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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Der Friede mit Rom.

ähnlichen Organisation gestärkt werden würde. Diese Auffassung ist vom
Reichskanzler im Abgeordnetenhause mit einem einzigen Schlagworte zutreffend
zurückgewiesen worden: "Die evangelische Kirche hat ihre Grundlage in der
Gemeinde." In der That, will man das Wesen evangelischer Freiheit zerstören,
so ist das der beste Weg, daß man katholische Hierarchie an Stelle der Ge¬
meinde setze. Freilich wie dies geschehen soll, ist den Antragstellern selbst nicht
klar; die Verhandlungen in der Herrcnhauskommission über die Anträge Klcist-
Hammerstein lassen zur Genüge erkennen, daß man noch nicht weiß, wie eigentlich
die künftige Gestaltung der evangelischen Kirche beschaffen sein soll. Man will
nur zunächst jeden Zusammenhang mit den staatlichen Gewalten aufgeben und,
erst wenn die Trennung erfolgt ist, an einen Aufbau gehen, zu dem noch kein
eigentlicher Plan vorliegt, sondern einige mystische Gedanken vorschweben. Dabei
übersieht man, daß die Verfassung für die evangelische Kirche etwas Neben¬
sächliches und Äußerliches ist und daß man durch ein hierarchisches Regiment
nur etwas Äußerliches aufbaut, mit dem das innere Wesen des Protestantis¬
mus nichts zu thun hat. Man will versuchen, äußerlich ein kirchliches Leben
zu erzwingen, und würde doch nichts andres erreichen, als was die lutherische
Kirche in Norwegen und Schweden erreicht hat: ein Häuflein Zeloten, dem gegen¬
über die Masse gleichgiltig wird und die Gebildeten atheistisch werden. In der
That liegt sür den Protestantismus eine große Gefahr in der stets wachsenden
katholischen Propaganda, allein dieser Gefahr läßt sich nicht durch eine äußere
Verfassung begegnen, hier muß mit den geistigen Waffen aus dem innern Wesen
des Evangeliums gekämpft werden. Das zu verstehen ist Sache der Geistlich¬
keit, das zu unterstützen Sache und Pflicht von Erziehung und Familie. Daß
dieses Verständnis leider sehr vielfach fehlt und daß diese Pflicht sehr vernach¬
lässigt wird, wer wollte dies leugnen! Aber diese innern Mängel werden durch
ein hierarchisches Regiment höchstens überkleistert, niemals verbessert werden-

Was uns not thut, ist jetzt ein Leben in Frieden zu führen. Der Friede
im Innern ist durch das Gesetz vom 29. April erreicht, und Pflicht aller staats¬
erhaltenden Elemente ist es, den Genuß desselben nicht zu stören, sondern zu
fördern. Für unsre katholische Bevölkerung gilt es, den Glauben zu befestigen,
daß ihr in der Ausübung ihres Bekenntnisses kein Zwang angethan ist, daß
sie in der vollen von Rom anerkannten Freiheit ihre kirchlichen Bedürfnisse er¬
füllen kann. Der Staat wie die katholische Kirche werden gleichmäßig aus
diesem Zustande des Friedens Gewinn ziehen, denn der Kampf hat nicht bloß
Unbotmäßigkeit gegen die weltliche, sondern anch gegen die geistliche Obrigkeit
gezeitigt, einen Ungehorsam, welcher in der katholischen Kirche deren Wesen er¬
faßt. Für den Staat wird sich der Vorteil ergeben, daß die unnatürliche Ver¬
quickung der kirchlichen und weltlichen Politik aufhört, daß auf beiden Gebieten
nicht uach politischen, sondern nach sachlichen Gründen gehandelt wird. Ob dieses
Ziel schnell erreicht werden wird, das vermag niemand im voraus zu beurteilen.


Der Friede mit Rom.

ähnlichen Organisation gestärkt werden würde. Diese Auffassung ist vom
Reichskanzler im Abgeordnetenhause mit einem einzigen Schlagworte zutreffend
zurückgewiesen worden: „Die evangelische Kirche hat ihre Grundlage in der
Gemeinde." In der That, will man das Wesen evangelischer Freiheit zerstören,
so ist das der beste Weg, daß man katholische Hierarchie an Stelle der Ge¬
meinde setze. Freilich wie dies geschehen soll, ist den Antragstellern selbst nicht
klar; die Verhandlungen in der Herrcnhauskommission über die Anträge Klcist-
Hammerstein lassen zur Genüge erkennen, daß man noch nicht weiß, wie eigentlich
die künftige Gestaltung der evangelischen Kirche beschaffen sein soll. Man will
nur zunächst jeden Zusammenhang mit den staatlichen Gewalten aufgeben und,
erst wenn die Trennung erfolgt ist, an einen Aufbau gehen, zu dem noch kein
eigentlicher Plan vorliegt, sondern einige mystische Gedanken vorschweben. Dabei
übersieht man, daß die Verfassung für die evangelische Kirche etwas Neben¬
sächliches und Äußerliches ist und daß man durch ein hierarchisches Regiment
nur etwas Äußerliches aufbaut, mit dem das innere Wesen des Protestantis¬
mus nichts zu thun hat. Man will versuchen, äußerlich ein kirchliches Leben
zu erzwingen, und würde doch nichts andres erreichen, als was die lutherische
Kirche in Norwegen und Schweden erreicht hat: ein Häuflein Zeloten, dem gegen¬
über die Masse gleichgiltig wird und die Gebildeten atheistisch werden. In der
That liegt sür den Protestantismus eine große Gefahr in der stets wachsenden
katholischen Propaganda, allein dieser Gefahr läßt sich nicht durch eine äußere
Verfassung begegnen, hier muß mit den geistigen Waffen aus dem innern Wesen
des Evangeliums gekämpft werden. Das zu verstehen ist Sache der Geistlich¬
keit, das zu unterstützen Sache und Pflicht von Erziehung und Familie. Daß
dieses Verständnis leider sehr vielfach fehlt und daß diese Pflicht sehr vernach¬
lässigt wird, wer wollte dies leugnen! Aber diese innern Mängel werden durch
ein hierarchisches Regiment höchstens überkleistert, niemals verbessert werden-

