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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Ein fauler Fleck im Gerichtskostengesetz.

unterlegenen Gegner beizutreiben; gelingt dies aber nicht, weil dieser vielleicht
in der Zwischenzeit verarmt ist. dann muß die siegende Partei nachträglich ohne
alle Aussicht auf Ersatz die Gebühr aus ihrer Tasche bezahlen.

Die Entrüstung gewisser Volksmänner über die Höhe der Gerichtskosten
halten wir für nicht mehr als für politische Heuchelei, wenn ja auch in einzelnen
Fällen eine durch diese Kosten verhältnismäßig unschuldig betroffene Partei
einiges Mitleid verdienen mag. Aber eine Rechtspflege, welche dem Vertreter
einer gerechten Sache Gerichts gebühren auflegt aus keinem andern Grunde, als
weil der zahlungspflichtige Vertreter der ungerechten Sache sie nicht zahlen
kann, eine solche Rechtspflege erfüllt den davon betroffenen mit der gerech¬
testen Erbitterung.

Wir wiederholen: ein andrer Grund als das fiskalische Interesse läßt sich
für die angefochtene Bestimmung schlechterdings nicht entdecken. Der Geheime
Revisor, der Geheime Nechnungsrat, dem das zweifelhafte Verdienst gebührt,
den Entwurf des Gerichtskostengesetzes verfaßt zu haben, wird uns allerdings
antworten: Die Bestimmung hat einen sehr guten Grund, du hast ihn selbst
angegeben, sie bezweckt, die Leute von mutwilligen, leichtsinnigem Prozessiren
abzuhalten. Allein etwas verkehrteres als diese Antwort ließe sich nicht wohl
denken. Ein mutwilliges, leichtsinniges Prozessiren fällt demjenigen zur Last,
der sich auf einen Prozeß einläßt, von dem er bei einiger Überlegung sich
sagen muß, daß er ihn verliert, aber doch niemals demjenigen, der eine ge¬
rechte, durch Richterspruch sür gerecht erklärte Sache vor Gericht vertreten
hat. Die Alten haben die Themis mit einer Binde um die Augen abge¬
bildet; das bedeutet: der Richter hat in seiner Berufsübung auf nichts zu achten
als auf die Stimme des Rechtes, alle andern Rücksichten, alle Erwägungen der
Zweckmäßigkeit sollen ihm vollkommen fremd sein. Eine Erwägung der Zweck¬
mäßigkeit aber ist die Frage, ob der Gegner, gegen den ich einen Rechtsstreit
unternehme, einen Anspruch auf dem Wege des Prozesses durchsetzen will, wohl
auch die Mittel haben werde, mir im Fall meines Sieges für den Anspruch
und für die Prozeßkosten, d. h. für das, was ich notwendig aufwenden muß,
um den Prozeß zu gewinnen, aufkommen kann. Diese Frage hat die Partei
sich selbst zu stellen und zu beantworten, den Richter geht sie ganz und gar
nichts an. Und selbst wenn die Berufung auf den Leichtsinn, der in dem Pro¬
zessiren gegen einen vermögenslosen Gegner liegt, so statthaft wäre, wie sie un¬
statthaft ist, so wäre die Bestimmung des Z W immer noch eine Verkehrtheit.
Dem Kläger stünde dann allerdings die Einrede des eignen Verschuldens ent¬
gegen; aber § 90 trifft nicht bloß den Kläger, sondern oft genug auch den
Beklagten, wenn dieser in die Lage kommt, gegen ein ungerechtes Urteil Be¬
rufung erheben zu müssen. Denn nicht bloß der Kläger, sondern auch der Be¬
rufungskläger und der Nevisionskläger sind gebührenvorschußpflichtig, und dem
Beklagten, gegen den von einem vermögenslosen Gegner eine ungerechte Klage


Ein fauler Fleck im Gerichtskostengesetz.

unterlegenen Gegner beizutreiben; gelingt dies aber nicht, weil dieser vielleicht
in der Zwischenzeit verarmt ist. dann muß die siegende Partei nachträglich ohne
alle Aussicht auf Ersatz die Gebühr aus ihrer Tasche bezahlen.

Die Entrüstung gewisser Volksmänner über die Höhe der Gerichtskosten
halten wir für nicht mehr als für politische Heuchelei, wenn ja auch in einzelnen
Fällen eine durch diese Kosten verhältnismäßig unschuldig betroffene Partei
einiges Mitleid verdienen mag. Aber eine Rechtspflege, welche dem Vertreter
einer gerechten Sache Gerichts gebühren auflegt aus keinem andern Grunde, als
weil der zahlungspflichtige Vertreter der ungerechten Sache sie nicht zahlen
kann, eine solche Rechtspflege erfüllt den davon betroffenen mit der gerech¬
testen Erbitterung.

Wir wiederholen: ein andrer Grund als das fiskalische Interesse läßt sich
für die angefochtene Bestimmung schlechterdings nicht entdecken. Der Geheime
Revisor, der Geheime Nechnungsrat, dem das zweifelhafte Verdienst gebührt,
den Entwurf des Gerichtskostengesetzes verfaßt zu haben, wird uns allerdings
antworten: Die Bestimmung hat einen sehr guten Grund, du hast ihn selbst
angegeben, sie bezweckt, die Leute von mutwilligen, leichtsinnigem Prozessiren
abzuhalten. Allein etwas verkehrteres als diese Antwort ließe sich nicht wohl
denken. Ein mutwilliges, leichtsinniges Prozessiren fällt demjenigen zur Last,
der sich auf einen Prozeß einläßt, von dem er bei einiger Überlegung sich
sagen muß, daß er ihn verliert, aber doch niemals demjenigen, der eine ge¬
rechte, durch Richterspruch sür gerecht erklärte Sache vor Gericht vertreten
hat. Die Alten haben die Themis mit einer Binde um die Augen abge¬
bildet; das bedeutet: der Richter hat in seiner Berufsübung auf nichts zu achten
als auf die Stimme des Rechtes, alle andern Rücksichten, alle Erwägungen der
Zweckmäßigkeit sollen ihm vollkommen fremd sein. Eine Erwägung der Zweck¬
mäßigkeit aber ist die Frage, ob der Gegner, gegen den ich einen Rechtsstreit
unternehme, einen Anspruch auf dem Wege des Prozesses durchsetzen will, wohl
auch die Mittel haben werde, mir im Fall meines Sieges für den Anspruch
und für die Prozeßkosten, d. h. für das, was ich notwendig aufwenden muß,
um den Prozeß zu gewinnen, aufkommen kann. Diese Frage hat die Partei
sich selbst zu stellen und zu beantworten, den Richter geht sie ganz und gar
nichts an. Und selbst wenn die Berufung auf den Leichtsinn, der in dem Pro¬
zessiren gegen einen vermögenslosen Gegner liegt, so statthaft wäre, wie sie un¬
statthaft ist, so wäre die Bestimmung des Z W immer noch eine Verkehrtheit.
Dem Kläger stünde dann allerdings die Einrede des eignen Verschuldens ent¬
gegen; aber § 90 trifft nicht bloß den Kläger, sondern oft genug auch den
Beklagten, wenn dieser in die Lage kommt, gegen ein ungerechtes Urteil Be¬
rufung erheben zu müssen. Denn nicht bloß der Kläger, sondern auch der Be¬
rufungskläger und der Nevisionskläger sind gebührenvorschußpflichtig, und dem
Beklagten, gegen den von einem vermögenslosen Gegner eine ungerechte Klage


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/31>, abgerufen am 17.09.2024.