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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

noch etwa 90 000 Deutsche, ja es ist Grund vorhanden, anzunehmen, daß die
letzte Volkszählung, welche diese Zahl herausrechnete, damit zu wenig ange¬
geben hat.

Die größte deutsche Minderheit weist Prag auf. fast 33 000 Seelen, etwa
ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der Stadt. Vor dreißig Jahren betrug sie
fast die Hälfte, und ihr Einfluß auf die Verwaltung der Gemeinde war ein
überwiegender. Ihre Steuerkraft stellte sich noch 1867 zu derjenigen der
tschechischen Einwohnerschaft wie 100 zu 150. Eine" so wichtigen Teil der
Bevölkerung hat tschechischer Terrorismus und tschechische Rechtsübung genötigt,
sich 1866 und 1870 teilweise und 1883 ganz der Wahl zu enthalten, und als
damit 1885 gebrochen wurde, gelang es dem deutschen Bürgertum doch nicht,
Vertretung in der Gemeindestube zu gewinnen. Es hat somit das Recht der
Selbstbestimmung in alleu wichtigen Angelegenheiten, die im Bereiche der städ¬
tischen Selbstverwaltung liegen, namentlich auch in Bezug auf das Schulwesen,
verloren. Die Sorge für dasselbe ist Ausgabe eines tschechische" Gemeinde¬
rates, der die Unterrichtsanstalten seiner Nationalität in jeder Beziehung be¬
günstigt und die der andern nach Möglichkeit vernachlässigt. Vielfach müssen die
Deutschen die Ausbildung ihrer Kinder selbst bezahlen, obwohl sie ganz in dem¬
selben Maße wie die Tschechen, die das nicht nötig haben, zur Erhaltung der öffent¬
lichen Schulen beizutragen verpflichtet sind. Der Überfüllung ihrer Unterrichts-
anstalten ist seit 1873 nirgends abgeholfen worden, während der in den Tschechen-
schulcn zum großen Teil gesteuert worden ist. hier also gründlicher gelehrt und
gelernt werden kann. Dazu kommt die bessere Ausstattung der letzter" mit
Lehrmitteln, von denen immer auf zwei deutsche Kinder eins und auf ein
tschechisches Kind zwei kommen, also viermal so viel als auf ein deutsches.
Ähnlich verhält es sich mit den Schulbiblivtheken. Kurz, es ist unbestreitbar,
daß in Prag und dessen Vororten von den leitenden Körperschaften weit
besser für den tschechischen als für den deutschen Unterricht gesorgt wird. Be¬
stätigt wird dies dadurch, daß die Gemeinde nach Professor Brodas Zusammen¬
stellung in den Jahren 1881 bis 1884 für ihre tschechischen Schulen 1990000.
für die deutschen nur 311000 Gulden aufgewendet hat. Durch dieses parteiische
Verfahren haben die Tschechen ihr Ziel auch zum Teil erreicht: der Besuch der
deutschen Schulen hat abgenommen, und zwar in zwei Jahren um 704 Schüler,
wogegen die tschechischen in demselben Zeitraume einen Zuwachs von 816 Schülern
hatten. So sahen sich die Deutschen in Prag gezwungen, mit Privatmitteln
eine Reihe von Einrichtungen zu treffen, wie sie für ihre nationalen Gegner
mit Gemeindemitteln durchgeführt werden. Deutsche Vereine schufen in der
Stadt eine Freischule und drei Kindergärten und in den Vororten Karolinen¬
thal und Schischkow ebenfalls mehrere Anstalten der letztern Art. Die Opfer
aber, die dies erheischt, sind zu bedeutend, als daß sie von den Prager Deutschen
allein auf die Dauer gebracht werden könnten. Und doch kann kein Opfer zu


Grenzboten II. 18Ü7. ^
Deutsch-böhmische Briefe.

noch etwa 90 000 Deutsche, ja es ist Grund vorhanden, anzunehmen, daß die
letzte Volkszählung, welche diese Zahl herausrechnete, damit zu wenig ange¬
geben hat.

