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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

und Vergewaltigung dauert noch heute ungehindert fort, ja die Lage hat sich
in den letzten Jahren verschlimmert. Wenn Hallwich 1884 im Reichsrat klagen
konnte: "Der öffentliche Dienst im ganzen Umfange des Wortes, vom Nacht¬
wächter und Gerichtsdiener bis hinauf zum Präsidium des Oberlandesgerichts
und der Statthalterei zu Prag, ist uns und unsern Söhnen versperrt, wenn so
praltizirt wird," so durfte er am 19. März 1886 mit gleichem Rechte sagen:
"Das Gerichtswesen in Böhmen wird dank der Sprachenverordnung des Jahres
1880 in Haupt und Gliedern, von oben bis unten, von Tag zu Tag mehr
tschechisirt -- man nennt es utraquisirt, wir aber sagen und wissen warum:
tschechisirt." Und was der Abgeordnete über das Gerichtswesen behauptete, das
konnte er auch von der Verwaltung berichten. Zunächst wurden die eigentlich
politischen Behörden im Sinne der Sprachenzwangsverordnung drangenommen.
Das obengenannte Intelligenzblatt der "Prager Zeitung" veröffentlicht seit
Beginn der Regentschaft des jetzigen Statthalters von Böhmen regelmäßig
Konknrrenzausschreibungen zur Besetzung erledigter Posten von Bezirkssekretären,
Kanzlisten und sonstiger politischen Beamten, wobei die Kenntnis beider Landes¬
sprachen auch da als unerläßlich verlangt wird, wo der Wirkungskreis der
Bewerber zum geschlossenen deutschen Sprachgebiete gehört. Auch der niedrigste
dieser Posten ist heute den Söhnen der Dcutschböhmen entzogen. Unter der
Thür jedes Bureaus, über jeder Bedientenloge steht für sie in fetten Buchstaben:
"Zurück, nix denses!"

Dergleichen allein schon kann, um mit Hallwich und Wurmbrand zu reden,
nur mit der Russifizirung der baltischen Provinzen des Moskowiterlandes ver¬
glichen werden. Aber dabei blieben die Patrone der Tschechen nicht stehen.
Am 24. Februar 1855 erließ der damalige Handelsminister eine Verordnung,
in welcher den k. k. Post- und Telegraphendirektionen ein neuer "Amts¬
unterricht" erteilt wurde, und in welcher es im dritten Paragraphen heißt:
"Zur Wahrung der den politischen Landeschefs zustehenden Einflußnahme
auf das Post- und Telegraphenwesen im Lande haben die Direktionen ihre
Berichte über wichtige Angelegenheiten ihres Ressorts, insbesondre über belang¬
reiche Änderungen in den Postkursen u. s. w., über die Anstellung eines Be¬
werbers, Praktikanten, Eleven oder wirklichen Beamten, über Besetzung von
Dienstposten der neunten oder höhern Rangesklasse, über ErWirkung von aller¬
höchsten Auszeichnungen im Handelsministerium im Wege des Statthalters, des
Landespräsidenten vorzulegen und ohne dessen Zustimmung weder die Ernennung
eines Postmeisters, Postexpedienten noch die Verleihung von Telegraphen-
Nebenstationen zu vollziehen." Diese Bestimmung ist mittel- oder unmittelbar
vom gegenwärtigen Statthalter in Böhmen, Baron Kraus, angeregt worden
und ihm auf den Leib geschrieben. Wie er die ihm damit beigelegte Befugnis
versteht und benutzt, erzählt uns eine Petition der Egerschen Handels- und
Gewerbekammer des vorigen Jahres, nach welcher der Herr Vizekönig von


Deutsch-böhmische Briefe.

und Vergewaltigung dauert noch heute ungehindert fort, ja die Lage hat sich
in den letzten Jahren verschlimmert. Wenn Hallwich 1884 im Reichsrat klagen
konnte: „Der öffentliche Dienst im ganzen Umfange des Wortes, vom Nacht¬
wächter und Gerichtsdiener bis hinauf zum Präsidium des Oberlandesgerichts
und der Statthalterei zu Prag, ist uns und unsern Söhnen versperrt, wenn so
praltizirt wird," so durfte er am 19. März 1886 mit gleichem Rechte sagen:
„Das Gerichtswesen in Böhmen wird dank der Sprachenverordnung des Jahres
1880 in Haupt und Gliedern, von oben bis unten, von Tag zu Tag mehr
tschechisirt — man nennt es utraquisirt, wir aber sagen und wissen warum:
tschechisirt." Und was der Abgeordnete über das Gerichtswesen behauptete, das
konnte er auch von der Verwaltung berichten. Zunächst wurden die eigentlich
politischen Behörden im Sinne der Sprachenzwangsverordnung drangenommen.
Das obengenannte Intelligenzblatt der „Prager Zeitung" veröffentlicht seit
Beginn der Regentschaft des jetzigen Statthalters von Böhmen regelmäßig
Konknrrenzausschreibungen zur Besetzung erledigter Posten von Bezirkssekretären,
Kanzlisten und sonstiger politischen Beamten, wobei die Kenntnis beider Landes¬
sprachen auch da als unerläßlich verlangt wird, wo der Wirkungskreis der
Bewerber zum geschlossenen deutschen Sprachgebiete gehört. Auch der niedrigste
dieser Posten ist heute den Söhnen der Dcutschböhmen entzogen. Unter der
Thür jedes Bureaus, über jeder Bedientenloge steht für sie in fetten Buchstaben:
„Zurück, nix denses!"

Dergleichen allein schon kann, um mit Hallwich und Wurmbrand zu reden,
nur mit der Russifizirung der baltischen Provinzen des Moskowiterlandes ver¬
glichen werden. Aber dabei blieben die Patrone der Tschechen nicht stehen.
Am 24. Februar 1855 erließ der damalige Handelsminister eine Verordnung,
in welcher den k. k. Post- und Telegraphendirektionen ein neuer „Amts¬
unterricht" erteilt wurde, und in welcher es im dritten Paragraphen heißt:
„Zur Wahrung der den politischen Landeschefs zustehenden Einflußnahme
auf das Post- und Telegraphenwesen im Lande haben die Direktionen ihre
Berichte über wichtige Angelegenheiten ihres Ressorts, insbesondre über belang¬
reiche Änderungen in den Postkursen u. s. w., über die Anstellung eines Be¬
werbers, Praktikanten, Eleven oder wirklichen Beamten, über Besetzung von
Dienstposten der neunten oder höhern Rangesklasse, über ErWirkung von aller¬
höchsten Auszeichnungen im Handelsministerium im Wege des Statthalters, des
Landespräsidenten vorzulegen und ohne dessen Zustimmung weder die Ernennung
eines Postmeisters, Postexpedienten noch die Verleihung von Telegraphen-
Nebenstationen zu vollziehen." Diese Bestimmung ist mittel- oder unmittelbar
vom gegenwärtigen Statthalter in Böhmen, Baron Kraus, angeregt worden
und ihm auf den Leib geschrieben. Wie er die ihm damit beigelegte Befugnis
versteht und benutzt, erzählt uns eine Petition der Egerschen Handels- und
Gewerbekammer des vorigen Jahres, nach welcher der Herr Vizekönig von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/62>, abgerufen am 17.09.2024.