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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Österreich im Frühjahre ^3H9>

sprechung der Denkwürdigkeiten Beusts in diesen Blättern hervorgehoben wurde,
macht dieser gewissermaßen den König von Preußen für den Maiaufstand ver¬
antwortlich, weil er den König von Sachsen bestimmt habe, die Reichsver-
fassung nicht anzuerkennen, daher er auch verpflichtet gewesen sei, den Aufstand
zu unterdrücken. Diese Darstellung erfährt eine angemessene Beleuchtung durch
einen von Heisere gegebenen Auszug aus einem österreichischen Gesandtschafts¬
berichte. Graf Kuefstein schreibt nämlich am 6. März 1849 -- man beachte
das Datum! --, der Minister Beust habe ihm den Wunsch ausgesprochen "daß
es der kaiserlichen Regierung möglich sein möchte, auch ihrerseits Truppen an
die Grenze rücken zu lassen, um auf Anrufen wenigstens die nächsten an Böhmen
stoßenden Landesteile zu besetzen." Es sollte das, fährt Heisere fort, zugleich
ein Gegengewicht gegen die Preußen sein, von denen mau in Dresden fürch¬
tete, daß, wenn sie einmal im Lande wären, sie "über den Zweck und die
Zeit hinaus" dableiben möchten. Woher die köstliche Nachricht stammt, die
prenßischgesinnten Mitglieder des Frankfurter Parlaments hätten ihren Kollegen
aus Osterreich gesagt: "Grant euch nicht, jute Freunde; wenn ihr jetzt jehen
müßt, wir werden euch doch wieder kriegen," hat der sonst in der Angabe der
Quellen so gewissenhafte Verfasser nicht verraten. Übrigens ist er nnparteisch
genug, die vernichtende Kritik, welche Palacky um dieselbe Zeit, wo ein Polizei-
komnnsscir in Olmütz den Buchhändlern auftrug, die deutschen Grundrechte "an
niemand aus den untern Volksklassen zu verkaufen," an der Schwarzenbergschen
Politik übte, auszugsweise mitzuteilen. Der Tschechenführer sagte am 23. Fe¬
bruar: Die von jeher dunkle Frage, wie sich Österreich an Deutschland "innig
anschließen" solle, habe durch die Note vom 4. (in welcher Österreich erklärte,
sich einem Reichsvberhaupte 'nicht unterordnen zu wollen) an Klarheit nicht
gewonnen; nur soviel scheine daraus deutlich hervorzugehen, daß Österreich
eine deutsche Macht sein und zugleich nicht sein wolle. Der Grundsatz der
nationalen Gleichberechtigung auf der einen und der Gedanke eines national¬
deutschen Reiches auf der andern Seite, wie sollten sie nebeneinander zur Aus¬
führung gebracht werden? Und wenn man den deutschen Elementen in Öster¬
reich gestatte, sich dem nationalen Zentrum anzuschließen, wie wolle man die
italienischen Österreicher abhalten, die OonstituMw irMWg, zu beschicken? wie
die Wünsche nach einer Wiederherstellunng Polens verdammen? wie einen pan¬
slawischen Kongreß hindern? Bedurfte die kleindeutsche Partei einer weitern
Rechtfertigung?

Wir nehmen von dem Werke Abschied mit zwei heitern Episoden aus
Helferts parlamentarischen Erinnerungen. Als im Reichstage die Absicht kund¬
gegeben worden war, die volle Religionsfreiheit auf das christliche Bekenntnis
zu beschränken,' entwarf ein Präger Blatt folgendes'Schreckensbild. Schon auf
die bloße Möglichkeit der Annahme einer solchen Beschränkung sei fast aus jeder
jüdischen Familie wenigstens ein Mitglied ausgewandert und bereite sich wenig-


Österreich im Frühjahre ^3H9>

sprechung der Denkwürdigkeiten Beusts in diesen Blättern hervorgehoben wurde,
macht dieser gewissermaßen den König von Preußen für den Maiaufstand ver¬
antwortlich, weil er den König von Sachsen bestimmt habe, die Reichsver-
fassung nicht anzuerkennen, daher er auch verpflichtet gewesen sei, den Aufstand
zu unterdrücken. Diese Darstellung erfährt eine angemessene Beleuchtung durch
einen von Heisere gegebenen Auszug aus einem österreichischen Gesandtschafts¬
berichte. Graf Kuefstein schreibt nämlich am 6. März 1849 — man beachte
das Datum! —, der Minister Beust habe ihm den Wunsch ausgesprochen „daß
es der kaiserlichen Regierung möglich sein möchte, auch ihrerseits Truppen an
die Grenze rücken zu lassen, um auf Anrufen wenigstens die nächsten an Böhmen
stoßenden Landesteile zu besetzen." Es sollte das, fährt Heisere fort, zugleich
ein Gegengewicht gegen die Preußen sein, von denen mau in Dresden fürch¬
tete, daß, wenn sie einmal im Lande wären, sie „über den Zweck und die
Zeit hinaus" dableiben möchten. Woher die köstliche Nachricht stammt, die
prenßischgesinnten Mitglieder des Frankfurter Parlaments hätten ihren Kollegen
aus Osterreich gesagt: „Grant euch nicht, jute Freunde; wenn ihr jetzt jehen
müßt, wir werden euch doch wieder kriegen," hat der sonst in der Angabe der
Quellen so gewissenhafte Verfasser nicht verraten. Übrigens ist er nnparteisch
genug, die vernichtende Kritik, welche Palacky um dieselbe Zeit, wo ein Polizei-
komnnsscir in Olmütz den Buchhändlern auftrug, die deutschen Grundrechte „an
niemand aus den untern Volksklassen zu verkaufen," an der Schwarzenbergschen
Politik übte, auszugsweise mitzuteilen. Der Tschechenführer sagte am 23. Fe¬
bruar: Die von jeher dunkle Frage, wie sich Österreich an Deutschland „innig
anschließen" solle, habe durch die Note vom 4. (in welcher Österreich erklärte,
sich einem Reichsvberhaupte 'nicht unterordnen zu wollen) an Klarheit nicht
gewonnen; nur soviel scheine daraus deutlich hervorzugehen, daß Österreich
eine deutsche Macht sein und zugleich nicht sein wolle. Der Grundsatz der
nationalen Gleichberechtigung auf der einen und der Gedanke eines national¬
deutschen Reiches auf der andern Seite, wie sollten sie nebeneinander zur Aus¬
führung gebracht werden? Und wenn man den deutschen Elementen in Öster¬
reich gestatte, sich dem nationalen Zentrum anzuschließen, wie wolle man die
italienischen Österreicher abhalten, die OonstituMw irMWg, zu beschicken? wie
die Wünsche nach einer Wiederherstellunng Polens verdammen? wie einen pan¬
slawischen Kongreß hindern? Bedurfte die kleindeutsche Partei einer weitern
Rechtfertigung?

