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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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In Prschibram errichtete der Verein, weil die dortige deutsche Volksschule
überfüllt war und die Stadt sich dem abzuhelfen weigerte, eine Unterrichts¬
anstalt für Mädchen, und überdies schuf er auch hier einen Kindergarten. Beide
Schöpfungen wurden von den Tschechen aufs ärgste befehdet. Man warf dem
Schulhause wiederholt die Fenster ein, beschmutzte seine Wände mit Unflat u^d
schlug die Besucherinnen, wenn sie nach der Schule oder von da nach Hause
gingen. Der Ortsschulrat aber hatte die Unverschämtheit, die Errichtung des
Kindergartens (im August 1882) als "Beleidigung der tschechischen Stadt" und
als "Attentat auf die Ehre und den guten Namen" derselben zu bezeichne". Eine
nicht minder grelle Beleuchtung der heutigen Zustände liefert die Geschichte der
Schule und des Kindergartens, die der Verein den Deutschen in Königgrätz
schenkte. Die Zahl der letztern beträgt 761. die Garniso" ist 2000 Mann
stark, zudem liegt die Stadt an einem Knotenpunkte von Eisenbahnen. Sowohl
für die Offiziere als für die Bahnbeamten, die oft ihren Wohnort wechseln
müssen, ist der Unterricht ihrer Kinder in der einzigen im ganzen Reiche ver¬
ständlichen deutschen Sprache dringendes Bedürfnis. Trotzdem besaß die Stadt
bis vor kurzem keine öffentliche deutsche Schule, und als der Verein an die
Gründung einer solchen ging, unterstützte ihn zwar das Kriegsministerium,
indem es die Räumlichkeiten dazu hergab, die Gemeinde aber, die gesetzlich schon
längst verpflichtet war, eine solche Anstalt auf ihre Kohle" ins Leben zu rufen,
legte der Sache alle nur erdenklichen Schwierigkeiten in den Weg. Wie hier,
so steht auch sonst in vorwiegend tschechischen Orte" der deutschen Minderheit
keine Schule mit ihrer Sprache offen, wenigstens keine öffentliche. So z. B.
vermitteln außer der Leitcnbergerschen Fabrikschule in Josefsthal und der vier-
klnssigen Schule, welche die Nordwestlich" in Nienburg unterhält, auf dem ganzen
weiten Raume, den die Elbe von Josefstadt bis Metrik einschließt, nur eine
Anzahl jüdischer Kultusschulcn deu Unterricht in der deutschen Sprache, und
die hier wohnende" Deutschen sahen sich, wenn sie ihre Kinder nicht dem Tschechen-
tum verfallen lassen wollten, gezwungen, sie in diese Anstalten zu schicken, die
ihnen, wie anzuerkennen ist, gern geöffnet wurden. Den Juden aber fiel die
Erhaltung ihrer Schulen in den letzten Jahren aus verschiednen Gründen
schwerer als früher, eines ließen die Tschechen kein Mittel der Überredung und
Drob"ng unversucht, um sie zur Schließung derselben und zur Benutzung der
tschechischen zu bewegen, und so sah sich der deutsche Schulverein veranlaßt,
hier helfend einzutreten. Er hat seitdem die Kultusschulen in Gitschin, Neu-
bidschow, Neubeuatek, Schlau, Oberrotschow und Lusche mit Geldbeiträgen sowie
die von Cittow, Königssaal, Prschitz, Amschclberg und Drschewikau teils mit
Lehrmitteln, teils mit Bibliotheken bedacht. Nicht vergessen blieben die seit
einem Jahrhundert bei Pardnbitz ansässigen deutschen Ackerbankolonistcn. deren
Gemeinden zwar großenteils vom Tschechentnme verschlungen worden sind. aber,
abgesehen von den deutschgebliebeueu Dörfern Wcska und Schndorf und den


In Prschibram errichtete der Verein, weil die dortige deutsche Volksschule
überfüllt war und die Stadt sich dem abzuhelfen weigerte, eine Unterrichts¬
anstalt für Mädchen, und überdies schuf er auch hier einen Kindergarten. Beide
Schöpfungen wurden von den Tschechen aufs ärgste befehdet. Man warf dem
Schulhause wiederholt die Fenster ein, beschmutzte seine Wände mit Unflat u^d
schlug die Besucherinnen, wenn sie nach der Schule oder von da nach Hause
gingen. Der Ortsschulrat aber hatte die Unverschämtheit, die Errichtung des
Kindergartens (im August 1882) als „Beleidigung der tschechischen Stadt" und
als „Attentat auf die Ehre und den guten Namen" derselben zu bezeichne». Eine
nicht minder grelle Beleuchtung der heutigen Zustände liefert die Geschichte der
Schule und des Kindergartens, die der Verein den Deutschen in Königgrätz
schenkte. Die Zahl der letztern beträgt 761. die Garniso» ist 2000 Mann
stark, zudem liegt die Stadt an einem Knotenpunkte von Eisenbahnen. Sowohl
für die Offiziere als für die Bahnbeamten, die oft ihren Wohnort wechseln
müssen, ist der Unterricht ihrer Kinder in der einzigen im ganzen Reiche ver¬
ständlichen deutschen Sprache dringendes Bedürfnis. Trotzdem besaß die Stadt
bis vor kurzem keine öffentliche deutsche Schule, und als der Verein an die
Gründung einer solchen ging, unterstützte ihn zwar das Kriegsministerium,
indem es die Räumlichkeiten dazu hergab, die Gemeinde aber, die gesetzlich schon
längst verpflichtet war, eine solche Anstalt auf ihre Kohle» ins Leben zu rufen,
legte der Sache alle nur erdenklichen Schwierigkeiten in den Weg. Wie hier,
so steht auch sonst in vorwiegend tschechischen Orte» der deutschen Minderheit
keine Schule mit ihrer Sprache offen, wenigstens keine öffentliche. So z. B.