Die größte deutsche Minderheit weist Prag auf. fast 33 000 Seelen, etwa
ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der Stadt. Vor dreißig Jahren betrug sie
fast die Hälfte, und ihr Einfluß auf die Verwaltung der Gemeinde war ein
überwiegender. Ihre Steuerkraft stellte sich noch 1867 zu derjenigen der
tschechischen Einwohnerschaft wie 100 zu 150. Eine» so wichtigen Teil der
Bevölkerung hat tschechischer Terrorismus und tschechische Rechtsübung genötigt,
sich 1866 und 1870 teilweise und 1883 ganz der Wahl zu enthalten, und als
damit 1885 gebrochen wurde, gelang es dem deutschen Bürgertum doch nicht,
Vertretung in der Gemeindestube zu gewinnen. Es hat somit das Recht der
Selbstbestimmung in alleu wichtigen Angelegenheiten, die im Bereiche der städ¬
tischen Selbstverwaltung liegen, namentlich auch in Bezug auf das Schulwesen,
verloren. Die Sorge für dasselbe ist Ausgabe eines tschechische» Gemeinde¬
rates, der die Unterrichtsanstalten seiner Nationalität in jeder Beziehung be¬
günstigt und die der andern nach Möglichkeit vernachlässigt. Vielfach müssen die
Deutschen die Ausbildung ihrer Kinder selbst bezahlen, obwohl sie ganz in dem¬
selben Maße wie die Tschechen, die das nicht nötig haben, zur Erhaltung der öffent¬
lichen Schulen beizutragen verpflichtet sind. Der Überfüllung ihrer Unterrichts-
anstalten ist seit 1873 nirgends abgeholfen worden, während der in den Tschechen-
schulcn zum großen Teil gesteuert worden ist. hier also gründlicher gelehrt und
gelernt werden kann. Dazu kommt die bessere Ausstattung der letzter« mit
Lehrmitteln, von denen immer auf zwei deutsche Kinder eins und auf ein
tschechisches Kind zwei kommen, also viermal so viel als auf ein deutsches.
Ähnlich verhält es sich mit den Schulbiblivtheken. Kurz, es ist unbestreitbar,
daß in Prag und dessen Vororten von den leitenden Körperschaften weit
besser für den tschechischen als für den deutschen Unterricht gesorgt wird. Be¬
stätigt wird dies dadurch, daß die Gemeinde nach Professor Brodas Zusammen¬
stellung in den Jahren 1881 bis 1884 für ihre tschechischen Schulen 1990000.
für die deutschen nur 311000 Gulden aufgewendet hat. Durch dieses parteiische
Verfahren haben die Tschechen ihr Ziel auch zum Teil erreicht: der Besuch der
deutschen Schulen hat abgenommen, und zwar in zwei Jahren um 704 Schüler,
wogegen die tschechischen in demselben Zeitraume einen Zuwachs von 816 Schülern
hatten. So sahen sich die Deutschen in Prag gezwungen, mit Privatmitteln
eine Reihe von Einrichtungen zu treffen, wie sie für ihre nationalen Gegner
mit Gemeindemitteln durchgeführt werden. Deutsche Vereine schufen in der
Stadt eine Freischule und drei Kindergärten und in den Vororten Karolinen¬
thal und Schischkow ebenfalls mehrere Anstalten der letztern Art. Die Opfer
aber, die dies erheischt, sind zu bedeutend, als daß sie von den Prager Deutschen
allein auf die Dauer gebracht werden könnten. Und doch kann kein Opfer zu


Grenzboten II. 18Ü7. ^
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[0465] Deutsch-böhmische Briefe. noch etwa 90 000 Deutsche, ja es ist Grund vorhanden, anzunehmen, daß die letzte Volkszählung, welche diese Zahl herausrechnete, damit zu wenig ange¬ geben hat. Die größte deutsche Minderheit weist Prag auf. fast 33 000 Seelen, etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der Stadt. Vor dreißig Jahren betrug sie fast die Hälfte, und ihr Einfluß auf die Verwaltung der Gemeinde war ein überwiegender. Ihre Steuerkraft stellte sich noch 1867 zu derjenigen der tschechischen Einwohnerschaft wie 100 zu 150. Eine» so wichtigen Teil der Bevölkerung hat tschechischer Terrorismus und tschechische Rechtsübung genötigt, sich 1866 und 1870 teilweise und 1883 ganz der Wahl zu enthalten, und als damit 1885 gebrochen wurde, gelang es dem deutschen Bürgertum doch nicht, Vertretung in der Gemeindestube zu gewinnen. Es hat somit das Recht der Selbstbestimmung in alleu wichtigen Angelegenheiten, die im Bereiche der städ¬ tischen Selbstverwaltung liegen, namentlich auch in Bezug auf das Schulwesen, verloren. Die Sorge für dasselbe ist Ausgabe eines tschechische» Gemeinde¬ rates, der die Unterrichtsanstalten seiner Nationalität in jeder Beziehung be¬ günstigt und die der andern nach Möglichkeit vernachlässigt. Vielfach müssen die Deutschen die Ausbildung ihrer Kinder selbst bezahlen, obwohl sie ganz in dem¬ selben Maße wie die Tschechen, die das nicht nötig haben, zur Erhaltung der öffent¬ lichen Schulen beizutragen verpflichtet sind. Der Überfüllung ihrer Unterrichts- anstalten ist seit 1873 nirgends abgeholfen worden, während der in den Tschechen- schulcn zum großen Teil gesteuert worden ist. hier also gründlicher gelehrt und gelernt werden kann. Dazu kommt die bessere Ausstattung der letzter« mit Lehrmitteln, von denen immer auf zwei deutsche Kinder eins und auf ein tschechisches Kind zwei kommen, also viermal so viel als auf ein deutsches. Ähnlich verhält es sich mit den Schulbiblivtheken. Kurz, es ist unbestreitbar, daß in Prag und dessen Vororten von den leitenden Körperschaften weit besser für den tschechischen als für den deutschen Unterricht gesorgt wird. Be¬ stätigt wird dies dadurch, daß die Gemeinde nach Professor Brodas Zusammen¬ stellung in den Jahren 1881 bis 1884 für ihre tschechischen Schulen 1990000. für die deutschen nur 311000 Gulden aufgewendet hat. Durch dieses parteiische Verfahren haben die Tschechen ihr Ziel auch zum Teil erreicht: der Besuch der deutschen Schulen hat abgenommen, und zwar in zwei Jahren um 704 Schüler, wogegen die tschechischen in demselben Zeitraume einen Zuwachs von 816 Schülern hatten. So sahen sich die Deutschen in Prag gezwungen, mit Privatmitteln eine Reihe von Einrichtungen zu treffen, wie sie für ihre nationalen Gegner mit Gemeindemitteln durchgeführt werden. Deutsche Vereine schufen in der Stadt eine Freischule und drei Kindergärten und in den Vororten Karolinen¬ thal und Schischkow ebenfalls mehrere Anstalten der letztern Art. Die Opfer aber, die dies erheischt, sind zu bedeutend, als daß sie von den Prager Deutschen allein auf die Dauer gebracht werden könnten. Und doch kann kein Opfer zu Grenzboten II. 18Ü7. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/465>, abgerufen am 17.09.2024.