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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Neues von Anzengruber.

es fort: das kapitalistische Manchestertnm ins Bäuerische übersetzt. Und weiter:
"Wer Sündhaftigkeit halber nit taugt im Ort, der muß weg von da. So soll'n
nur 's harte Brot in der Fremd' essen. Bringt s' dös zur Vernunft und so
woll'n wieder kämmen und gut thun, so is 's uns lieb und wir nehmen s' auf,
aber wer nit in Züchten und Ehren unter uns leben will, der muß fort, dazu
zwingen mer seine Leut, ob's sitzt Knecht und Magd angeht, oder leiblich Sohn
und Tochter trifft, denn wie g'schrieben steht: soll Oaner 's Ang', das 'n ärgert,
rausreiß'n und von sich werfen." . .. Man glaubt Mvnsignore Knab aus dem
niederösterreichischen Landtage zu hören, wie er gegen die Unterstützung der
ledigen Wöchnerinnen aus den Arbeiterkrankenkasseu seine Kapuziuaden losläßt.
Und "deutlich" wär's, daß dem Dichter diese Beziehungen nahe lagen. Jeden¬
falls ist die Figur des Eismer in ihrer merkwürdigen Vermischung voll Egois¬
mus und Frömmigkeit von außerordentlicher Lebenswahrheit.

Sogleich bietet sich dem schneidigen Bürgermeister die beste Gelegenheit,
seine Macht und sein Ansehen zu bekunden. Da lebt außerhalb des Dorfes,
aber zu ihm gehörig, in einer verborgenen Höhle des Gebirges ein seltsamer
Mensch. Der "Einsam" wird er im Volke genannt; wie er bürgerlich heißt,
wohin er zuständig ist, weiß niemand. Wohl aber ist bekannt, daß er wegen
eines Todschlages fünf Jahre im Zuchthause gewesen ist. Zur Arbeit mag ihn
niemand aufnehmen; nur wenn ihn der Hunger treibt, kommt er von seinem
Felsennest herab und erbettelt sich durch Worte oder Dienste soviel, als er
gerade zum Einkauf von Nahrung braucht. Oder vielmehr: er erzwingt sich
die Gaben, denn es geht das Gerücht, daß er jeden, den roten Hahn aufs
Dach setze, der ihm Unterstützung verweigert. Freilich ertappt hat ihn niemand
beim Brandlegen, und man muß ihn frei laufen lassen. Er kommt auch nie
in die Kirche; nur zuweilen, zufällig, verkehrt er in dunkler Nacht mit der Nichte
Eisners. An diesem, der ganzen Gemeinde unangenehmen Menschen will nun
der Bürgermeister ein Exempel statuiren und ihn zur Anerkennung der Obrigkeit
zwingen. Das erstemal trifft er ihn gerade, nachdem er im Wirtshausgarten
-- es ist ein Sonntagsmorgen -- sein Programm vor den Männern und
Buben entwickelt hat. Der menschenscheue Einsam läßt sich aber von dem
herrischen Eismer nicht einschüchtern. "Was kümmert mich enger Bürger¬
meister? Ob'n in meiner Felslncken kenn ich, wie koan Kirch, a koan G'moan
nit und was 's neu Regement angeht -- wann 's nur eng taugt, mir kann's
gleich sein, ob alt oder neu, ob der Ochs im Joch oder im Kümmel geht.
Nur gegen mich darf sich locus z'viel herausnehmen, 's könnt übel ausgeh'n;
hüt's eng, hüt' sich jeder, der 'n Einsam noch nicht kennt." Darob wird Eismer
wütend und stürzt auf den frechen Droher los. Der aber erteilt ihm, nachdem
er "vor Zorn entstellt und bebend mit heiserer Stimme" gerufen: "War viel¬
leicht besser für uns allzwei. es unterbleibet." Aber sie treffen sich doch, ge¬
rade nachdem Pauli dem Einsam die Vergangenheit ihres gehaßten Onkels


Neues von Anzengruber.

