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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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Ludwig Uhland und die altfranzösische Poesie.

Mund legt, entsprechen mir teilweise der durch die altfranzösische Epopöe
überlieferten Charakteristik, die meisten, insbesondre die weniger bekannten, hat
Uhland nur nach allgemein menschlichen Kennzeichen charakterisirt, indem er
den jungen Fant von seinem Liebchen, den steifen Höfling von Schicklichkeit
sprechen läßt u. s. w. Wie viel lieber es ihm war, wenn er sich um die Über¬
lieferung anlehnen konnte, erhellt am besten aus einem Briefe an Seckendorff
vom Jahre 1807: "Wenn ich mich nach poetischem Stoffe umsehe, so geschieht
es ganz vorzüglich darum, weil bloß idealistische Gestalten nicht so leicht voll¬
kommene Objektivität erhalten, wie solche, die dem Dichter schon lebendig ent¬
gegentreten, aber ihr höheres Leben erst von ihm erwarten." In dieser Weise
also gelang es ihm vortrefflich, Karls ruhige Größe von der nutzlosen Gesprächig¬
keit der andern zu unterscheiden, ohne daß er dabei den geschichtlich überlieferten
Charakter der bedeutenderen verletzt hätte. Daß er gerade diese und nicht
andre Ritter in die Zwölfzahl aufgenommen hat, obwohl es da doch noch be¬
rühmtere Namen gegeben hätte, ist vielleicht auf seine Kenntnis des Fierabas
zurückzuführen, wo diese Reihenfolge einmal aufgeführt wird.

Es ist aber noch eine andre Frage zu besprechen: Woher nahm Uhland
den Kern der Geschichte, den Zug Karls nach dem heiligen Grabe? Das be¬
treffende altfranzösische Gedicht, welches von Franzisqne Michel und später von
Koschwitz so mustergiltig herausgegeben worden ist, war zur Zeit der Abfassung
der vorliegenden Ballade (31. Januar 1812) noch nicht entdeckt. Dafür aber
kannte Uhland den Volksroman von (üalicm 11 lisstorvs, dessen Anfang die
Abenteuer der Kreuzfahrer in Konstantinopel zusammenfaßte. Auch kannte er, wie
aus den Anmerkungen zu dem Aufsatz über das altfranzösische Epos hervorgeht,
einen lateinischen Roman, der dieselbe Sage zum Gegenstände hat, und kurz
zuvor war noch dieselbe Märe wieder aufgefrischt worden, indem Foneemagne,
Willen u. a. ernsthafte Untersuchungen über den fabelhaften Zug Karls ver¬
anstaltet hatten. Aus allen diesen Anregungen ist dann der Kern der Ballade
entstanden.

Die Untersuchung über diesen Gegenstand wird dadurch noch interessanter,
daß wir noch einen zweiten Plan darauf zurückführen müssen, nämlich den eines
Dramas, von dem uns Keller die Bruchstücke abgedruckt hat. Keller vermutet,
daß die Entstehung derselben ungefähr 1814 falle. Sie enthalten in unfer¬
tigen Knittelversen den Bericht des Herolds, welcher die Ereignisse bei der
Ankunft Karls in Jerusalem erzählt, dann ein Wechselgesprttch zwischen den
Pairs, welche sich über die Pracht des Hauses Wundern, dann ein Gespräch
zwischen den Pairs und dein Schweinehirten des Kaisers Hug, der die Gäste
in sein prachtvolles Besitztum einladet. Wir haben keine Andeutungen, wie
Uhland deu Plan ausgeführt hätte, doch giebt vielleicht der Inhalt des Romans
von "Gatten" darüber Aufschluß, wie er ihn selbst gegeben hat in seinen Vor¬
lesungen über germanische und romanische Sagengeschichte. Dann Ware freilich


Ludwig Uhland und die altfranzösische Poesie.

Mund legt, entsprechen mir teilweise der durch die altfranzösische Epopöe
überlieferten Charakteristik, die meisten, insbesondre die weniger bekannten, hat
Uhland nur nach allgemein menschlichen Kennzeichen charakterisirt, indem er
den jungen Fant von seinem Liebchen, den steifen Höfling von Schicklichkeit
sprechen läßt u. s. w. Wie viel lieber es ihm war, wenn er sich um die Über¬
lieferung anlehnen konnte, erhellt am besten aus einem Briefe an Seckendorff
vom Jahre 1807: „Wenn ich mich nach poetischem Stoffe umsehe, so geschieht
es ganz vorzüglich darum, weil bloß idealistische Gestalten nicht so leicht voll¬
kommene Objektivität erhalten, wie solche, die dem Dichter schon lebendig ent¬
gegentreten, aber ihr höheres Leben erst von ihm erwarten." In dieser Weise
also gelang es ihm vortrefflich, Karls ruhige Größe von der nutzlosen Gesprächig¬
keit der andern zu unterscheiden, ohne daß er dabei den geschichtlich überlieferten
Charakter der bedeutenderen verletzt hätte. Daß er gerade diese und nicht
andre Ritter in die Zwölfzahl aufgenommen hat, obwohl es da doch noch be¬
rühmtere Namen gegeben hätte, ist vielleicht auf seine Kenntnis des Fierabas
zurückzuführen, wo diese Reihenfolge einmal aufgeführt wird.

