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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Woher beziehen wir unsern Lebensbedarf?

zogenen Lebensbedarf zu bezahlen haben, muß unsre Industrie (einschließlich
des Bergbaues) mit dem, was sie in das Ausland ausführt, decken. Die oben¬
genannten landwirtschaftlichen Industrie" tragen (nach den oben angegebenen
Zahlen) gegen 270 Millionen Mark dazu bei.

Trotzdem, daß wir gerade von unsern besten Nahrungsmitteln -- Rind,
Schaf und Butter -- einen erheblichen Teil dem Auslande (namentlich dem
reicheren England) zuführen, leben wir, daran ist nicht zu zweifeln, durch die
reichen Einfuhren in einem Wohlstande, welcher über den natürlichen Reichtum
unsers Landes weit hinausragt. Wir verdanken diesen Wohlstand unsrer
Jnoustrie, die in weitem Umfange die Länder mit reicheren Naturereignissen
sich tributbar gemacht hat. Sie vor allem hat auch bewirkt, daß sich in
Deutschland ein nicht unbedeutender Bestand an Kapital angesammelt hat, das
uns das Ausland schuldig ist und dessen Verzinsung mit dazu beiträgt, unser
Leben angenehm zu gestalten.

Dies alles hat unsre Industrie zu Wege gebracht durch ihre Überlegenheit,
also durch die geistige Kraft unsrer Unternehmer und durch den Fleiß und die
Geschicklichkeit unsrer Arbeiter. Wir dürfen uns dieser Überlegenheit von
Herzen freuen, und auch hoffen, daß uns die dadurch bewirkte reiche Ausfuhr
und der darau sich knüpfende größere Wohlstand dauernd erhalten bleibe. Aber
wir sollten doch nicht verkennen, daß diese Ausfuhrindustrie einen minder ge¬
sicherten Boden hat. Sie ist abhängig von den wechselnden Bedürfnissen des
Auslandes, von dem stets vorhandenen Wettbewerb andrer Industrieländer
und von dem Maß der Entwicklung der eignen Industrie derjenigen Länder,
wohin wir unsre Ausfuhr richten. Das Schwankende des Bodens unsrer
Ausfuhrindustrie ist uns in jüngster Zeit zum Bewußtsein gebracht worden durch
die Klagen wegen der sogenannten Überproduktion. Eine solche fand statt an
Jndustrieerzeugnissen, die darauf berechnet waren, daß das Ausland sie uns ab¬
nehmen werde, während sich in diesem aus Gründen mancherlei Art keine
Bereitwilligkeit dazu fand. Gelänge es uns, statt dessen an Weizen, Fleisch und
Wein noch einmal so viel als bisher auf unserm Boden zu erzeugen, so würde
über diese "Überproduktion" niemand zu klagen haben, denn es würden sich Mäuler
genug finden, welche diese guten Gaben mit Behagen zu verzehren bereit wären.

Je mehr wir uns bewußt bleiben, daß der hohe Wohlstand, in dem wir
gegenwärtig leben, zu wesentlichem Teile nicht seine volle Grundlage in dem
natürlichen Neichtume unsers Landes findet, sondern -- unbeschadet der Mit¬
wirkung unsers eignen Verdienstes -- durch zufällige Umstände herbeigeführt
und gleichsam uur ein künstlicher Bau ist, umsomehr werden wir diese Gunst des
Geschickes dankbar anerkennen, und umso vorsichtiger werden wir bemüht sein, uus
das, was wir haben, zu erhalten. Dazu gehört aber auch, daß wir die natür¬
lichen Grundlagen unsers Wohlstandes, der die starken Wurzeln seiner Kraft doch
schließlich im Grund und Boden hat, nicht verkümmern lassen oder gar zerstören.




Woher beziehen wir unsern Lebensbedarf?

zogenen Lebensbedarf zu bezahlen haben, muß unsre Industrie (einschließlich
des Bergbaues) mit dem, was sie in das Ausland ausführt, decken. Die oben¬
genannten landwirtschaftlichen Industrie» tragen (nach den oben angegebenen
Zahlen) gegen 270 Millionen Mark dazu bei.

Trotzdem, daß wir gerade von unsern besten Nahrungsmitteln — Rind,
Schaf und Butter — einen erheblichen Teil dem Auslande (namentlich dem
reicheren England) zuführen, leben wir, daran ist nicht zu zweifeln, durch die
reichen Einfuhren in einem Wohlstande, welcher über den natürlichen Reichtum
unsers Landes weit hinausragt. Wir verdanken diesen Wohlstand unsrer
Jnoustrie, die in weitem Umfange die Länder mit reicheren Naturereignissen
sich tributbar gemacht hat. Sie vor allem hat auch bewirkt, daß sich in
Deutschland ein nicht unbedeutender Bestand an Kapital angesammelt hat, das
uns das Ausland schuldig ist und dessen Verzinsung mit dazu beiträgt, unser
Leben angenehm zu gestalten.

