Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Jugenderinnenmgen,




10,

Für die Qucingcleien und den Ärger in der Schule gewährte mir das
Haus, in dem ich mit meinem Bruder wohnte, einigen Ersatz. Mit der Familie
des Advokaten kam ich zwar nur an solchen Tagen zusammen, an denen ich
mit am Tische derselben aß -- die meisten Tage hatte ich freien Tisch bei
nahen und fernen Verwandten -- desto gemütlicher aber verkehrten wir Brüder
mit dem ältesten Sohne des Hauses. Dieser war ein tüchtiger Mathematiker
und warf sich in seinen Freistunden mit großem Eifer auf astronomische Studien.
Es wurde ein Quadrant und ein vortreffliches Fernrohr angeschafft, um in
hellen Nächten den Sternenhimmel zu durchforschen und die Entfernung ein¬
zelner Gestirne von einander zu messen. Ein Altan am Dachsaume des Hauses
bot zu solchen Beobachtungen die beste Gelegenheit. Hier verbrachten wir manche
schöne Sommernacht in köstlichen Genüssen, da unser Mentor belehrende Ge¬
spräche über Astronomie mit uns führte und uns soweit als möglich in die
Erhabenheit dieser Wissenschaft einzuweihen sich angelegen sein ließ. Leider
sollte dieser Genuß nur von kurzer Dauer sein. MißHelligkeiten zwischen dem
Vater und seinem Freunde, deren Veranlassung mir unbekannt blieb, führten
schon nach wenigen Monaten zu einer Kündigung der Wohnung. Ich verließ
sie mit meinem Bruder um Michaelis, um ein Haus zu beziehen, das sich mehr
durch Einfachheit als durch Annehmlichkeit auszeichnete. Da habe ich denn
gehaust bis zum Abgänge vom Gymnasium. Die Ursprünglichkeit dieser Wohnung,
welche ganz dazu angethan war. die allerbescheidensten Ansprüche an das Leben
Zu machen, verdient es wohl, daß ich sie etwas genauer schildere Heutigen
Tages dürfte sich schwerlich jemand bereit finden, einen so unpassenden Raum
zu beziehen und ohne Murren sieben Jahre darin auszuhalten.

Mein Vater war ein Feind aller, auch der geringsten Verschwendung. Er
hatte sich von Jngend auf äußerst kümmerlich behelfen und oft darben müssen.
Das hatte ihn sparsam gemacht bis zum äußersten. Da nun das alte Pfarr¬
haus, wie erwähnt, auch keine Lnxnswohnnng war, so meinte er, es wurde sur
uns besser sein, wenn wir uns bei Zeiten mit wenigem zu behelfen lernten

Von Natur und aus Grundsatz streng konservativ, mes der ^ter am
liebsten alles neue, auch wenn es wirklich gut, mithin empfehlenswert war. gern
v°n sich. Jedenfalls zögerte er sehr lange, ehe eine Neuerung bei ihm Ein¬
gang fand. Aus Überzeugung gut geheißen hat er wohl schwerlich jemals eme.
Dies ihm zur Gewohnheit gewordene Haften am Althergebrachten und Über¬
lieferten machte deu Vater auch zu einem hartnäckigen Gegner der so häufig


"Pröhle" mein Herz zu öffnen, ist mir infolge jener abscheulichen Behandlung
auf der Schule, für die leider kein Lehrer ein Ange hatte, durchs ganze Leben
sieblieben.
Jugenderinnenmgen,




10,

Für die Qucingcleien und den Ärger in der Schule gewährte mir das
Haus, in dem ich mit meinem Bruder wohnte, einigen Ersatz. Mit der Familie
des Advokaten kam ich zwar nur an solchen Tagen zusammen, an denen ich
mit am Tische derselben aß — die meisten Tage hatte ich freien Tisch bei
nahen und fernen Verwandten — desto gemütlicher aber verkehrten wir Brüder
mit dem ältesten Sohne des Hauses. Dieser war ein tüchtiger Mathematiker
und warf sich in seinen Freistunden mit großem Eifer auf astronomische Studien.
Es wurde ein Quadrant und ein vortreffliches Fernrohr angeschafft, um in
hellen Nächten den Sternenhimmel zu durchforschen und die Entfernung ein¬
zelner Gestirne von einander zu messen. Ein Altan am Dachsaume des Hauses
bot zu solchen Beobachtungen die beste Gelegenheit. Hier verbrachten wir manche
schöne Sommernacht in köstlichen Genüssen, da unser Mentor belehrende Ge¬
spräche über Astronomie mit uns führte und uns soweit als möglich in die
Erhabenheit dieser Wissenschaft einzuweihen sich angelegen sein ließ. Leider
sollte dieser Genuß nur von kurzer Dauer sein. MißHelligkeiten zwischen dem
Vater und seinem Freunde, deren Veranlassung mir unbekannt blieb, führten
schon nach wenigen Monaten zu einer Kündigung der Wohnung. Ich verließ
sie mit meinem Bruder um Michaelis, um ein Haus zu beziehen, das sich mehr
durch Einfachheit als durch Annehmlichkeit auszeichnete. Da habe ich denn
gehaust bis zum Abgänge vom Gymnasium. Die Ursprünglichkeit dieser Wohnung,
welche ganz dazu angethan war. die allerbescheidensten Ansprüche an das Leben
Zu machen, verdient es wohl, daß ich sie etwas genauer schildere Heutigen
Tages dürfte sich schwerlich jemand bereit finden, einen so unpassenden Raum
zu beziehen und ohne Murren sieben Jahre darin auszuhalten.

