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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Das britische Weltreich und seine Aussichten.

Schanzen aus Banmwollenballcn führte, hinter denen die Amerikaner sich ver¬
bargen, ein tollkühner Dummkopf war. Unter den französischen Generalen, die
einmal eine Invasion in England versuchen könnten, würde schwerlich ein
Packenham sein, vielleicht aber unter den Engländern, die ihnen gegenüber¬
stünden. Daß dieses Geschlecht in der britischen Armee noch nicht ausgestorben
ist, zeigte der Krieg mit den Boers, die, ohne Kanonen zu haben, den mit Ge¬
schützen genügend versehenen Briten in vierzehn Tagen drei schwere Niederlage"
beibrachten. Die Freiwilligen aber sind trotz ihrer guten Bewaffnung und trotz
aller ihrer Paraden und Manöver uicht viel mehr als eine Spielerei, die im
Falle des Ernstes wenigstens im freien Felde sicher versagen würde, wie in der
noch heute giltigen Schrift über die "Schlacht bei Dorking" überzeugend gezeigt
worden ist. Auch die Offiziere der regulären Armee Großbritanniens sind mit
ihrem militärischen Wissen den Aufgaben, die ein großer Krieg mit einer Kon¬
tinentalmacht stellen würde, kaum gewachsen. Es giebt in jener Armee keinen
Generalstab nach deutschen Begriffen. Man hat Kadettenhäuser, und man hat
königliche Militärakademien in Woolwich und Sandhurst, diese genügen aber
weder quantitativ noch qualitativ den Anforderungen des Tages, sie haben
ziemlich tüchtige Kriegshandwerker, aber keine Kriegskünstler mit weitem Blicke
erzogen. Die Obergenerale des Heeres der Königin Viktoria werden von der
öffentlichen Meinung in England als Feldherrn ersten Ranges angestaunt, sind
aber, näher angesehen, kaum mehr als mittelmäßige Köpfe, denen nach ihrer
Vergangenheit höchstens Unerschrockenheit und Ausdauer nachzurühmen ist.
Auch Wolseley macht davon keine Ausnahme. Er hat die Empörung am
Nedriver uicht ohne Geschick besiegt und bei Tel El Kebir, mehr mit goldenen
als mit eisernen Waffen, wie es scheint, über ein Heer von Fellcchin triumphirt,
aber er hat am obern Nil einen Feldzug unternommen, den kein wirklicher
Strateg gewagt hätte, weil er mit einer Niederlage endigen mußte.

Vor einigen Wochen ließ Wolseley im Londoner Preßklub sich folgender¬
maßen vernehmen: "In den letzten acht Monaten ist viel für die Organisation
unsers Heeres geschehen. Wir bestrebten uns, für den Fall, daß England Mi߬
geschicke zustoßen, zwei starke Armeekorps und eine Kavalleriedivision stellen zu
können. Ich kann jetzt zuversichtlich erklären, daß wir, wenn dieses Jahr eine
schwere Verlegenheit für unsre Nation auftauchen sollte -- der Gesichtskreis
ist gerade jetzt in einigen Gegenden sehr umzogen --, imstande sein werden,
diese Streitmacht vollständig marschiren zu lassen. Das ist eine größere Streit¬
macht, als England jemals seit Marlboroughs Tagen im Felde hatte, eine
größere britische Streitmacht, als Wellington je befehligte; sie ist doppelt so
stark als das kleine Heer, welches wir 1834 nach der Krim schickten. England
schwebt jetzt nicht in Gefahr einer Invasion, wohl aber ist eine solche aus¬
führbar. Der größte Soldat, der je in der Welt lebte (Napoleon I.), ging mit
dem Plane um, und war es damals möglich, so ist es heutigen Tages noch


Das britische Weltreich und seine Aussichten.

Schanzen aus Banmwollenballcn führte, hinter denen die Amerikaner sich ver¬
bargen, ein tollkühner Dummkopf war. Unter den französischen Generalen, die
einmal eine Invasion in England versuchen könnten, würde schwerlich ein
Packenham sein, vielleicht aber unter den Engländern, die ihnen gegenüber¬
stünden. Daß dieses Geschlecht in der britischen Armee noch nicht ausgestorben
ist, zeigte der Krieg mit den Boers, die, ohne Kanonen zu haben, den mit Ge¬
schützen genügend versehenen Briten in vierzehn Tagen drei schwere Niederlage»
beibrachten. Die Freiwilligen aber sind trotz ihrer guten Bewaffnung und trotz
aller ihrer Paraden und Manöver uicht viel mehr als eine Spielerei, die im
Falle des Ernstes wenigstens im freien Felde sicher versagen würde, wie in der
noch heute giltigen Schrift über die „Schlacht bei Dorking" überzeugend gezeigt
worden ist. Auch die Offiziere der regulären Armee Großbritanniens sind mit
ihrem militärischen Wissen den Aufgaben, die ein großer Krieg mit einer Kon¬
tinentalmacht stellen würde, kaum gewachsen. Es giebt in jener Armee keinen
Generalstab nach deutschen Begriffen. Man hat Kadettenhäuser, und man hat
königliche Militärakademien in Woolwich und Sandhurst, diese genügen aber
weder quantitativ noch qualitativ den Anforderungen des Tages, sie haben
ziemlich tüchtige Kriegshandwerker, aber keine Kriegskünstler mit weitem Blicke
erzogen. Die Obergenerale des Heeres der Königin Viktoria werden von der
öffentlichen Meinung in England als Feldherrn ersten Ranges angestaunt, sind
aber, näher angesehen, kaum mehr als mittelmäßige Köpfe, denen nach ihrer
Vergangenheit höchstens Unerschrockenheit und Ausdauer nachzurühmen ist.
Auch Wolseley macht davon keine Ausnahme. Er hat die Empörung am
Nedriver uicht ohne Geschick besiegt und bei Tel El Kebir, mehr mit goldenen
als mit eisernen Waffen, wie es scheint, über ein Heer von Fellcchin triumphirt,
aber er hat am obern Nil einen Feldzug unternommen, den kein wirklicher
Strateg gewagt hätte, weil er mit einer Niederlage endigen mußte.

Vor einigen Wochen ließ Wolseley im Londoner Preßklub sich folgender¬
maßen vernehmen: „In den letzten acht Monaten ist viel für die Organisation
unsers Heeres geschehen. Wir bestrebten uns, für den Fall, daß England Mi߬
geschicke zustoßen, zwei starke Armeekorps und eine Kavalleriedivision stellen zu
können. Ich kann jetzt zuversichtlich erklären, daß wir, wenn dieses Jahr eine
schwere Verlegenheit für unsre Nation auftauchen sollte — der Gesichtskreis
ist gerade jetzt in einigen Gegenden sehr umzogen —, imstande sein werden,
diese Streitmacht vollständig marschiren zu lassen. Das ist eine größere Streit¬
macht, als England jemals seit Marlboroughs Tagen im Felde hatte, eine
größere britische Streitmacht, als Wellington je befehligte; sie ist doppelt so
stark als das kleine Heer, welches wir 1834 nach der Krim schickten. England
schwebt jetzt nicht in Gefahr einer Invasion, wohl aber ist eine solche aus¬
führbar. Der größte Soldat, der je in der Welt lebte (Napoleon I.), ging mit
dem Plane um, und war es damals möglich, so ist es heutigen Tages noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/566>, abgerufen am 17.09.2024.