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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Österreich im Frühjahre ^8^>9-

angeführten Gründe für die gewaltsame Unterbrechung des Verfassungswerkes
keine ernste Prüfung bestehen, und weiß für die Notwendigkeit dieses Schrittes
selbst nichts andres beizubringen, als daß der Reichstag nur "berufen und
befugt" war, für einen Teil der Monarchie eine Verfassung zu entwerfen, um
aber eine solche für die ganze Monarchie geschaffen werden sollte, und daß
dieser Reichstag bei Beratung der Grundrechte seine staatsmännische Unfähigkeit
an den Tag gelegt habe. Welche dürftigen Ausreden, um, einen verhängnisvollen
Schritt zu entschuldigen! Anstatt die Verfassungsgesetze, die Arbeit der gewählten
Vertreter gyyz Österreichs mit Ausnahme der ungarischen und italienischen
Landesteile, das durch allseitige Zugeständnisse mühsam zustande gebrachte Werk,
der Verbesserung und Ausgestaltung zuzuführen, schritt man von Oktroyirung
zu Oktroyirung, brachte es endlich zu Verfassungen, die bald von der einen,
bald von der andern Seite nicht anerkannt wurden, entfesselte unvereinbare
historische und nationale Ansprüche, und gelangte schließlich in den heutigen
Wirrwarr, in dem kaum jemand mehr weiß, was Rechtens ist. Ob Heisere diesen
Zusammenhang der Dinge erkennt, bleibt fraglich.

Seine Zärtlichkeit für das Slawentum äußert sich zum Teil in sehr eigen¬
tümlicher Art. Während andre Personen in der Regel einfach bei ihrem
Familiennamen genannt werden, gönnt er Tschechen , Slowaken u. s. w. gern
ihre sämtlichen, oft ganz unerhörten Vornamen, und da er eine entsetzliche Ab¬
neigung gegen das Komma hat, weiß man mitunter nicht, ob von einer Person
oder von dreien oder vieren die Rede sei. Und nicht nur für tschechische Per¬
sonen- und Ortsnamen bedient er sich der tschechischen Orthographie, er schreibt
Diebie und Paskievic', was Wsers Wissens so wenig russisch wie deutsch ist,
Kcilisz statt Kalisch, Huenlen statt Huzuleu u. dergl. in. Das Werk ist freilich
in Prag erschienen und in Wien gedruckt, das auch allmählich tschechisch gemacht
werden soll; auch hat. Helferts Deutsch allerlei Absonderlichkeiten aufzuweisen.
Fürst Windischgrcitz restdirt "ob der Ofener Königsburg"; wir kennen Österreich
ob der Enns, Rothenburg ob der Tauber, den Kanton Obwalten u. s. w.,
aber wie kann sich jemand "ob" einer Burg aufhalten, außer in einem Luft¬
ballon? Oder soll zart zu verstehen gegeben werden, daß der gewaltige Kriegs¬
mann über allen andern Gewalten geschwebt habe? Die russischen Soldaten
werden "inner" die österreichischen Grenzen eingeführt. Bd. 5> S. 8 steht der
unverständliche Satz, die Neichstagsmitglieder hätten sich eine Lehrmeinung
gebildet "über ihre Machtvollkommenheit, über das Wesen und des Urgrundes
derselben." Das und andres mag aus die Rechnung des Setzers zu bringen
sein. Immerhin hat der Verfasser doch auf deutsche Leser gerechnet, und in
deren Namen muß gegen einen Unfug Verwahrung eingelegt werden, welcher
in Österreich überHand zu nehmen scheint; erzählte doch unlängst die Wiener
"Monatsschrift für den Orient" ihren Lesern, von einem "Caren," womit ein
bulgarischer Zar gemeint war! Das fehlte noG daß^ während-man sich bemüht,


Österreich im Frühjahre ^8^>9-

angeführten Gründe für die gewaltsame Unterbrechung des Verfassungswerkes
keine ernste Prüfung bestehen, und weiß für die Notwendigkeit dieses Schrittes
selbst nichts andres beizubringen, als daß der Reichstag nur „berufen und
befugt" war, für einen Teil der Monarchie eine Verfassung zu entwerfen, um
aber eine solche für die ganze Monarchie geschaffen werden sollte, und daß
dieser Reichstag bei Beratung der Grundrechte seine staatsmännische Unfähigkeit
an den Tag gelegt habe. Welche dürftigen Ausreden, um, einen verhängnisvollen
Schritt zu entschuldigen! Anstatt die Verfassungsgesetze, die Arbeit der gewählten
Vertreter gyyz Österreichs mit Ausnahme der ungarischen und italienischen
Landesteile, das durch allseitige Zugeständnisse mühsam zustande gebrachte Werk,
der Verbesserung und Ausgestaltung zuzuführen, schritt man von Oktroyirung
zu Oktroyirung, brachte es endlich zu Verfassungen, die bald von der einen,
bald von der andern Seite nicht anerkannt wurden, entfesselte unvereinbare
historische und nationale Ansprüche, und gelangte schließlich in den heutigen
Wirrwarr, in dem kaum jemand mehr weiß, was Rechtens ist. Ob Heisere diesen
Zusammenhang der Dinge erkennt, bleibt fraglich.

Seine Zärtlichkeit für das Slawentum äußert sich zum Teil in sehr eigen¬
tümlicher Art. Während andre Personen in der Regel einfach bei ihrem
Familiennamen genannt werden, gönnt er Tschechen , Slowaken u. s. w. gern
ihre sämtlichen, oft ganz unerhörten Vornamen, und da er eine entsetzliche Ab¬
neigung gegen das Komma hat, weiß man mitunter nicht, ob von einer Person
oder von dreien oder vieren die Rede sei. Und nicht nur für tschechische Per¬
sonen- und Ortsnamen bedient er sich der tschechischen Orthographie, er schreibt
Diebie und Paskievic', was Wsers Wissens so wenig russisch wie deutsch ist,
Kcilisz statt Kalisch, Huenlen statt Huzuleu u. dergl. in. Das Werk ist freilich
in Prag erschienen und in Wien gedruckt, das auch allmählich tschechisch gemacht
werden soll; auch hat. Helferts Deutsch allerlei Absonderlichkeiten aufzuweisen.
Fürst Windischgrcitz restdirt „ob der Ofener Königsburg"; wir kennen Österreich
ob der Enns, Rothenburg ob der Tauber, den Kanton Obwalten u. s. w.,
aber wie kann sich jemand „ob" einer Burg aufhalten, außer in einem Luft¬
ballon? Oder soll zart zu verstehen gegeben werden, daß der gewaltige Kriegs¬
mann über allen andern Gewalten geschwebt habe? Die russischen Soldaten
werden „inner" die österreichischen Grenzen eingeführt. Bd. 5> S. 8 steht der
unverständliche Satz, die Neichstagsmitglieder hätten sich eine Lehrmeinung
gebildet „über ihre Machtvollkommenheit, über das Wesen und des Urgrundes
derselben." Das und andres mag aus die Rechnung des Setzers zu bringen
sein. Immerhin hat der Verfasser doch auf deutsche Leser gerechnet, und in
deren Namen muß gegen einen Unfug Verwahrung eingelegt werden, welcher
in Österreich überHand zu nehmen scheint; erzählte doch unlängst die Wiener
„Monatsschrift für den Orient" ihren Lesern, von einem „Caren," womit ein
bulgarischer Zar gemeint war! Das fehlte noG daß^ während-man sich bemüht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/356>, abgerufen am 17.09.2024.