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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Vornherein zuzugestehen: "Die Luft moderner Riesenstädte ist nicht geeignet,
Pflanzen groß zu ziehen, sie können in diesen Boden erst versetzt werden, wenn
sie bereits einen kräftigen Stamm angesetzt haben. Alle gelungenen Versuche
zur Wiederbelebung des Volksspiels sind in kleinen Städten gemacht worden.
Hier nur ist die Möglichkeit gegeben, daß von vornherein das ganze Volk An¬
teil nimmt. Wenn das Volksspiel gleichwertig mit den Befriedigungen des
plattesten Unterhaltungsbedürfnisses erscheint, kann sich niemals die rechte
Stimmung dafür finden. So kann denn auch eine feste Organisation nur in
kleinen Städten ihren Anfang nehmen." .. "Eine solche Volksbühne ist nur
unter Mitwirkung der Bürgerschaft denkbar. Ein ständiges Theater will sie
nicht sein; sie tritt dem Zuschauer nur im Gewände des Festes entgegen. Sie
braucht den Künstler, aber nur den wirklichen Künstler, der sich auf die Mit¬
wirkung des Volkes stützt." .. "Die theatralische Bernfskunst braucht die Kon¬
kurrenz des Volksschcmspieles nicht zu fürchten." Herrig hat offenbar überall
die Erfahrungen im Sinne, die auf musikalischen Gebiete gemacht worden sind,
wo sich zu großen und kunstwürdigen Aufführungen Berufskünstler und die
Masse der Dilettanten verbinden. Er täuscht sich auch wohl darüber nicht,
daß es um nichts leichter sein wird, die Nichtkünstler in den Bann ernster
dramatischer Arbeit zu ziehen, als es seinerzeit gewesen ist, sie für ernste und
große musikalische Leistungen zu gewinnen. Aber möglich ists doch gewesen,
und möglich wird auch das sein, was Herrig und Friedrich Schön im Auge
haben, wenn die Unternehmer, die Bahnbrecher der Sache die wahren Dichter und
die Dichter die Unternehmer finden. Wie sich die beiden Männer, die zunächst in
dieser Angelegenheit das Wort nehmen, den Fortgang der Sache denken, legt
Friedrich Schön in seiner aus wahrhafter Hingebung an einen idealen Gedanken
hervorgegangenen Schrift dar. "Ich habe schon meine Meinung dahin ausge¬
sprochen, daß wir hier sin Worms^ auf das rezitirte Schauspiel jeder guten
Art uns beschränken müssen; hierzu rechne ich nun vor allem auch das von
den Bürgern selbst dargestellte Volksschauspiel. Das ist el" neues, das hier
wie anderwärts in Deutschland nach Leben ringt, als eine gesunde Reaktion
des Bürgertums gegen die Versumpftheit des Theaters. Das Wormser Luther¬
festspiel ^eben das von Herrig^ erwies sich als eine glänzende Probe auf die
Richtigkeit des Gedankens; soll es nun dabei sein Bewenden haben, oder wäre
es nicht schöner, dieser Fähigkeit und diesem Bedürfnisse, das seitdem immer
stärker und von vielen Seiten mir ausgedrückt worden ist, durch eine besonnene
Organisation zu Hilfe zu kommen, den schönen Trieb zu hegen und zu ent¬
wickeln? Wäre es nicht herrlich, wie dort rein konfessionelle, so auch häufiger
gemeinsam vaterländische oder städtische Stoffe aus unsrer großen Vergangen¬
heit uns zur Freude, der Kunst zum Frommen, unsrer Vaterstadt zur Ehre uns
vorzuführen?" Und: "Gewiß würde, was hier im kleinen Kreise solche Wirkung
hätte, nicht ohne Wirkung nach außen bleiben. Oder ist nicht anzunehmen, daß


Vornherein zuzugestehen: „Die Luft moderner Riesenstädte ist nicht geeignet,
Pflanzen groß zu ziehen, sie können in diesen Boden erst versetzt werden, wenn
sie bereits einen kräftigen Stamm angesetzt haben. Alle gelungenen Versuche
zur Wiederbelebung des Volksspiels sind in kleinen Städten gemacht worden.
