen, gehen die Reisenden die kurze Strecke an ihnen zu Fuß hinauf, um am obern Ende der Schleusen einen zweiten Dampfer zu besteigen. Hat dieser die zweite Schleuse erreicht, so tritt er durch das geöffnete Thor in die erste Kammer ein. Das Thor schließt sich hinter ihm, durch die aufgezogenen Schützen des vordem strömt das Wasser mit solcher Macht ein, daß das Fahrzeug binnen vier bis fünf Minuten über zwei Meter höher steigt und der Wasserspiegel beinahe den obern Mauerrand erreicht. So gehoben gleitet es in die zweite Kammer, um hier dasselbe Ex¬ periment nochmals durchzumachen und es in der dritten Schleuse zu wieder¬ holen. Jetzt wird die Landschaft wilder; dicht treten die steilen, dunkeln, wald¬ bekrönten Granitwände ans Wasser heran, oft nur eine enge Durchfahrt gestattend, endlich öffnet sich vor uns der breite Spiegel des Rcittijärvi (Järvi ---- See), nach etwa dreistündiger Fahrt legt der Dampfer unterhalb des Hotels der Jmatra- gesellschaft an, die das ganze Gelände am Jmatra auf fünfzig Jahre von der silurischen Regierung gepachtet und alles für Unterkunft und Verkehr so trefflich geordnet hat, daß dies die günstige Anschauung über die Tüchtigkeit des finnischen Volkes nur bestärken kann. Von der Veranda des Gasthauses wendet sich der Blick noch einmal rückwärts nach dem malerischen Rättijärvi mit seine» Villenkolonien zwischen See und Wald lind Fels, denn noch befinden wir uns im Kulturbereiche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/652>, abgerufen am 17.09.2024.