es fort: das kapitalistische Manchestertnm ins Bäuerische übersetzt. Und weiter:
„Wer Sündhaftigkeit halber nit taugt im Ort, der muß weg von da. So soll'n
nur 's harte Brot in der Fremd' essen. Bringt s' dös zur Vernunft und so
woll'n wieder kämmen und gut thun, so is 's uns lieb und wir nehmen s' auf,
aber wer nit in Züchten und Ehren unter uns leben will, der muß fort, dazu
zwingen mer seine Leut, ob's sitzt Knecht und Magd angeht, oder leiblich Sohn
und Tochter trifft, denn wie g'schrieben steht: soll Oaner 's Ang', das 'n ärgert,
rausreiß'n und von sich werfen." . .. Man glaubt Mvnsignore Knab aus dem
niederösterreichischen Landtage zu hören, wie er gegen die Unterstützung der
ledigen Wöchnerinnen aus den Arbeiterkrankenkasseu seine Kapuziuaden losläßt.
Und „deutlich" wär's, daß dem Dichter diese Beziehungen nahe lagen. Jeden¬
falls ist die Figur des Eismer in ihrer merkwürdigen Vermischung voll Egois¬
mus und Frömmigkeit von außerordentlicher Lebenswahrheit.

Sogleich bietet sich dem schneidigen Bürgermeister die beste Gelegenheit,
seine Macht und sein Ansehen zu bekunden. Da lebt außerhalb des Dorfes,
aber zu ihm gehörig, in einer verborgenen Höhle des Gebirges ein seltsamer
Mensch. Der „Einsam" wird er im Volke genannt; wie er bürgerlich heißt,
wohin er zuständig ist, weiß niemand. Wohl aber ist bekannt, daß er wegen
eines Todschlages fünf Jahre im Zuchthause gewesen ist. Zur Arbeit mag ihn
niemand aufnehmen; nur wenn ihn der Hunger treibt, kommt er von seinem
Felsennest herab und erbettelt sich durch Worte oder Dienste soviel, als er
gerade zum Einkauf von Nahrung braucht. Oder vielmehr: er erzwingt sich
die Gaben, denn es geht das Gerücht, daß er jeden, den roten Hahn aufs
Dach setze, der ihm Unterstützung verweigert. Freilich ertappt hat ihn niemand
beim Brandlegen, und man muß ihn frei laufen lassen. Er kommt auch nie
in die Kirche; nur zuweilen, zufällig, verkehrt er in dunkler Nacht mit der Nichte
Eisners. An diesem, der ganzen Gemeinde unangenehmen Menschen will nun
der Bürgermeister ein Exempel statuiren und ihn zur Anerkennung der Obrigkeit
zwingen. Das erstemal trifft er ihn gerade, nachdem er im Wirtshausgarten
— es ist ein Sonntagsmorgen — sein Programm vor den Männern und
Buben entwickelt hat. Der menschenscheue Einsam läßt sich aber von dem
herrischen Eismer nicht einschüchtern. „Was kümmert mich enger Bürger¬
meister? Ob'n in meiner Felslncken kenn ich, wie koan Kirch, a koan G'moan
nit und was 's neu Regement angeht — wann 's nur eng taugt, mir kann's
gleich sein, ob alt oder neu, ob der Ochs im Joch oder im Kümmel geht.
Nur gegen mich darf sich locus z'viel herausnehmen, 's könnt übel ausgeh'n;
hüt's eng, hüt' sich jeder, der 'n Einsam noch nicht kennt." Darob wird Eismer
wütend und stürzt auf den frechen Droher los. Der aber erteilt ihm, nachdem
er „vor Zorn entstellt und bebend mit heiserer Stimme" gerufen: „War viel¬
leicht besser für uns allzwei. es unterbleibet." Aber sie treffen sich doch, ge¬
rade nachdem Pauli dem Einsam die Vergangenheit ihres gehaßten Onkels


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/487>, abgerufen am 17.09.2024.