vermitteln außer der Leitcnbergerschen Fabrikschule in Josefsthal und der vier-
klnssigen Schule, welche die Nordwestlich» in Nienburg unterhält, auf dem ganzen
weiten Raume, den die Elbe von Josefstadt bis Metrik einschließt, nur eine
Anzahl jüdischer Kultusschulcn deu Unterricht in der deutschen Sprache, und
die hier wohnende» Deutschen sahen sich, wenn sie ihre Kinder nicht dem Tschechen-
tum verfallen lassen wollten, gezwungen, sie in diese Anstalten zu schicken, die
ihnen, wie anzuerkennen ist, gern geöffnet wurden. Den Juden aber fiel die
Erhaltung ihrer Schulen in den letzten Jahren aus verschiednen Gründen
schwerer als früher, eines ließen die Tschechen kein Mittel der Überredung und
Drob»ng unversucht, um sie zur Schließung derselben und zur Benutzung der
tschechischen zu bewegen, und so sah sich der deutsche Schulverein veranlaßt,
hier helfend einzutreten. Er hat seitdem die Kultusschulen in Gitschin, Neu-
bidschow, Neubeuatek, Schlau, Oberrotschow und Lusche mit Geldbeiträgen sowie
die von Cittow, Königssaal, Prschitz, Amschclberg und Drschewikau teils mit
Lehrmitteln, teils mit Bibliotheken bedacht. Nicht vergessen blieben die seit
einem Jahrhundert bei Pardnbitz ansässigen deutschen Ackerbankolonistcn. deren
Gemeinden zwar großenteils vom Tschechentnme verschlungen worden sind. aber,
abgesehen von den deutschgebliebeueu Dörfern Wcska und Schndorf und den


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[0467] In Prschibram errichtete der Verein, weil die dortige deutsche Volksschule überfüllt war und die Stadt sich dem abzuhelfen weigerte, eine Unterrichts¬ anstalt für Mädchen, und überdies schuf er auch hier einen Kindergarten. Beide Schöpfungen wurden von den Tschechen aufs ärgste befehdet. Man warf dem Schulhause wiederholt die Fenster ein, beschmutzte seine Wände mit Unflat u^d schlug die Besucherinnen, wenn sie nach der Schule oder von da nach Hause gingen. Der Ortsschulrat aber hatte die Unverschämtheit, die Errichtung des Kindergartens (im August 1882) als „Beleidigung der tschechischen Stadt" und als „Attentat auf die Ehre und den guten Namen" derselben zu bezeichne». Eine nicht minder grelle Beleuchtung der heutigen Zustände liefert die Geschichte der Schule und des Kindergartens, die der Verein den Deutschen in Königgrätz schenkte. Die Zahl der letztern beträgt 761. die Garniso» ist 2000 Mann stark, zudem liegt die Stadt an einem Knotenpunkte von Eisenbahnen. Sowohl für die Offiziere als für die Bahnbeamten, die oft ihren Wohnort wechseln müssen, ist der Unterricht ihrer Kinder in der einzigen im ganzen Reiche ver¬ ständlichen deutschen Sprache dringendes Bedürfnis. Trotzdem besaß die Stadt bis vor kurzem keine öffentliche deutsche Schule, und als der Verein an die Gründung einer solchen ging, unterstützte ihn zwar das Kriegsministerium, indem es die Räumlichkeiten dazu hergab, die Gemeinde aber, die gesetzlich schon längst verpflichtet war, eine solche Anstalt auf ihre Kohle» ins Leben zu rufen, legte der Sache alle nur erdenklichen Schwierigkeiten in den Weg. Wie hier, so steht auch sonst in vorwiegend tschechischen Orte» der deutschen Minderheit keine Schule mit ihrer Sprache offen, wenigstens keine öffentliche. So z. B. vermitteln außer der Leitcnbergerschen Fabrikschule in Josefsthal und der vier- klnssigen Schule, welche die Nordwestlich» in Nienburg unterhält, auf dem ganzen weiten Raume, den die Elbe von Josefstadt bis Metrik einschließt, nur eine Anzahl jüdischer Kultusschulcn deu Unterricht in der deutschen Sprache, und die hier wohnende» Deutschen sahen sich, wenn sie ihre Kinder nicht dem Tschechen- tum verfallen lassen wollten, gezwungen, sie in diese Anstalten zu schicken, die ihnen, wie anzuerkennen ist, gern geöffnet wurden. Den Juden aber fiel die Erhaltung ihrer Schulen in den letzten Jahren aus verschiednen Gründen schwerer als früher, eines ließen die Tschechen kein Mittel der Überredung und Drob»ng unversucht, um sie zur Schließung derselben und zur Benutzung der tschechischen zu bewegen, und so sah sich der deutsche Schulverein veranlaßt, hier helfend einzutreten. Er hat seitdem die Kultusschulen in Gitschin, Neu- bidschow, Neubeuatek, Schlau, Oberrotschow und Lusche mit Geldbeiträgen sowie die von Cittow, Königssaal, Prschitz, Amschclberg und Drschewikau teils mit Lehrmitteln, teils mit Bibliotheken bedacht. Nicht vergessen blieben die seit einem Jahrhundert bei Pardnbitz ansässigen deutschen Ackerbankolonistcn. deren Gemeinden zwar großenteils vom Tschechentnme verschlungen worden sind. aber, abgesehen von den deutschgebliebeueu Dörfern Wcska und Schndorf und den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/467>, abgerufen am 17.09.2024.