Hier nur ist die Möglichkeit gegeben, daß von vornherein das ganze Volk An¬
teil nimmt. Wenn das Volksspiel gleichwertig mit den Befriedigungen des
plattesten Unterhaltungsbedürfnisses erscheint, kann sich niemals die rechte
Stimmung dafür finden. So kann denn auch eine feste Organisation nur in
kleinen Städten ihren Anfang nehmen." .. „Eine solche Volksbühne ist nur
unter Mitwirkung der Bürgerschaft denkbar. Ein ständiges Theater will sie
nicht sein; sie tritt dem Zuschauer nur im Gewände des Festes entgegen. Sie
braucht den Künstler, aber nur den wirklichen Künstler, der sich auf die Mit¬
wirkung des Volkes stützt." .. „Die theatralische Bernfskunst braucht die Kon¬
kurrenz des Volksschcmspieles nicht zu fürchten." Herrig hat offenbar überall
die Erfahrungen im Sinne, die auf musikalischen Gebiete gemacht worden sind,
wo sich zu großen und kunstwürdigen Aufführungen Berufskünstler und die
Masse der Dilettanten verbinden. Er täuscht sich auch wohl darüber nicht,
daß es um nichts leichter sein wird, die Nichtkünstler in den Bann ernster
dramatischer Arbeit zu ziehen, als es seinerzeit gewesen ist, sie für ernste und
große musikalische Leistungen zu gewinnen. Aber möglich ists doch gewesen,
und möglich wird auch das sein, was Herrig und Friedrich Schön im Auge
haben, wenn die Unternehmer, die Bahnbrecher der Sache die wahren Dichter und
die Dichter die Unternehmer finden. Wie sich die beiden Männer, die zunächst in
dieser Angelegenheit das Wort nehmen, den Fortgang der Sache denken, legt
Friedrich Schön in seiner aus wahrhafter Hingebung an einen idealen Gedanken
hervorgegangenen Schrift dar. „Ich habe schon meine Meinung dahin ausge¬
sprochen, daß wir hier sin Worms^ auf das rezitirte Schauspiel jeder guten
Art uns beschränken müssen; hierzu rechne ich nun vor allem auch das von
den Bürgern selbst dargestellte Volksschauspiel. Das ist el» neues, das hier
wie anderwärts in Deutschland nach Leben ringt, als eine gesunde Reaktion
des Bürgertums gegen die Versumpftheit des Theaters. Das Wormser Luther¬
festspiel ^eben das von Herrig^ erwies sich als eine glänzende Probe auf die
Richtigkeit des Gedankens; soll es nun dabei sein Bewenden haben, oder wäre
es nicht schöner, dieser Fähigkeit und diesem Bedürfnisse, das seitdem immer
stärker und von vielen Seiten mir ausgedrückt worden ist, durch eine besonnene
Organisation zu Hilfe zu kommen, den schönen Trieb zu hegen und zu ent¬
wickeln? Wäre es nicht herrlich, wie dort rein konfessionelle, so auch häufiger
gemeinsam vaterländische oder städtische Stoffe aus unsrer großen Vergangen¬
heit uns zur Freude, der Kunst zum Frommen, unsrer Vaterstadt zur Ehre uns
vorzuführen?" Und: „Gewiß würde, was hier im kleinen Kreise solche Wirkung
hätte, nicht ohne Wirkung nach außen bleiben. Oder ist nicht anzunehmen, daß


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[0594] Vornherein zuzugestehen: „Die Luft moderner Riesenstädte ist nicht geeignet, Pflanzen groß zu ziehen, sie können in diesen Boden erst versetzt werden, wenn sie bereits einen kräftigen Stamm angesetzt haben. Alle gelungenen Versuche zur Wiederbelebung des Volksspiels sind in kleinen Städten gemacht worden. Hier nur ist die Möglichkeit gegeben, daß von vornherein das ganze Volk An¬ teil nimmt. Wenn das Volksspiel gleichwertig mit den Befriedigungen des plattesten Unterhaltungsbedürfnisses erscheint, kann sich niemals die rechte Stimmung dafür finden. So kann denn auch eine feste Organisation nur in kleinen Städten ihren Anfang nehmen." .. „Eine solche Volksbühne ist nur unter Mitwirkung der Bürgerschaft denkbar. Ein ständiges Theater will sie nicht sein; sie tritt dem Zuschauer nur im Gewände des Festes entgegen. Sie braucht den Künstler, aber nur den wirklichen Künstler, der sich auf die Mit¬ wirkung des Volkes stützt." .. „Die theatralische Bernfskunst braucht die Kon¬ kurrenz des Volksschcmspieles nicht zu fürchten." Herrig hat offenbar überall die Erfahrungen im Sinne, die auf musikalischen Gebiete gemacht worden sind, wo sich zu großen und kunstwürdigen Aufführungen Berufskünstler und die Masse der Dilettanten verbinden. Er täuscht sich auch wohl darüber nicht, daß es um nichts leichter sein wird, die Nichtkünstler in den Bann ernster dramatischer Arbeit zu ziehen, als es seinerzeit gewesen ist, sie für ernste und große musikalische Leistungen zu gewinnen. Aber möglich ists doch gewesen, und möglich wird auch das sein, was Herrig und Friedrich Schön im Auge haben, wenn die Unternehmer, die Bahnbrecher der Sache die wahren Dichter und die Dichter die Unternehmer finden. Wie sich die beiden Männer, die zunächst in dieser Angelegenheit das Wort nehmen, den Fortgang der Sache denken, legt Friedrich Schön in seiner aus wahrhafter Hingebung an einen idealen Gedanken hervorgegangenen Schrift dar. „Ich habe schon meine Meinung dahin ausge¬ sprochen, daß wir hier sin Worms^ auf das rezitirte Schauspiel jeder guten Art uns beschränken müssen; hierzu rechne ich nun vor allem auch das von den Bürgern selbst dargestellte Volksschauspiel. Das ist el» neues, das hier wie anderwärts in Deutschland nach Leben ringt, als eine gesunde Reaktion des Bürgertums gegen die Versumpftheit des Theaters. Das Wormser Luther¬ festspiel ^eben das von Herrig^ erwies sich als eine glänzende Probe auf die Richtigkeit des Gedankens; soll es nun dabei sein Bewenden haben, oder wäre es nicht schöner, dieser Fähigkeit und diesem Bedürfnisse, das seitdem immer stärker und von vielen Seiten mir ausgedrückt worden ist, durch eine besonnene Organisation zu Hilfe zu kommen, den schönen Trieb zu hegen und zu ent¬ wickeln? Wäre es nicht herrlich, wie dort rein konfessionelle, so auch häufiger gemeinsam vaterländische oder städtische Stoffe aus unsrer großen Vergangen¬ heit uns zur Freude, der Kunst zum Frommen, unsrer Vaterstadt zur Ehre uns vorzuführen?" Und: „Gewiß würde, was hier im kleinen Kreise solche Wirkung hätte, nicht ohne Wirkung nach außen bleiben. Oder ist nicht anzunehmen, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/594>, abgerufen am 17.09.2024.