Mein Vater war ein Feind aller, auch der geringsten Verschwendung. Er
hatte sich von Jngend auf äußerst kümmerlich behelfen und oft darben müssen.
Das hatte ihn sparsam gemacht bis zum äußersten. Da nun das alte Pfarr¬
haus, wie erwähnt, auch keine Lnxnswohnnng war, so meinte er, es wurde sur
uns besser sein, wenn wir uns bei Zeiten mit wenigem zu behelfen lernten

Von Natur und aus Grundsatz streng konservativ, mes der ^ter am
liebsten alles neue, auch wenn es wirklich gut, mithin empfehlenswert war. gern
v°n sich. Jedenfalls zögerte er sehr lange, ehe eine Neuerung bei ihm Ein¬
gang fand. Aus Überzeugung gut geheißen hat er wohl schwerlich jemals eme.
Dies ihm zur Gewohnheit gewordene Haften am Althergebrachten und Über¬
lieferten machte deu Vater auch zu einem hartnäckigen Gegner der so häufig


"Pröhle» mein Herz zu öffnen, ist mir infolge jener abscheulichen Behandlung
auf der Schule, für die leider kein Lehrer ein Ange hatte, durchs ganze Leben
sieblieben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288692"/>
            <fw type="header" place="top"> Jugenderinnenmgen,</fw><lb/>
            <note xml:id="FID_34" place="foot"> "Pröhle» mein Herz zu öffnen, ist mir infolge jener abscheulichen Behandlung<lb/>
auf der Schule, für die leider kein Lehrer ein Ange hatte, durchs ganze Leben<lb/>
sieblieben.</note><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 10,</head><lb/>
            <p xml:id="ID_710"> Für die Qucingcleien und den Ärger in der Schule gewährte mir das<lb/>
Haus, in dem ich mit meinem Bruder wohnte, einigen Ersatz. Mit der Familie<lb/>
des Advokaten kam ich zwar nur an solchen Tagen zusammen, an denen ich<lb/>
mit am Tische derselben aß &#x2014; die meisten Tage hatte ich freien Tisch bei<lb/>
nahen und fernen Verwandten &#x2014; desto gemütlicher aber verkehrten wir Brüder<lb/>
mit dem ältesten Sohne des Hauses.  Dieser war ein tüchtiger Mathematiker<lb/>
und warf sich in seinen Freistunden mit großem Eifer auf astronomische Studien.<lb/>
Es wurde ein Quadrant und ein vortreffliches Fernrohr angeschafft, um in<lb/>
hellen Nächten den Sternenhimmel zu durchforschen und die Entfernung ein¬<lb/>
zelner Gestirne von einander zu messen. Ein Altan am Dachsaume des Hauses<lb/>
bot zu solchen Beobachtungen die beste Gelegenheit. Hier verbrachten wir manche<lb/>
schöne Sommernacht in köstlichen Genüssen, da unser Mentor belehrende Ge¬<lb/>
spräche über Astronomie mit uns führte und uns soweit als möglich in die<lb/>
Erhabenheit dieser Wissenschaft einzuweihen sich angelegen sein ließ. Leider<lb/>
sollte dieser Genuß nur von kurzer Dauer sein.  MißHelligkeiten zwischen dem<lb/>
Vater und seinem Freunde, deren Veranlassung mir unbekannt blieb, führten<lb/>
schon nach wenigen Monaten zu einer Kündigung der Wohnung. Ich verließ<lb/>
sie mit meinem Bruder um Michaelis, um ein Haus zu beziehen, das sich mehr<lb/>
durch Einfachheit als durch Annehmlichkeit auszeichnete.  Da habe ich denn<lb/>
gehaust bis zum Abgänge vom Gymnasium. Die Ursprünglichkeit dieser Wohnung,<lb/>
welche ganz dazu angethan war. die allerbescheidensten Ansprüche an das Leben<lb/>
Zu machen, verdient es wohl, daß ich sie etwas genauer schildere Heutigen<lb/>
Tages dürfte sich schwerlich jemand bereit finden, einen so unpassenden Raum<lb/>
zu beziehen und ohne Murren sieben Jahre darin auszuhalten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_711"> Mein Vater war ein Feind aller, auch der geringsten Verschwendung. Er<lb/>
hatte sich von Jngend auf äußerst kümmerlich behelfen und oft darben müssen.<lb/>
Das hatte ihn sparsam gemacht bis zum äußersten. Da nun das alte Pfarr¬<lb/>