Was uns not thut, ist jetzt ein Leben in Frieden zu führen. Der Friede
im Innern ist durch das Gesetz vom 29. April erreicht, und Pflicht aller staats¬
erhaltenden Elemente ist es, den Genuß desselben nicht zu stören, sondern zu
fördern. Für unsre katholische Bevölkerung gilt es, den Glauben zu befestigen,
daß ihr in der Ausübung ihres Bekenntnisses kein Zwang angethan ist, daß
sie in der vollen von Rom anerkannten Freiheit ihre kirchlichen Bedürfnisse er¬
füllen kann. Der Staat wie die katholische Kirche werden gleichmäßig aus
diesem Zustande des Friedens Gewinn ziehen, denn der Kampf hat nicht bloß
Unbotmäßigkeit gegen die weltliche, sondern anch gegen die geistliche Obrigkeit
gezeitigt, einen Ungehorsam, welcher in der katholischen Kirche deren Wesen er¬
faßt. Für den Staat wird sich der Vorteil ergeben, daß die unnatürliche Ver¬
quickung der kirchlichen und weltlichen Politik aufhört, daß auf beiden Gebieten
nicht uach politischen, sondern nach sachlichen Gründen gehandelt wird. Ob dieses
Ziel schnell erreicht werden wird, das vermag niemand im voraus zu beurteilen.


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[0416] Der Friede mit Rom. ähnlichen Organisation gestärkt werden würde. Diese Auffassung ist vom Reichskanzler im Abgeordnetenhause mit einem einzigen Schlagworte zutreffend zurückgewiesen worden: „Die evangelische Kirche hat ihre Grundlage in der Gemeinde." In der That, will man das Wesen evangelischer Freiheit zerstören, so ist das der beste Weg, daß man katholische Hierarchie an Stelle der Ge¬ meinde setze. Freilich wie dies geschehen soll, ist den Antragstellern selbst nicht klar; die Verhandlungen in der Herrcnhauskommission über die Anträge Klcist- Hammerstein lassen zur Genüge erkennen, daß man noch nicht weiß, wie eigentlich die künftige Gestaltung der evangelischen Kirche beschaffen sein soll. Man will nur zunächst jeden Zusammenhang mit den staatlichen Gewalten aufgeben und, erst wenn die Trennung erfolgt ist, an einen Aufbau gehen, zu dem noch kein eigentlicher Plan vorliegt, sondern einige mystische Gedanken vorschweben. Dabei übersieht man, daß die Verfassung für die evangelische Kirche etwas Neben¬ sächliches und Äußerliches ist und daß man durch ein hierarchisches Regiment nur etwas Äußerliches aufbaut, mit dem das innere Wesen des Protestantis¬ mus nichts zu thun hat. Man will versuchen, äußerlich ein kirchliches Leben zu erzwingen, und würde doch nichts andres erreichen, als was die lutherische Kirche in Norwegen und Schweden erreicht hat: ein Häuflein Zeloten, dem gegen¬ über die Masse gleichgiltig wird und die Gebildeten atheistisch werden. In der That liegt sür den Protestantismus eine große Gefahr in der stets wachsenden katholischen Propaganda, allein dieser Gefahr läßt sich nicht durch eine äußere Verfassung begegnen, hier muß mit den geistigen Waffen aus dem innern Wesen des Evangeliums gekämpft werden. Das zu verstehen ist Sache der Geistlich¬ keit, das zu unterstützen Sache und Pflicht von Erziehung und Familie. Daß dieses Verständnis leider sehr vielfach fehlt und daß diese Pflicht sehr vernach¬ lässigt wird, wer wollte dies leugnen! Aber diese innern Mängel werden durch ein hierarchisches Regiment höchstens überkleistert, niemals verbessert werden- Was uns not thut, ist jetzt ein Leben in Frieden zu führen. Der Friede im Innern ist durch das Gesetz vom 29. April erreicht, und Pflicht aller staats¬ erhaltenden Elemente ist es, den Genuß desselben nicht zu stören, sondern zu fördern. Für unsre katholische Bevölkerung gilt es, den Glauben zu befestigen, daß ihr in der Ausübung ihres Bekenntnisses kein Zwang angethan ist, daß sie in der vollen von Rom anerkannten Freiheit ihre kirchlichen Bedürfnisse er¬ füllen kann. Der Staat wie die katholische Kirche werden gleichmäßig aus diesem Zustande des Friedens Gewinn ziehen, denn der Kampf hat nicht bloß Unbotmäßigkeit gegen die weltliche, sondern anch gegen die geistliche Obrigkeit gezeitigt, einen Ungehorsam, welcher in der katholischen Kirche deren Wesen er¬ faßt. Für den Staat wird sich der Vorteil ergeben, daß die unnatürliche Ver¬ quickung der kirchlichen und weltlichen Politik aufhört, daß auf beiden Gebieten nicht uach politischen, sondern nach sachlichen Gründen gehandelt wird. Ob dieses Ziel schnell erreicht werden wird, das vermag niemand im voraus zu beurteilen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/416>, abgerufen am 17.09.2024.