Es ist aber noch eine andre Frage zu besprechen: Woher nahm Uhland
den Kern der Geschichte, den Zug Karls nach dem heiligen Grabe? Das be¬
treffende altfranzösische Gedicht, welches von Franzisqne Michel und später von
Koschwitz so mustergiltig herausgegeben worden ist, war zur Zeit der Abfassung
der vorliegenden Ballade (31. Januar 1812) noch nicht entdeckt. Dafür aber
kannte Uhland den Volksroman von (üalicm 11 lisstorvs, dessen Anfang die
Abenteuer der Kreuzfahrer in Konstantinopel zusammenfaßte. Auch kannte er, wie
aus den Anmerkungen zu dem Aufsatz über das altfranzösische Epos hervorgeht,
einen lateinischen Roman, der dieselbe Sage zum Gegenstände hat, und kurz
zuvor war noch dieselbe Märe wieder aufgefrischt worden, indem Foneemagne,
Willen u. a. ernsthafte Untersuchungen über den fabelhaften Zug Karls ver¬
anstaltet hatten. Aus allen diesen Anregungen ist dann der Kern der Ballade
entstanden.

Die Untersuchung über diesen Gegenstand wird dadurch noch interessanter,
daß wir noch einen zweiten Plan darauf zurückführen müssen, nämlich den eines
Dramas, von dem uns Keller die Bruchstücke abgedruckt hat. Keller vermutet,
daß die Entstehung derselben ungefähr 1814 falle. Sie enthalten in unfer¬
tigen Knittelversen den Bericht des Herolds, welcher die Ereignisse bei der
Ankunft Karls in Jerusalem erzählt, dann ein Wechselgesprttch zwischen den
Pairs, welche sich über die Pracht des Hauses Wundern, dann ein Gespräch
zwischen den Pairs und dein Schweinehirten des Kaisers Hug, der die Gäste
in sein prachtvolles Besitztum einladet. Wir haben keine Andeutungen, wie
Uhland deu Plan ausgeführt hätte, doch giebt vielleicht der Inhalt des Romans
von „Gatten" darüber Aufschluß, wie er ihn selbst gegeben hat in seinen Vor¬
lesungen über germanische und romanische Sagengeschichte. Dann Ware freilich


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[0228] Ludwig Uhland und die altfranzösische Poesie. Mund legt, entsprechen mir teilweise der durch die altfranzösische Epopöe überlieferten Charakteristik, die meisten, insbesondre die weniger bekannten, hat Uhland nur nach allgemein menschlichen Kennzeichen charakterisirt, indem er den jungen Fant von seinem Liebchen, den steifen Höfling von Schicklichkeit sprechen läßt u. s. w. Wie viel lieber es ihm war, wenn er sich um die Über¬ lieferung anlehnen konnte, erhellt am besten aus einem Briefe an Seckendorff vom Jahre 1807: „Wenn ich mich nach poetischem Stoffe umsehe, so geschieht es ganz vorzüglich darum, weil bloß idealistische Gestalten nicht so leicht voll¬ kommene Objektivität erhalten, wie solche, die dem Dichter schon lebendig ent¬ gegentreten, aber ihr höheres Leben erst von ihm erwarten." In dieser Weise also gelang es ihm vortrefflich, Karls ruhige Größe von der nutzlosen Gesprächig¬ keit der andern zu unterscheiden, ohne daß er dabei den geschichtlich überlieferten Charakter der bedeutenderen verletzt hätte. Daß er gerade diese und nicht andre Ritter in die Zwölfzahl aufgenommen hat, obwohl es da doch noch be¬ rühmtere Namen gegeben hätte, ist vielleicht auf seine Kenntnis des Fierabas zurückzuführen, wo diese Reihenfolge einmal aufgeführt wird. Es ist aber noch eine andre Frage zu besprechen: Woher nahm Uhland den Kern der Geschichte, den Zug Karls nach dem heiligen Grabe? Das be¬ treffende altfranzösische Gedicht, welches von Franzisqne Michel und später von Koschwitz so mustergiltig herausgegeben worden ist, war zur Zeit der Abfassung der vorliegenden Ballade (31. Januar 1812) noch nicht entdeckt. Dafür aber kannte Uhland den Volksroman von (üalicm 11 lisstorvs, dessen Anfang die Abenteuer der Kreuzfahrer in Konstantinopel zusammenfaßte. Auch kannte er, wie aus den Anmerkungen zu dem Aufsatz über das altfranzösische Epos hervorgeht, einen lateinischen Roman, der dieselbe Sage zum Gegenstände hat, und kurz zuvor war noch dieselbe Märe wieder aufgefrischt worden, indem Foneemagne, Willen u. a. ernsthafte Untersuchungen über den fabelhaften Zug Karls ver¬ anstaltet hatten. Aus allen diesen Anregungen ist dann der Kern der Ballade entstanden. Die Untersuchung über diesen Gegenstand wird dadurch noch interessanter, daß wir noch einen zweiten Plan darauf zurückführen müssen, nämlich den eines Dramas, von dem uns Keller die Bruchstücke abgedruckt hat. Keller vermutet, daß die Entstehung derselben ungefähr 1814 falle. Sie enthalten in unfer¬ tigen Knittelversen den Bericht des Herolds, welcher die Ereignisse bei der Ankunft Karls in Jerusalem erzählt, dann ein Wechselgesprttch zwischen den Pairs, welche sich über die Pracht des Hauses Wundern, dann ein Gespräch zwischen den Pairs und dein Schweinehirten des Kaisers Hug, der die Gäste in sein prachtvolles Besitztum einladet. Wir haben keine Andeutungen, wie Uhland deu Plan ausgeführt hätte, doch giebt vielleicht der Inhalt des Romans von „Gatten" darüber Aufschluß, wie er ihn selbst gegeben hat in seinen Vor¬ lesungen über germanische und romanische Sagengeschichte. Dann Ware freilich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/228>, abgerufen am 17.09.2024.