haus, wie erwähnt, auch keine Lnxnswohnnng war, so meinte er, es wurde sur<lb/>
uns besser sein, wenn wir uns bei Zeiten mit wenigem zu behelfen lernten</p><lb/>
            <p xml:id="ID_712" next="#ID_713"> Von Natur und aus Grundsatz streng konservativ, mes der ^ter am<lb/>
liebsten alles neue, auch wenn es wirklich gut, mithin empfehlenswert war. gern<lb/>
v°n sich. Jedenfalls zögerte er sehr lange, ehe eine Neuerung bei ihm Ein¬<lb/>
gang fand. Aus Überzeugung gut geheißen hat er wohl schwerlich jemals eme.<lb/>
Dies ihm zur Gewohnheit gewordene Haften am Althergebrachten und Über¬<lb/>
lieferten machte deu Vater auch zu einem hartnäckigen Gegner der so häufig</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0239] Jugenderinnenmgen, 10, Für die Qucingcleien und den Ärger in der Schule gewährte mir das Haus, in dem ich mit meinem Bruder wohnte, einigen Ersatz. Mit der Familie des Advokaten kam ich zwar nur an solchen Tagen zusammen, an denen ich mit am Tische derselben aß — die meisten Tage hatte ich freien Tisch bei nahen und fernen Verwandten — desto gemütlicher aber verkehrten wir Brüder mit dem ältesten Sohne des Hauses. Dieser war ein tüchtiger Mathematiker und warf sich in seinen Freistunden mit großem Eifer auf astronomische Studien. Es wurde ein Quadrant und ein vortreffliches Fernrohr angeschafft, um in hellen Nächten den Sternenhimmel zu durchforschen und die Entfernung ein¬ zelner Gestirne von einander zu messen. Ein Altan am Dachsaume des Hauses bot zu solchen Beobachtungen die beste Gelegenheit. Hier verbrachten wir manche schöne Sommernacht in köstlichen Genüssen, da unser Mentor belehrende Ge¬ spräche über Astronomie mit uns führte und uns soweit als möglich in die Erhabenheit dieser Wissenschaft einzuweihen sich angelegen sein ließ. Leider sollte dieser Genuß nur von kurzer Dauer sein. MißHelligkeiten zwischen dem Vater und seinem Freunde, deren Veranlassung mir unbekannt blieb, führten schon nach wenigen Monaten zu einer Kündigung der Wohnung. Ich verließ sie mit meinem Bruder um Michaelis, um ein Haus zu beziehen, das sich mehr durch Einfachheit als durch Annehmlichkeit auszeichnete. Da habe ich denn gehaust bis zum Abgänge vom Gymnasium. Die Ursprünglichkeit dieser Wohnung, welche ganz dazu angethan war. die allerbescheidensten Ansprüche an das Leben Zu machen, verdient es wohl, daß ich sie etwas genauer schildere Heutigen Tages dürfte sich schwerlich jemand bereit finden, einen so unpassenden Raum zu beziehen und ohne Murren sieben Jahre darin auszuhalten. Mein Vater war ein Feind aller, auch der geringsten Verschwendung. Er hatte sich von Jngend auf äußerst kümmerlich behelfen und oft darben müssen. Das hatte ihn sparsam gemacht bis zum äußersten. Da nun das alte Pfarr¬ haus, wie erwähnt, auch keine Lnxnswohnnng war, so meinte er, es wurde sur uns besser sein, wenn wir uns bei Zeiten mit wenigem zu behelfen lernten Von Natur und aus Grundsatz streng konservativ, mes der ^ter am liebsten alles neue, auch wenn es wirklich gut, mithin empfehlenswert war. gern v°n sich. Jedenfalls zögerte er sehr lange, ehe eine Neuerung bei ihm Ein¬ gang fand. Aus Überzeugung gut geheißen hat er wohl schwerlich jemals eme. Dies ihm zur Gewohnheit gewordene Haften am Althergebrachten und Über¬ lieferten machte deu Vater auch zu einem hartnäckigen Gegner der so häufig "Pröhle» mein Herz zu öffnen, ist mir infolge jener abscheulichen Behandlung auf der Schule, für die leider kein Lehrer ein Ange hatte, durchs ganze Leben sieblieben.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/239
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/239>, abgerufen am 17.09.2024.