Dies alles hat unsre Industrie zu Wege gebracht durch ihre Überlegenheit,
also durch die geistige Kraft unsrer Unternehmer und durch den Fleiß und die
Geschicklichkeit unsrer Arbeiter. Wir dürfen uns dieser Überlegenheit von
Herzen freuen, und auch hoffen, daß uns die dadurch bewirkte reiche Ausfuhr
und der darau sich knüpfende größere Wohlstand dauernd erhalten bleibe. Aber
wir sollten doch nicht verkennen, daß diese Ausfuhrindustrie einen minder ge¬
sicherten Boden hat. Sie ist abhängig von den wechselnden Bedürfnissen des
Auslandes, von dem stets vorhandenen Wettbewerb andrer Industrieländer
und von dem Maß der Entwicklung der eignen Industrie derjenigen Länder,
wohin wir unsre Ausfuhr richten. Das Schwankende des Bodens unsrer
Ausfuhrindustrie ist uns in jüngster Zeit zum Bewußtsein gebracht worden durch
die Klagen wegen der sogenannten Überproduktion. Eine solche fand statt an
Jndustrieerzeugnissen, die darauf berechnet waren, daß das Ausland sie uns ab¬
nehmen werde, während sich in diesem aus Gründen mancherlei Art keine
Bereitwilligkeit dazu fand. Gelänge es uns, statt dessen an Weizen, Fleisch und
Wein noch einmal so viel als bisher auf unserm Boden zu erzeugen, so würde
über diese „Überproduktion" niemand zu klagen haben, denn es würden sich Mäuler
genug finden, welche diese guten Gaben mit Behagen zu verzehren bereit wären.

Je mehr wir uns bewußt bleiben, daß der hohe Wohlstand, in dem wir
gegenwärtig leben, zu wesentlichem Teile nicht seine volle Grundlage in dem
natürlichen Neichtume unsers Landes findet, sondern — unbeschadet der Mit¬
wirkung unsers eignen Verdienstes — durch zufällige Umstände herbeigeführt
und gleichsam uur ein künstlicher Bau ist, umsomehr werden wir diese Gunst des
Geschickes dankbar anerkennen, und umso vorsichtiger werden wir bemüht sein, uus
das, was wir haben, zu erhalten. Dazu gehört aber auch, daß wir die natür¬
lichen Grundlagen unsers Wohlstandes, der die starken Wurzeln seiner Kraft doch
schließlich im Grund und Boden hat, nicht verkümmern lassen oder gar zerstören.




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[0522] Woher beziehen wir unsern Lebensbedarf? zogenen Lebensbedarf zu bezahlen haben, muß unsre Industrie (einschließlich des Bergbaues) mit dem, was sie in das Ausland ausführt, decken. Die oben¬ genannten landwirtschaftlichen Industrie» tragen (nach den oben angegebenen Zahlen) gegen 270 Millionen Mark dazu bei. Trotzdem, daß wir gerade von unsern besten Nahrungsmitteln — Rind, Schaf und Butter — einen erheblichen Teil dem Auslande (namentlich dem reicheren England) zuführen, leben wir, daran ist nicht zu zweifeln, durch die reichen Einfuhren in einem Wohlstande, welcher über den natürlichen Reichtum unsers Landes weit hinausragt. Wir verdanken diesen Wohlstand unsrer Jnoustrie, die in weitem Umfange die Länder mit reicheren Naturereignissen sich tributbar gemacht hat. Sie vor allem hat auch bewirkt, daß sich in Deutschland ein nicht unbedeutender Bestand an Kapital angesammelt hat, das uns das Ausland schuldig ist und dessen Verzinsung mit dazu beiträgt, unser Leben angenehm zu gestalten. Dies alles hat unsre Industrie zu Wege gebracht durch ihre Überlegenheit, also durch die geistige Kraft unsrer Unternehmer und durch den Fleiß und die Geschicklichkeit unsrer Arbeiter. Wir dürfen uns dieser Überlegenheit von Herzen freuen, und auch hoffen, daß uns die dadurch bewirkte reiche Ausfuhr und der darau sich knüpfende größere Wohlstand dauernd erhalten bleibe. Aber wir sollten doch nicht verkennen, daß diese Ausfuhrindustrie einen minder ge¬ sicherten Boden hat. Sie ist abhängig von den wechselnden Bedürfnissen des Auslandes, von dem stets vorhandenen Wettbewerb andrer Industrieländer und von dem Maß der Entwicklung der eignen Industrie derjenigen Länder, wohin wir unsre Ausfuhr richten. Das Schwankende des Bodens unsrer Ausfuhrindustrie ist uns in jüngster Zeit zum Bewußtsein gebracht worden durch die Klagen wegen der sogenannten Überproduktion. Eine solche fand statt an Jndustrieerzeugnissen, die darauf berechnet waren, daß das Ausland sie uns ab¬ nehmen werde, während sich in diesem aus Gründen mancherlei Art keine Bereitwilligkeit dazu fand. Gelänge es uns, statt dessen an Weizen, Fleisch und Wein noch einmal so viel als bisher auf unserm Boden zu erzeugen, so würde über diese „Überproduktion" niemand zu klagen haben, denn es würden sich Mäuler genug finden, welche diese guten Gaben mit Behagen zu verzehren bereit wären. Je mehr wir uns bewußt bleiben, daß der hohe Wohlstand, in dem wir gegenwärtig leben, zu wesentlichem Teile nicht seine volle Grundlage in dem natürlichen Neichtume unsers Landes findet, sondern — unbeschadet der Mit¬ wirkung unsers eignen Verdienstes — durch zufällige Umstände herbeigeführt und gleichsam uur ein künstlicher Bau ist, umsomehr werden wir diese Gunst des Geschickes dankbar anerkennen, und umso vorsichtiger werden wir bemüht sein, uus das, was wir haben, zu erhalten. Dazu gehört aber auch, daß wir die natür¬ lichen Grundlagen unsers Wohlstandes, der die starken Wurzeln seiner Kraft doch schließlich im Grund und Boden hat, nicht verkümmern lassen oder gar zerstören.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/522>, abgerufen am 17.09.2024.