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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Verlegenheiten im Zentrum.

sich für dasselbe ausgesprochen hätten. Der Vikar erwiederte: "Die Bischöfe
von Posen und Straßburg sind Ausländer und gehen uns nichts an. Der
Papst aber ist eine alte Großmutter, und die haben bekanntlich viele Wünsche,
die nicht in Erfüllung gehen." Die Wirtin sagte, darüber empört, zu dem
Vikar: "Ich glaube, wenn der Papst als Abgeordneter vorgeschlagen würde,
so gäben Sie ihm nicht einmal Ihre Stimme." Der geistliche Herr antwortete:
"Allerdings nicht, und ebensowenig gäbe sie ihm ein andrer katholischer Geistlicher."
Im weitern Verlaufe des Gesprächs nannte dieser Seelenhirt den Papst wiederholt
eine alte Großmutter und erklärte, er sei "ein Italiener, mit denen bekanntermaßen
nicht viel los sei." Als man ihn darauf hinwies, daß, wenn die Geistlichen dem
heiligen Vater nicht mehr Gehorsam leisteten, sie jede Autorität bei den Laien
verlieren würden, erwiederte er: "Nun, das kommt später, im zweiten Akt."
Diese Redensarten, nach Vögtles Meinung typisch für alle katholischen Geist¬
lichen, nach der unsern für viele, namentlich die, welche als Hetzkapläne thätig
waren, stützen sich auf protokollarisch festgestellte Zeugenaussagen. Man hat
sich mit solchen Leuten ein äußerst gefährliches Element erzogen, welches auch
bei andern Fragen innerlich sofort bereit sein wird, der Leitung der Kirche den
Gehorsam aufzukündigen, wenn sie nicht die Wege weist, die man selbst in seiner
Verranntheit für die richtigen hält. Kurzsichtige haben triumphirend verkündigt,
Bismarck sei im Kulturkampfe zuletzt nach Canossa gegangen. Mit viel besserm
Rechte darf man sagen, die, welche während dieses Kampfes die Beihilfe der
untern Schichten des Klerus anriefen. haben damit die Kraft der katholischen
Kirche als einer streitenden wenigstens für die Gegenwart geschwächt, indem sie
die Disziplin untergraben und den natürlichen demokratischen Neigungen dieser
Schichten Stimme und Geltung gestattet haben. Die davon zurückgebliebene
Stimmung wird sich nicht leicht ganz verlieren. Sie haben sich fühlen gelernt,
diese Pfarrer und Kapläne, sie befanden sich wohl in der Rolle, die sie als
Redner und Redakteure der Negierung gegenüber spielten, sie hatten nicht bloß
Einfluß, sondern auch materiellen Gewinn davon. Wie Moden, die sich von
der Stadt aus über die Landbevölkerung verbreiten, hier sich lange zu erhalten
Pflegen, so wird auch die Verbitterung und Mißachtung gegen die weltliche
Regierung, die zuletzt auch gegen die geistliche Front machte, in diesen untern
Kreisen noch geraume Zeit fortschweelen. Der Landpfarrer, der kleine Kaplan
oder Vikar, der sich durch Eifer im Kampfe gegen den Staat ein Abgeordneten¬
mandat erwarb, oder der ein sonst interesseloses Blättchen mit seiner Teilnahme
an diesem Kampfe für viele Leute lesenswert machte und damit seine karge An¬
nahme verbesserte, wird sich nach Aufhören des Streites in seiner Bedeutuug
beträchtlich verkleinert, an seinem Beutel geschädigt sehen und sich nach der
..guten alten Zeit" zurücksehnen wie die Juden der Wüste nach den Fleisch¬
töpfen Ägyptens, und diese Sehnsucht wird von dem Gefühle begleitet sem, daß
der Papst und der Bischof an der Schädigung mitwirkten.


Verlegenheiten im Zentrum.

sich für dasselbe ausgesprochen hätten. Der Vikar erwiederte: „Die Bischöfe
von Posen und Straßburg sind Ausländer und gehen uns nichts an. Der
Papst aber ist eine alte Großmutter, und die haben bekanntlich viele Wünsche,
die nicht in Erfüllung gehen." Die Wirtin sagte, darüber empört, zu dem
Vikar: „Ich glaube, wenn der Papst als Abgeordneter vorgeschlagen würde,
so gäben Sie ihm nicht einmal Ihre Stimme." Der geistliche Herr antwortete:
„Allerdings nicht, und ebensowenig gäbe sie ihm ein andrer katholischer Geistlicher."
Im weitern Verlaufe des Gesprächs nannte dieser Seelenhirt den Papst wiederholt
eine alte Großmutter und erklärte, er sei „ein Italiener, mit denen bekanntermaßen
nicht viel los sei." Als man ihn darauf hinwies, daß, wenn die Geistlichen dem
heiligen Vater nicht mehr Gehorsam leisteten, sie jede Autorität bei den Laien
verlieren würden, erwiederte er: „Nun, das kommt später, im zweiten Akt."
Diese Redensarten, nach Vögtles Meinung typisch für alle katholischen Geist¬
lichen, nach der unsern für viele, namentlich die, welche als Hetzkapläne thätig
waren, stützen sich auf protokollarisch festgestellte Zeugenaussagen. Man hat
sich mit solchen Leuten ein äußerst gefährliches Element erzogen, welches auch
bei andern Fragen innerlich sofort bereit sein wird, der Leitung der Kirche den
Gehorsam aufzukündigen, wenn sie nicht die Wege weist, die man selbst in seiner
Verranntheit für die richtigen hält. Kurzsichtige haben triumphirend verkündigt,
Bismarck sei im Kulturkampfe zuletzt nach Canossa gegangen. Mit viel besserm
Rechte darf man sagen, die, welche während dieses Kampfes die Beihilfe der
untern Schichten des Klerus anriefen. haben damit die Kraft der katholischen
Kirche als einer streitenden wenigstens für die Gegenwart geschwächt, indem sie
die Disziplin untergraben und den natürlichen demokratischen Neigungen dieser
Schichten Stimme und Geltung gestattet haben. Die davon zurückgebliebene
Stimmung wird sich nicht leicht ganz verlieren. Sie haben sich fühlen gelernt,
diese Pfarrer und Kapläne, sie befanden sich wohl in der Rolle, die sie als
Redner und Redakteure der Negierung gegenüber spielten, sie hatten nicht bloß
Einfluß, sondern auch materiellen Gewinn davon. Wie Moden, die sich von
der Stadt aus über die Landbevölkerung verbreiten, hier sich lange zu erhalten
Pflegen, so wird auch die Verbitterung und Mißachtung gegen die weltliche
Regierung, die zuletzt auch gegen die geistliche Front machte, in diesen untern
Kreisen noch geraume Zeit fortschweelen. Der Landpfarrer, der kleine Kaplan
oder Vikar, der sich durch Eifer im Kampfe gegen den Staat ein Abgeordneten¬
mandat erwarb, oder der ein sonst interesseloses Blättchen mit seiner Teilnahme
an diesem Kampfe für viele Leute lesenswert machte und damit seine karge An¬
nahme verbesserte, wird sich nach Aufhören des Streites in seiner Bedeutuug
beträchtlich verkleinert, an seinem Beutel geschädigt sehen und sich nach der
..guten alten Zeit" zurücksehnen wie die Juden der Wüste nach den Fleisch¬
töpfen Ägyptens, und diese Sehnsucht wird von dem Gefühle begleitet sem, daß
der Papst und der Bischof an der Schädigung mitwirkten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/309>, abgerufen am 17.09.2024.