Wir nehmen von dem Werke Abschied mit zwei heitern Episoden aus
Helferts parlamentarischen Erinnerungen. Als im Reichstage die Absicht kund¬
gegeben worden war, die volle Religionsfreiheit auf das christliche Bekenntnis
zu beschränken,' entwarf ein Präger Blatt folgendes'Schreckensbild. Schon auf
die bloße Möglichkeit der Annahme einer solchen Beschränkung sei fast aus jeder
jüdischen Familie wenigstens ein Mitglied ausgewandert und bereite sich wenig-


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[0358] Österreich im Frühjahre ^3H9> sprechung der Denkwürdigkeiten Beusts in diesen Blättern hervorgehoben wurde, macht dieser gewissermaßen den König von Preußen für den Maiaufstand ver¬ antwortlich, weil er den König von Sachsen bestimmt habe, die Reichsver- fassung nicht anzuerkennen, daher er auch verpflichtet gewesen sei, den Aufstand zu unterdrücken. Diese Darstellung erfährt eine angemessene Beleuchtung durch einen von Heisere gegebenen Auszug aus einem österreichischen Gesandtschafts¬ berichte. Graf Kuefstein schreibt nämlich am 6. März 1849 — man beachte das Datum! —, der Minister Beust habe ihm den Wunsch ausgesprochen „daß es der kaiserlichen Regierung möglich sein möchte, auch ihrerseits Truppen an die Grenze rücken zu lassen, um auf Anrufen wenigstens die nächsten an Böhmen stoßenden Landesteile zu besetzen." Es sollte das, fährt Heisere fort, zugleich ein Gegengewicht gegen die Preußen sein, von denen mau in Dresden fürch¬ tete, daß, wenn sie einmal im Lande wären, sie „über den Zweck und die Zeit hinaus" dableiben möchten. Woher die köstliche Nachricht stammt, die prenßischgesinnten Mitglieder des Frankfurter Parlaments hätten ihren Kollegen aus Osterreich gesagt: „Grant euch nicht, jute Freunde; wenn ihr jetzt jehen müßt, wir werden euch doch wieder kriegen," hat der sonst in der Angabe der Quellen so gewissenhafte Verfasser nicht verraten. Übrigens ist er nnparteisch genug, die vernichtende Kritik, welche Palacky um dieselbe Zeit, wo ein Polizei- komnnsscir in Olmütz den Buchhändlern auftrug, die deutschen Grundrechte „an niemand aus den untern Volksklassen zu verkaufen," an der Schwarzenbergschen Politik übte, auszugsweise mitzuteilen. Der Tschechenführer sagte am 23. Fe¬ bruar: Die von jeher dunkle Frage, wie sich Österreich an Deutschland „innig anschließen" solle, habe durch die Note vom 4. (in welcher Österreich erklärte, sich einem Reichsvberhaupte 'nicht unterordnen zu wollen) an Klarheit nicht gewonnen; nur soviel scheine daraus deutlich hervorzugehen, daß Österreich eine deutsche Macht sein und zugleich nicht sein wolle. Der Grundsatz der nationalen Gleichberechtigung auf der einen und der Gedanke eines national¬ deutschen Reiches auf der andern Seite, wie sollten sie nebeneinander zur Aus¬ führung gebracht werden? Und wenn man den deutschen Elementen in Öster¬ reich gestatte, sich dem nationalen Zentrum anzuschließen, wie wolle man die italienischen Österreicher abhalten, die OonstituMw irMWg, zu beschicken? wie die Wünsche nach einer Wiederherstellunng Polens verdammen? wie einen pan¬ slawischen Kongreß hindern? Bedurfte die kleindeutsche Partei einer weitern Rechtfertigung? Wir nehmen von dem Werke Abschied mit zwei heitern Episoden aus Helferts parlamentarischen Erinnerungen. Als im Reichstage die Absicht kund¬ gegeben worden war, die volle Religionsfreiheit auf das christliche Bekenntnis zu beschränken,' entwarf ein Präger Blatt folgendes'Schreckensbild. Schon auf die bloße Möglichkeit der Annahme einer solchen Beschränkung sei fast aus jeder jüdischen Familie wenigstens ein Mitglied ausgewandert und bereite sich wenig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/358>, abgerufen am 17.09.2024.